Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Zucht
ahd. / mhd. zuht, Verbalabstraktum zu ↑ "ziehen";1 auf Pflanzen bezogen: Baumzucht, Blumenzucht, Tulpenzucht usw. Auf Tiere bezogen: Bienenzucht, Fischzucht, Hühnerzucht, Schweinezucht, Seidenwürmerzucht usw. Wenn man sagt ein Stier (usw.) ist zur Zucht tauglich, wird zur Zucht gehalten, so nähert sich zur Zucht dem Sinn ›zur Zeugung‹; daran schließen sich Zuchtstier, Zuchthengst usw.; Zuchtwahl"S125" Lehnübertragung von Darwins natural selection (1859). Auch als Resultatsbezeichnung wie ↑ "Wurf": die Zucht des Jahres, in welchem Sinn ein Plural Zuchten vorkommt; in freierer Weise: der Schafe Zucht drängt sich aus Stall und Hürde (Hagedorn), der glatten Pferde wohlgenährte Zucht (Schiller);
2.1 schon althochdeutsch auf geistige Erziehung bezogen: die Zucht des Herrn (die der Herr angedeihen läßt) (Luther); Kinderzucht. Speziell auf Übung von Anstand und Gehorsam bezogen: gute Zucht, jmdn. in Zucht halten, Schulzucht, Kirchenzucht, Hofzucht, Tischzucht, Manneszucht, zuchtlos. Es kann ferner bei Zucht an die Strafmittel gedacht werden, die zur Erziehung oder zur Erhaltung der Ordnung angewendet werden, daher Zuchtrute; Zuchthaus (16. Jahrhundert) anfangs auch ›Erziehungsanstalt‹, doch ab dem 17. Jahrhundert ›(verschärftes) Gefängnis‹; Züchtling. Mittelhochdeutsch zuhtdurch Erziehung gewonnene Bildung, feine Lebensart‹ von neueren Dichtern belebt, im Plural mit, in Züchten (Wieland, noch Th.Mann; L337 WdG);
2.2 speziell ›Schamhaftigkeit‹ im Hinblick auf die geschlechtlichen Beziehungen (seit dem Frühneuhochdeutschen); dazu der Gegensatz ↑ "Unzucht" und das Adjektiv züchtig (s. unten). ↑ "Notzucht".
züchten ahd. zuhten, (Blumen, Samen, Schafe usw.); wir züchteten… das offiziersmaterial (Bismarck; L059 DWb), durch wertvolle Kreuzungen hochgezüchtet (1937; L320 Trübner), heute auch ein hochgezüchteter Motor;
Züchter ahd. zuhtariErzieher‹, zuhtare ›proles‹ (›Hode‹), das heutige Wort fehlt noch L033 Joachim Heinrich Campe 1811, wohl erst nach Darwin neu gebildet und meist in Zusammensetzungen wie Baumzüchter, Bienenzüchter, Hundezüchter usw., ↑ "Gezücht";
züchtig (ahd. ) bis ins 18. Jahrhundert entsprechend Zucht(2.1) ›wohlerzogen‹, dann entsprechend Zucht(2.2) speziell von Frauen ›sittsam, keusch‹: Frauen im Tscharschaff, dem züchtigen Gewand der Moslemin (A278 Franz Werfel, Musa Dagh 28);
züchtigen (mhd. ), frühneuhochdeutsch auch wie züchten (s. oben), gewöhnlich aber, heute ausschließlich ›(mit Schlägen) bestrafen‹, Denn welchen der Herr lieb hat / den züchtiget er (A180 Martin Luther, Hebräer 12,6); entsprechend
Züchtigung (mhd. );
Züchtung (frühnhd.) seit dem 19. Jahrhundert und unter Einfluß der Rassenlehre auf die gelenkte Fortpflanzung bezogen, danach im ⇓ "S145" Nationalsozialismus rassistisch gedeutet als praktizierte ↑ "Auslese": die Wiedergeburt einer Nation… durch die bewußte Züchtung eines neuen Menschen (Hitler 1937; L281 Cornelia Schmitz-Berning).
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