Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Angst
   (von lat. ”angustus“ = eng) ist eine menschliche Urerfahrung, mit der sich viele Wissenschaften befassen. Die Unterscheidung zwischen Furcht als gegenstandsbezogener A. u. eigentlicher A. als grundloser Existenz-A. bei S. Kierkegaard († 1855) hilft zur Klärung, läßt sich aber nicht konsequent durchhalten. A. als Grundgefühl des Bedroht- u. Ausgeliefertseins hat im ATreligiöse Komponenten: A. vor dem (vor allem vorzeitigen) Tod, vor Zorn u. Gericht Gottes, als A. des Sünders, von Gott überfordert zu sein. Namentlich die Psalmen weisen Wege der Angstbekämpfung in der ”Flucht nach vorn“, voll Vertrauen zu dem erbarmungsvollen, geleitenden u. schützenden Gott. Das NT zeigt in der Todesangst Jesu (Lk 22, 42–46, bes. 44) die Annahme kreatürlicher u. religiöser A.; es kennt im Mitleiden mit Jesus eine begnadete A. der Glaubenden (Röm 8, 17; 2 Kor 6, 4); von der vollkommenen Liebe sagt es, daß sie Zuversicht bewirke u. die Furcht austreibe (1 Joh 4, 17 f.). – In der Sicht der theol. Systematik stammt die A. in allen ihren Formen, die normale wie die krankhafte, die individuelle wie die sozial-kollektive A. in der Wurzel, wenn auch nicht im konkreten Vorkommen, aus der universalen, ”vormoralisch“ negativ geprägten Situation der Menschheit (Erbsünde). Diese Deutung fordert zu einer realistischen Haltung auf. In dem Wissen, daß die A. nicht grundsätzlich u. überall beseitigt werden kann, muß doch, wo immer möglich, therapeutisch u. kämpfend gegen sie angegangen werden. Die Theologie kann wesentlich dazu beitragen, daß die kirchliche Verkündigung nicht zur Quelle von Verängstigungen (Gewissens- u. Gerichtsängste) wird. Die Analyse von Ängsten (vor Ich-Verlust, Isolierung, Veränderung, Unfreiheit) kommt der Psychologie zu; die Therapie ist eine Aufgabe von Psychoanalyse u. Verhaltenstherapie, die das religiöse Hoffnungspotential u. das ethische Wissen um Einübung der Tapferkeit bisher zu sehr außer acht lassen. Kollektive u. soziale Ängste (vor Gewalt, Manipulation, Arbeitslosigkeit, Zerstörung der Umwelt bis hin zu irreversiblen Schäden) sind immer begründet u. sollten alle zum Handeln motivieren, zumal da sie durch irrationale Momente zu Flucht u. Passivität verführen. Philosophisch hat M. Heidegger († 1976) die ontologische A. thematisiert (wenn durch das Andrängen des Nichts das Sein erst recht sichtbar wird u. das Dasein sich selber findet); J.-P. Sartre († 1980) befaßte sich vielfach mit der A. vor Freiheit u. vor Entscheidungen.
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