Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Akt
   (lat. = Tätigkeit, Vollzug) ist ein wichtiger Begriff der traditionellen christlichen Philosophie, Theologie u. Ethik; er hat auch eine Bedeutung in Philosophien der 1. Hälfte des 20. Jh. (Akt- u. Erlebnispsychologie, Phänomenologie, Ontologie) u. von da her bei der Analyse des religiösen Verhaltens.   1. Grundlegend sind von Aristoteles († 322 v.Chr.) her Akt und Potenz (griech. ”energeia“ u. ”dynamis“), Wirklichkeit u. Möglichkeit, als die beiden Modalitäten jedes – endlichen – Seienden, mit deren Hilfe das Werden verstanden werden kann. Bei seiner Rezeption des Aristotelismus hat Thomas von Aquin († 1274) die Reflexion über A. u. Potenz u. ihren realen Unterschied (”distinctio realis“) weitergetrieben. Der Potenz kommt durchaus Sein zu, aber als Unbestimmtes, Unentfaltetes, nur So- Seiendes, noch nicht Da-Seiendes . Bei allem endlichen Seienden bedeutet die Überführung der Potenz in einen A. – wie die Entfaltung von Anlagen, die Bestimmung von Unbestimmtem – eine Beschränkung u. Verendlichung, die beim Unendlichen, bei Gott, nicht denkbar sind. Daher ist im Thomismus eine bevorzugte Umschreibung Gottes: ”actus purus“, reine, unbeschränkte Aktualität. Die Inkarnation richtet an diese Sicht die Frage, ob Gott nicht doch etwas werden konnte, was er nicht ”immer schon“ war, so daß die Leugnung einer Potenz (einer Möglichkeit) in Gott mindestens von da aus problematisch ist.
   2. Religiöser Akt heißt jener Selbstvollzug des Menschen, in dem dieser sich auf die Transzendenz seines eigenen Wesens einläßt. Das Bezogensein auf Gott ist mit dem Wesen des Menschen, also ”immer schon“ (apriorisch, unausweichlich) gegeben; es kann bewußt werden, bewußt angenommen u. realisiert werden, es kann unbewußt bleiben, verdrängt oder niedergehalten werden.Wird es angenommen, dann bedeutet das Gottesverhältnis desMenschen eine Steigerung seiner Selbstverwirklichung, da die (bewußte) Nähe Gottes die menschlichen Möglichkeiten mehrt, nicht mindert. Eben darum lebt der religiöse A. nicht von den Rändern her, sondern aus u. in der Mitte des menschlichen Subjekts, wo das göttliche Geheimnis angenommen, angebetet u. geliebt wird, ohne daß dies eine Minderung des vernünftigen Denkens bedeutete. Der religiöse A. hat, wo er bewußt begonnen hat, die Tendenz, sich ”kategorial“ zu vollziehen, d. h. das Bezogensein auf Gott in allen konkreten u. geschichtlichenMomenten (Schichten u. Dimensionen) des Menschseins thematisch-greifbar zu realisieren. Damit antwortet er nicht nur auf die ”immer schon“ im Menschen gegebene, ihn anrufende Gegenwart des Heiligen Geistes, sondern auch auf die geschichtliche Zusage Gottes, an sein Kommen in das Menschsein hinein in Jesus von Nazaret. Beide Gestalten der Antwort können unter Umständen im religiösen A. zunächst nur anfanghaft u. ohne bewußtes Verstehen der ganzen Tragweite erfolgen. Sie können implizit in menschlicher Liebe, in Liebe zur Schöpfung zugleich Liebe zu Gott, zum Menschgewordenen sein u. umgekehrt. Je weiter u. je tiefer sich der religiöse A. von solchen Anfangsformen aus entfaltet, umso mehr sind in ihm die Solidarität mit den Leidenden u. die Erinnerung der Toten vor Gott einbezogen.
   3. Sittlicher Akt ist ein wichtiger Begriff der traditionellen kath. Moraltheologie. Ein menschliches Verhalten, bei dem der Mensch seine personalen Fähigkeiten, nämlich Verstand u. Willen, nicht voll einsetzt, heißt ”actus hominis“. Die spezifisch menschliche Entscheidungstat heißt im Unterschied dazu ”actus humanus“. Sie ist immer ein sittlicher A., weil sie – ob das ausdrücklich bewußt u. thematisiert wird oder nicht – zur normativen Grundlage der Sittlichkeit Stellung nimmt. Die kath. Moraltheologie beurteilt dieses Stellungnehmen von der Art u. Weise aus, wie ein Mensch seine Entscheidung u. sein Verhalten auf sein letztes (übernatürliches) Ziel hin orientiert. Von dieser Hinordnung hängt es ab, ob ein A. subjektiv gut oder schlecht ist. Hier hängt die Fragestellung engstens mit der Gnadenlehre zusammen: Es ist eine auch ökumenisch zentrale Frage, ob es ein natürliches Endziel des Menschen u. natürlich sittlich gute Akte gibt, die auf es hingeordnet sind, oder ob alle sittlich guten Akte ihre Gutheit der Gnade Gottes verdanken, darum auf das übernatürliche Ziel hingeordnet u . Heilsakte sind. Die heutige kath. Theologie tendiert dahin, dieses Letztere anzunehmen. Im konkreten Einzelfall kann ein A. durch unterschiedliche Faktoren beeinträchtigt u. begrenzt sein, die sowohl den menschlichen Verstand als auch den Willen (z. B. im Fall deformierter, determinierter Freiheit) betreffen. – Nach der traditionellen kath. Moraltheologie ist ein A. neben seiner subjektiven Seite auch objektiv gut oder schlecht. Die Frage danach wird vom Formalobjekt des sittlichen Aktes her beantwortet. Zwei Elemente bilden das Objekt des Sittlichen: der innere Zweck (Finalität) einer menschlichen Handlung, der aus ihrer eigenen inneren Struktur ersichtlich ist, u . die Umstände, von denen der wichtigste der vom Handelnden angezielte, daher ”äußere“, Zweck (nämlich die Motivation) ist. Wie verhalten sich innerer u. äußerer Zweck zueinander? Sind sie einander angenähert, d. h. sind Motive u. Handlungsstruktur zu einer Einheit integriert, dann ist der gute oder schlechte A. ”schwer“; er stellt eine Entscheidung u. ein Verhalten dar, die einen Menschen vor seinem letzten Ziel, das Gott ist, radikal prägen. Von da her wird verständlich, daß es nach der kath. Moraltheologie wohl sittlich indifferente ”actus hominis“, aber keinen sittlich indifferenten ”actus humanus“ geben kann.
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