Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
ziemen
ahd. zeman, mhd. zemen (3.Sg. zimt) starkes Verb (got. gatiman), heute schwaches Verb; verwandt ⇑ "Zimmer", "Zunft"; ›schicklich sein, sich gehören, passen‹, ursprünglich nicht reflexiv: Steh auf von diesem Platz, der dir nicht ziemt (A222 Friedrich Schiller, Jungfrau 1,10). Häufig mit Infinitiv als Subjekt: Was dir ziemt zu tun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht vorauszusetzen (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Nathan 4,4). Wo wir einen Akkusativ von dem Infinitiv abhängen lassen, setzte die ältere Sprache das Substantiv als Subjekt und der Infinitiv mit zu trat dazu als Bestimmung der Beziehung, in der etwas nicht schicklich ist: die Schaubrote, die ihm doch nicht ziemten zu essen (Luther); die Umbildung der Konstruktion erfolgte von Fällen aus wie eine Weise, welche uns nicht ziemet anzunehmen, wo welche von Luther als Nominativ gefaßt ist, aber auch, wie wir es jetzt tun würden, als Akkusativ gefaßt werden kann. Fehlerhaft steht statt des Dativs zuweilen der Akkusativ: ziemt es niemanden (A.W.Schlegel; L059 DWb). Ohne Dativ wenden wir (schon Luther) reflexive Konstruktion an, woneben das, was sonst durch den Dativ ausgedrückt wird, durch für angeknüpft werden kann: es ziemt sich nicht (für einen anständigen Mann). Heute nicht mehr das Reflexiv neben dem Dativ, wie z. B. bei Chamisso eure Rede ziemet einem Weibe sich, nicht einem Manne; auch bei Luther: wie sich's ziemet den Weibern. Andererseits gleichfalls ungewöhnlich ist nichtreflexives ziemenohne Dativ: denn es ziemt, des Tags Vollendung mit Genießern zu genießen (Goethe). Neben ziemen steht in gleicher Bedeutung und mit gleicher Konstruktion ↑ "geziemen". ziemlich ahd. zimilih;
1 zunächst ›geziemend, gebührend, schicklich‹ (Adjektiv): mit untadeliger Sophrosyne und aller ziemlichen Weltklugheit (Wieland), des Herkömmlichen und Ziemlichen, der Sitte, des Rechtes (Görres), hielt es jedoch für ziemlich, seinem Wirte in Person Dank zu sagen(Immermann), wie es Witwen ziemlich ist (Uhland); jetzt fast außer Gebrauch (noch Th.Mann; L337 WdG); dafür früher auch geziemlich: Fälle, wo es ganz geziemlich sein mag, ihre Mängel zu rügen (Wieland), auf eine geziemliche Art (Hebel), Eseln geziemlich (Tieck). Dagegen ist unziemlichunschicklich‹ noch in allgemeinem Gebrauch;
2 gewöhnlich ist es ⇓ "S029" jetzt beschränkt auf Quantitäts- und ⇓ "S080" Gradbestimmung ›in dem Maße, wie es sich gehört, wie man es erwartet‹, daher ›in einem nicht ganz geringen Maße‹ (frühnhd.). Am häufigsten adverbial: ziemlich groß, krank, ich kenne sie (so) ziemlich; aber auch adjektivisch neben Begriffen, die eine Gradabstufung zulassen: ziemliche Höhe, Anzahl; auch er ist ein ziemlicher Esel;
3 neben Ausdrücken, die an sich etwas Absolutes, keine Abstufung Zulassendes bezeichnen ›beinahe, fast‹: ziemlich fertig, sicher, ausgeschlossen, ziemlich so groß wie ich. Es gibt Wörter, die bald in einem relativen, bald in absolutem Sinn gebraucht werden können, wonach dann auch der Sinn von ziemlich wechselt, wir haben einen ziemlich trockenen Sommer gehabt mein (naßgeregneter) Schirm ist wieder ziemlich trocken; so hat auch ziemlich gut in einer Zensur (früher zwischen gut und genügend) einen anderen Sinn als meist im gewöhnlichen Leben, weil bei jener gut einen einigermaßen normierten und daher absoluten Grad bezeichnet und das ziemlich daneben also das Zurückbleiben hinter diesem Grad hervorhebt.
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