Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Zug
westgermanisches Verbalabstraktum zu ↑ "ziehen" (altengl. tyge), ahd. zug. Es entspricht verschiedenen Gebrauchsweisen von ziehen, bei denen die Verwendung der einen der anderen nicht ganz parallel geht. Die Verhältnisse werden beim Substantiv dadurch verwickelter, daß es nicht nur einen Vorgang bezeichnen kann, sondern auch ein Resultat und den Gegenstand, an dem das Ziehen sich vollzieht;1 zu transitiv ziehen; als Vorgangs- und Tätigkeitsbezeichnung zu diesem im eigentlichen Sinn nicht häufig, vgl. aber die Zusammensetzungen Zugvieh, Zugtier, Zugseil usw., Zuggarn (ein Fischfanggerät, schon ahd. ), Zugnetz, Zugbrücke, Zugpflaster; daran schließt sich wohl auch in den Zug kommen an, was also wahrscheinlich ursprünglich von Zugtieren gebraucht ist; danach auch ›Gesamtheit der vor einen Wagen gespannten Zugtiere‹: eine Kutsche mit einem Zuge von sechsen (Nicolai); einen Zug von sechsen (Iffland). Schon mittelhochdeutsch ›das Ziehen im Spiel‹ ("Schachzug"). Einem seltenen Gebrauch von ziehen (vgl. ↑ "einziehen") entspricht Atemzug, wofür im Zusammenhang auch das einfache Wort:
in den letzten Zügen liegen (A180 Martin Luther, Lukas 8,42); landschaftlich (süddeutsch) auch einfach in Zügen liegen; dazu ZügenglöckleinSterbeglöcklein‹ (Jean Paul, A.Stifter; L059 DWb). Nahe verwandt einen Zug tun (aus einem Glas), ein Glas auf einen Zug leeren; übertragen seit Mitte des 18. Jahrhunderts das leben in vollen zügen genieszen (Liliencron; ebenda); beim Rauchen (18. Jahrhundert); Klimmzug (↑ "klimmen"). Ferner ›Vorrichtung zum Ziehen‹ an Vorhängen, Klingeln, Kleidungsstücken; vielfach im technischen Bereich. Übertragen ›Hingezogensein‹, besonders religiös: der seele sey ein geheimer zug gegen gott… angeboren (Lohenstein; ebenda), allgemeiner ›Neigungder immer schon einen Zug zur Gründlichkeit gehabt hatte (A083 Günter Grass, Blechtrommel 139) und ›Tendenzdem zug der zeit gehorchend (G.Keller; L059 DWb). An Striche ziehen usw. knüpft frühnhd. Schriftzug, Namenszug an: durch Schrift und Zug bestätigt(A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust II,10966), übertragen eine Darstellung in großen Zügen u. dgl. Seit dem 17. Jahrhundert (Zesen; L059 DWb) nach franz. trait: Züge des Gesichts, ein Zug um den Mund, wonach wieder Charakterzug; alle poesie hat einen tragischen zug(Novalis; ebenda);
2 zu intransitiv ziehen. Als Vorgangsbezeichnung: der Zug Alexanders in den Orient; Kriegszug, Feldzug (1545; L320 Trübner). Mit speziellem Hinblick auf die Richtung: Zug der Wolken, des Gebirges, der Straße; ›die in Bewegung befindliche Masse‹: ein Zug Kraniche, Heuschrecken usw.; "Fackelzug" (↑ "Fackel"), Festzug u. dgl.; frühneuhochdeutsch ›mobiles Heer‹, seit dem 18. Jahrhundert ›militärische Einheiteinen zug husaren (Goethe; L059 DWb); erst 18. Jahrhundert ›Zugluft‹, ursprünglich vom Zug des Feuers bzw. Ofens (frühnhd.), auch wieder übertragen: Endlich mal Zug reinkriegen in das verlotterte Schulsystem (A156 Walter Kempowski, Hundstage 94);
3"S138""S155" mit der Einführung der Eisenbahn für engl./ franz. train: »anfang der vierziger.. samt seinen ableitungen personenzüge, güterzüge, postzüge, in der betriebssprache fest eingebürgert« (L059 DWb); ⇓ "S112" ferner D-Zug (1899; L376 Otto Behaghel, Von deutscher Sprache 26), kurz für Durchgangszug, E-Zug kurz für "Eilzug", IC kurz für Intercity-Zug (1971; L299 Sprachdienst 16,49); "Bummelzug" (↑ "bummeln"); dazu
Zugbegleiter
1Angehöriger des Zugpersonals‹, gebucht L056 Duden 151960,
2Faltblatt, auf dem die Stationen eines Fernzuges mit Ankunfts- und Abfahrtszeiten verzeichnet sind‹ (L099 3GWb).
zugig mitten in diesen zugigen corridoren (Gutzkow; L059 DWb);
zügig L037 Petrus Dasypodius 1536, dann erst wieder L169 Matthias Kramer 1702, bei L004 Johann Christoph Adelung und L033 Joachim Heinrich Campe nicht verzeichnet, L264 Daniel Sanders und L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt buchen es nur als Grundwort in den Zusammensetzungen "freizügig" (↑ "frei"), "großzügig" (↑ "groß"); ursprünglich und bis etwa 1850 fachsprachlich
1geschmeidig‹: wie gold zügig ist, sich gern arbeiten läßt (1610; L059 DWb); daneben auch
2kräftig ziehend‹, z. B. von Pferden (1581; ebenda); daran anschließend seit dem frühen 20. Jahrhundert
3 »freier und wirksam entwickelt« (ebenda) im heutigen Sinn übertragen ›schnell und ohne Unterbrechung‹ (↑ "schnell"), auf die Hand bezogen: nichts freies und zügiges in seiner hand (Wassermann; ebenda), zügig arbeiten, ein zügiges Verfahren; schweizerisch
4 »neuerdings wie zugkräftig, eindruck machend« (ebenda) die mühe eines halbstündigen zügigen ganges (1880; ebenda).
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