Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Askese
   (griech. = Übung, Verzicht) bedeutet der Sache (nicht dem seltenen Begriff) nach schon in der vorchristlichen Antike die Übung in der Beherrschung des Körpers mit seinen Sinnen u. Begehren u. des Geistes mit seinen Antrieben, das Erlernen des Sterbens gegenüber dem Materiellen u. der Welt, mit dem Ziel, Unerschütterlichkeit u. Freiheit (Apathie) des Weisen zu erlangen. Im AT begegnen ”asketische“ Weisungen vor allem situationsbedingt im Zusammenhang mit der Einhaltung der von Gott im Dekalog gegebenen Lebensordnung; sie werden schließlich zusammengefaßt als ”Gebet, Fasten, Almosen“ (Tob 12, 8). Einen Sonderfall der A. bildet die sexuelle Enthaltsamkeit, die primär nicht im Dienst der Selbstbeherrschung, sondern der kultischen Reinheit steht. Im NT stehen die Ratschläge zum Verzichten unter dem Vorzeichen der Naherwartung der Vollendung der Herrschaft Gottes , angesichts deren das weltliche Sich-Einrichten als vorläufig u. überholt erscheint. Das Schicksal Jesu angesichts des Kreuzes gibt der Nachfolge Jesu eine neue asketische Qualität. Die christliche A. war von Anfang an von Deformierung bedroht:Weltverachtung (aus Feigheit oder Ressentiment), Weltflucht, Untreue gegenüber der Verantwortung für die Schöpfung, Hoffnung auf ”jenseitigen“ Lohn für Verzicht u. gute Werke. In der Praxis der christlichen A. sind Motive u. Werte enthalten, die sie auch heute verständlich u. sinnvoll erscheinen lassen: Läuterung egoistischer Antriebe (christlich: ”Kampf gegen die Sünde“), Training zur Erlangung einer größtmöglichen Harmonie zwischen den verschiedenen Schichten u. Kräften des Menschen (christlich: Einübung von Tugenden), Konsumverzicht als Bewährung individueller Freiheit u. als Dienst an der Bewahrung der Schöpfung. Aber zum Wesen der christlichen A. gehört diese moralische A. nicht. Ebenso wenig ist christliche A. kultische A., d. h. die Auffassung, Gott habe am bloßen Verzicht als Opfer Wohlgefallen, u. durch größere oder kleinere Opfer komme man immer tiefer in die Dimension des Heiligen. Auch die mystische A. als ”entleerende“ Hinreise in den Personkern, um unter Hinterlassung der ”Welt“, ja des eigenen Willens eine Gotteserfahrung möglich zu machen, gehört nicht zumWesen der christlichen A. Diese wird vielmehr begründet durch eine radikal christliche Interpretation des menschlichen Daseins, u. zwar des Daseins als eines zutiefst u. offensichtlich sinnwidrig bedrohten: des unweigerlich dem Tod ausgesetzten Daseins. Christliche A. bedeutet, sich der Todessituation bewußtseinsmäßig zu stellen, sie zu akzeptieren, sie als Möglichkeit der Nachfolge Jesu auch in seinem Sterben zu begreifen. Diese ”Realisierung“ des Todes besagt, ihn nicht auf die letzte Agonie zu beschränken, sondern ihn lebenslang stückweise einzuüben, ihm den Charakter als bloß erzwungenes Widerfahrnis zu nehmen u. statt dessen loslassend u. verzichtend aus ihm eine Tat der Übereignung an Gott zu machen. Ein solches Verständnis schließt ein dankbares Genießen der Schöpfungsgaben nicht aus (so wie Jesus, der denWeg zum Tod als ”Muß“ auffaßte, sich dennoch dem Vorwurf konfrontiert sah, er sei ein Fresser u. Säufer: Mt 11, 18 f.). Die konkrete Art u. Weise, wie eine christliche A. realisiert wird, unterliegt keinem Schema; sie ist Sache einer persönlichen Berufung .
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