Herbert Vorgrimler. Neues Theologisches Wörterbuch
Abendmahl
   1. Begriff. Seit M. Luther 1522 ist A. der auf ev. Seite beliebteste Begriff für jenen Gottesdienst der christlichen Gemeinde, der ausdrücklich auf das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern (”Letztes A.“) zurückgeführt wird. Das Wort A. gilt dafür in röm.-kath. u. orthodoxer Sicht als wenig geeignet, weil ”Mahl“ das Gottesdienstgeschehen einenge u. ”Abend“ den Zeitpunkt der Feier zu bestimmt benenne, auch weil A. mißverständlich nur die Vergegenwärtigung des letzten Mahles Jesu meinen könne.   2. Biblische Zeugnisse. a) Eigenart der ältesten Berichte. Die im NT enthaltenen Abendmahlsberichte gelten in allen christlichen Kirchen als historische u. theol. Grundlagen des Abendmahlsgottesdienstes. Historische Berichte im Sinn der heutigen Geschichtswissenschaft sind sie allerdings nicht; der früher übliche, auch juristisch geprägte Begriff ”Einsetzungsberichte“ wird immer mehr aufgegeben. Die Abendmahlsberichte setzen die frühe christliche Liturgie, das Zusammenkommen ”im Namen Jesu“, im Glauben an seine neue, wirkliche Gegenwart, in der Erinnerung an sein Leben u. Sterben u. an dieWahrnehmungen des aus dem Tod auferweckten Jesus, in der Erfahrung lebendiger Gemeinschaft mit ihm, im Vorausblick auf bleibendes Zusammensein mit ihm voraus. Sie wollen offenkundig der konkreten Gestaltung u. dem Verständnis der Liturgie dienen (der literarischen Gattung nach sind sie wohl Kult – Ätiologien). – Die Berichte erzählen von dem letztenMahl, das Jesus am Abend vor seinem Tod mit seinem engeren Jüngerkreis hielt. Sie lassen den Unterschied zu anderen Mahlzeiten mit Jesus darin erkennen, daß Jesus – wenigstens in einer sicheren Vorahnung von seinem bevorstehenden gewaltsamen Sterben – hier seinen Tod deutete. Daß Jesus diesesMahl als jüdische Tischliturgie gestaltete, darf als sicher gelten. Nach den Berichten hat er das Brechen u. Überreichen des Brotes sowie das Reichen des Segensbechers mit deutendenWorten verbunden. In ihrem Kernbestand dürfen diese als historisch sicher gelten, wenn sie auch nicht mehr genau rekonstruierbar sind. Möglicherweise lauteten sie bei der Brotgabe: ”Dies (ist) mein Leib“, bei der Bechergabe: ”Dieser Becher (ist) mein Blut für viele“ (was allerdings die Frage aufwirft, ob der Jude Jesus damit wirklich Blutgenuß gemeint habe). Das Becherwort könnte aber eher, nach der älteren Überlieferung, gelautet haben: ”Dieser Becher ist mein Blut des Bundes“. ”Leib“ meint die ganze konkrete Person, für die Jesus hier eine neue Gegenwartsweise ankündigt. Das Becherwort mit der Betonung des Bundes würde zur Erneuerung des Bundes beim gemeinsamen Trinken aufrufen. Bei der Betonung des Blutes dagegen würde die Erinnerung dem gewaltsamen Tod Jesu gelten: wie sein Leben, so solle auch sein Sterben ”vielen“, gerade auch den vor Gott an seinem Tod Schuldiggewordenen, zugute kommen. Mit dem Vorausblick auf den Tod war, wie die meisten Exegeten annehmen, eine Äußerung der Zuversicht, nämlich auf das Leben über den Tod hinaus im Hinblick auf das, wofür Jesus lebte u. starb, die Herrschaft Gottes , verbunden. – b) Spätere Interpretationen. In ihrem heutigenWortlaut enthalten die Abendmahlsberichte weitere religiös-theol. Ausdeutungen. Die älteren Berichte Mk 14, 22–25 u. 1 Kor 11, 23–26 sind nach heutiger Ansicht voneinander unabhängige Überlieferungsformen einer nicht erhaltenen Urfassung. Ob Jesu letztes Mahl ein Pesachmahl (jüdisch auch ”seder“) war, wie die synoptischen Evangelien im Unterschied zu Joh (18, 28; 19, 14) sagen, läßt sich historisch wohl nicht aufhellen. Die spätere, nicht auf Jesus zurückgehende Pesach- Deutung, wonach das jüdische Pesach bloßes Vorausbild des Pascha-Mysteriums Jesu gewesen sei, ist bereits von der erfolgten leidvollen Trennung der Christen- von der Judengemeinde geprägt. Das Becherwort Mk 14, 24 deutet unter Anspielung auf Ex 24, 5–8 den gewaltsamen Tod Jesu als Vermittlung eines ”neuen“ Bundes, d. h. als Verwirklichung einer von Gott immerfort angebotenen Erneuerung des Bundes als Ort der Vergebung u. Versöhnung. Es versteht Jesus als den Knecht Gottes , der als Bundesmittler (vgl. Jes 42, 6; 49, 8; 5, 11) die Sünde ”der vielen“, d. h. aller, trug u. vor Gott für die Schuldigen eintrat. Es handelt sich um eine Version der frühchristlichen Soteriologie. – c) Anamnese-Auftrag. Paulus betont ebenso wie Lk in hellenistischer Sprachgestalt eine Aufforderung Jesu, ”dies“ im Andenken an Jesus zu wiederholen. Für Paulus sind ferner von Bedeutung: Die Verkündigung des Todes Jesu bei jeder dieser Feiern, der ekklesiologische Charakter (Konstitution des kirchlichen Leibes Jesu Christi durch Teilhabe an den eucharistischen Gaben: 1 Kor 10, 17) sowie das ethisch-soziale Verhalten der Teilnehmer (1 Kor 11, 28). – d) Taufe u. A. (Eucharistie) sind die schon im NT bestens bezeugten Sakramente (liturgische Symbolhandlungen) . Die Eucharistie heißt auch ”Brotbrechen “ (Apg 2, 46; 20, 7 11; 1 Kor 10, 16) oder ”Herrenmahl“ (1 Kor 11, 20). Wohl vom Segensgebet der jüdischen Tischliturgie (hebr. ”beraka“, griech. ”eucharistia“) her erhält die Abendmahlsfeier von den Apostolischen Vätern des 2. Jh. an den Namen ”Eucharistie“ = Danksagung.
   3. Zur kath. Theologie u. Lehrentwicklung Eucharistie.
   4. Die Einsprüche der Reformatoren bezogen sich auf die kath. Auffassung vom Meßopfer, insbesondere auf das Verständnis des Sühneopfers (Opfer) u. die ausschließliche Bevollmächtigung des Amtspriesters zu dessen Feier, auf die theol. Interpretation der wahren Gegenwart Jesu Christi in diesem Sakrament (Transsubstantiation), auf die kath. Konsequenzen aus diesem Verständnis (Kommunion außerhalb der Messe, eucharistische Andachten u. Prozessionen) sowie auf die faktische, bis zum II. Vaticanum bestehende Verweigerung des Kelchs gegenüber den Laien. Von einer einheitlichen Auffassung der Reformatoren hinsichtlich des A. kann jedoch keine Rede sein. – a) Für M. Luther († 1546) war die reale Gegenwart des gekreuzigten u. auferweckten Jesus in der Abendmahlsfeier von fundamentaler Bedeutung. Die irdische Materie Brot u. Wein wird für ihn mit der himmlischen Materie Leib u. Blut Jesu Christi sakramental geeint (so real-objektiv, daß auch Ungläubige ihn in der Kommunion zu sich nehmen würden: ”manducatio oralis et impiorum“). Für Luther war das möglich, weil er die menschliche Natur Jesu Christi für allgegenwärtig hielt (Ubiquitätslehre) . Das Ziel der Abendmahlsfeier als Mahlgemeinschaft ist für ihn die Liebesgemeinschaft der Glaubenden mit dem erhöhten Herrn. – b) J. Calvin († 1564) sah in Luthers Auffassung von der realen Gegenwart Jesu Christi unter der Gestalt des Brotes u. Weines eine zu große Verdinglichung. Grundlage seiner Gegenposition war sein Glaube, daß die menschliche Natur Jesu orthaft an den Himmel gebunden sei, so daß an die Stelle ihres Kommens die Erhebung der menschlichen Herzen zu ihr in den Himmel treten müßte, bewirkt durch die Vermittlung des Hl. Geistes. Den Abendmahlsempfang verstand er als geistliche Speise der Menschenseele. Zweifellos hielt er an einer Realpräsenz Jesu Christi im A. fest, doch wird seine Sicht mit Recht als Lehre von der realen Spiritualpräsenz bezeichnet. – c) H. Zwingli († 1531) u. andere Reformatoren deuteten Brot u. Wein im A. als bloße Symbole der geistigen Gegenwart Jesu; das Geschehen bestand für sie in einem gemeinschaftlichen Gedenken des Todes Jesu, verbunden mit dem Bekenntnis des Glaubens der Feiernden. – d) Bis ins 20. Jh. waren die Lehr- u. Glaubensunterschiede hinsichtlich des A. so groß, daß zwischen den aus der Reformation hervorgegangenen lutherischen u. reformierten Kirchen eine Abendmahlsgemeinschaft nicht möglich war. Auch nach deren Einführung u. dem Verzicht auf Kontroversen bleibt ein Unterschied in der praktischen Wertschätzung des A. bestehen. Die Basis der Abendmahlsgemeinschaft (”Leuenberger Konkordie“ zwischen den lutherischen u. reformierten Kirchen Europas 1973) besagt, daß im A. (wie in der Verkündigung des Evangeliums) reale Begegnung mit Jesus Christus, der gegenwärtig ist kraft des Heiligen Geistes, geschieht u. daß es sich dabei um die Gegenwart des ganzen Christus ”in, mit u. unter“ den Gaben von Brot u. Wein handelt. Neuere theol. Überlegungen (unter Beteiligung der Anglikaner, der Kirchen der Dritten Welt u. der Freikirchen) haben sich von den orthodoxen Ostkirchen durch eine neue Beachtung der Anamnese u . Epiklese beeinflussen lassen; ferner haben sie den gemeinschaftsbildenden Charakter der Abendmahlsfeier wieder entdeckt u. deren Zusammenhang mit sozialen Aufgaben (Befreiung, Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit u. Bewahrung der Schöpfung) reflektiert.
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