Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
zivil
< lat. civilis(zu civis›Bürger‹), franz. civil;1.1 (veraltet) ›den Bürger, die Allgemeinheit betreffend‹ (1642; L081 FWb; dafür 1539 Luther civilisch; L059 DWb); ›öffentlich (von Gebäuden usw.)‹ (1630; L081 FWb);
1.2nach den gesellschaftlichen Normen, gesittet‹ (1652; L059 DWb; vgl. ciuilitet »höfliche vnd burgerliche zucht« S.L261 Simon Rot 1571), heute gewöhnlich zivilisiert (s. unten); zu (1.1) und (1.2) neu ziviler Ungehorsam (1969; L010 AWb) nach engl. civil disobedience;
1.3 kaufmannsprachlich übertragen ›angemessen, mäßigum einen civilen preisz (1668; L059 DWb), heute auch humaner Preis; verallgemeinert, z. B. zivile Zeit (zum Aufstehen);
2.1 älter juristisch Zivil-bürgerlich-, privatrechtlich-‹ in Zusammensetzungen wie Zivilsache (1560; ebenda), nach lat. causa civilis, Gegensatz Kriminal-; als selbständiges Adjektiv so erst um 1900;
2.2 auch Zivil- als Gegensatz zu "Militär"-zuerst in Zusammensetzungen wie Zivilbaukunst, Zivilstand (1722 bzw. 1759; L081 FWb), ab Mitte des 19. Jahrhunderts dann auch selbständiges Adjektiv; dazu ↑ "Zivilcourage", Zivildienstpflicht (um 1900), ⇓ "S175" ZivildienstleistenderWehrdienstverweigerer‹ (in der alten und neuen BRD), ⇓ "S116" kurz Zivi (1982; ebenda); substantiviert
Zivil Neutr. ;
1.1Nicht-Militär, Bürgertum‹ (1702; ebenda) beim zivil machte sich… eine gewisse unruhe bemerkbar (H.Mann; L059 DWb), heute selten;
1.2 meist ›nicht-militärische Kleidung‹ (L264 Daniel Sanders 1871), Gegensatz ↑ "Uniform": vier Beamte, davon einer in Zivil (A054 Hans Fallada, Blechnapf 488);
Zivilist
1 (veraltet) < lat. civilistaKenner des Zivilrechts‹ (um 1700; L081 FWb);
2 neugebildet zu zivil(2.2): der Adel und der dritte Stand, der Soldat und der Civilist (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften I 4;20,50,20);
zivilisieren »einen die höfflichkeit lehren« (1703 Wächtler; L059 DWb), allgemein ›verfeinern, kultivieren‹ < franz. civiliser, häufig als Partizipialadjektiv
zivilisiert (1670 unzivilisiert; L081 FWb) Die Menschen sind… , je civilisierter, desto mehr Schauspieler (I.A153 Immanuel Kant; AA 7,151), dazu überzivilisiertverbildet, verweichlicht‹ (1862/ 84; L059 DWb);
Zivilisation (1778 Forster; ebenda) < franz. (älter engl.) civilisationFormung und Entwicklung der Lebensweise nach dem Prinzip der Rationalität, besonders durch Wissenschaft und Technik‹, anfangs im Sinne des aufklärerischen Fortschrittsgedankens, im 19. Jahrhundert auch in negativer Sicht, z. T. ↑ "Kultur" entgegengesetzt: Polemik… , die bei der Bildung des begrifflichen Gegensatzes von Kultur und Zivilisation in Deutschland Pate stand (N.A048 Norbert Elias, Prozeß I,9); ein Wilder inmitten unsrer Zivilisation ersticken müßte (A124 Hermann Hesse, Steppenwolf 38); auch in räumlicher Vorstellung, der Zivilisation entfliehen, seit den 1960er Jahren zunehmend abwertend, dazu Zivilisationsaskese, Zivilisationslärm, Zivilisationskrankheit, zivilisationsmüde. G.M.Pflaum, Geschichte des Wortes ›Zivilisation‹, 1961.
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