Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
zeugen
ahd. giziugon, mhd. ziugen;1 im Anschluß an ↑ "Zeug"(1) zunächst ›(durch technische Tätigkeit) herstellen‹: aus allerlei köstlicher Materie hat man sie [die Götzen] gezeuget (Luther); ihr selbstgezeugtes Hemd(Möser); übertragen dies zeugte den dumpfichten Schall(E. v.Kleist), ↑ "erzeugen";
2 in einigen norddeutschen Gegenden ›auf seine Kosten anschaffen, sich verschaffen‹ (schon mittelniederdeutsch, auch frühzeitig mitteldeutsch) Hans Unwirsch sich einen kleinen rausch zeugte(Raabe; L059 DWb);
3 die jetzige Bedeutung ›Kinder zeugen‹ im Mittelhochdeutschen nur vereinzelt; zunächst bezogen auf die Gesamtheit der Funktionen, die dazu gehören, um Kinder zur Welt zu bringen, daher auch von der Mutter gebraucht: daß die jungen Witwen freien, Kinder zeugen (Luther); die Bettlerin zeugte mir Bettlergeschlecht (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Ballade 80); als sie jetzt noch funfzehn Kinder zeugte (H. v.Kleist); von beiden Eltern Epimetheus nannten mich die Zeugenden (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Pandora 9); das gleiche gilt von ↑ "erzeugen": einen Basilisken hab ich erzeugt (so sagt Isabella) (Schiller); dann erst Beschränkung auf die Tätigkeit des Vaters, mit Gegensatz ↑ "gebären": wenn nicht zeugen kann der mann, / nicht die frau gebären kann (G.A.Bürger; L059 DWb). Häufig übertragene Anwendung: Früchte, Krankheit, Unfrieden (usw.) zeugen oder erzeugen;
4 eine ähnliche seltene Spezialisierung bei A180 Martin Luther: Haare, eine Vorhaut zeugendurch Pflege zum Wachsen bringen‹ (1.Korinther 7,18), noch Herder Bart zeugen (L059 DWb);
5 mhd. ziugen, häufiger erziugenbeweisen‹ (durch Zeugen oder Indizien). Auch diese Bedeutung ist wohl aus (1) abzuleiten, so daß also der gerichtliche Beweis eigentlich als ein Hervorbringen der Tatsachen gefaßt wäre. Das dazugehörige geziuc (s. unten Zeuge) wäre dann zunächst ›Beweismittel‹, später speziell ›als Beweismittel dienende Person‹. Die Bedeutung ›beweisen‹ in ↑ "überzeugen";
6 an (5) schließt sich endlich die jetzt übliche und schon mittelhochdeutsch vorkommende Bedeutung ›Zeugnis ablegen‹ an. Gewöhnliche Konstruktionen für, wider, gegen jmdn. zeugen; von etwas zeugen, dieses häufig übertragen: von Stärkegefühl zeugt das nicht (Th.Mann; L320 Trübner); in dieser Verwendung ist Verwechslung mit ↑ "zeigen" nicht selten: von einem guten Geschmacke zeigen(Lessing), eine Meinung, die von dem außerordentlichsten Scharfsinn zeigte (E.T.A.Hoffmann) (weiter L360 ZDW12,66ff.; ähnlich ↑ "bezeugen" und ↑ "bezeigen"); auch mit Akkusativ des Inhalts: dem Zeugnis, das Gott zeuget von seinem Sohn (Luther); was diese wider dich zeugen (Luther); der soll mir's zeugen, ob die Fahrt zu wagen (Schiller).
Zeuge mhd. geziuge schwaches Mask. (noch frühnhd. Gezeuge, vereinzelt bei Hebbel) und noch häufiger geziucstarkes Mask. Dieses ist lautlich und ursprünglich auch im Genus nicht verschieden von dem unter Zeug (s. oben) erwähnten Wort, vielleicht geradezu mit ihm etymologisch identisch, wofür auch spricht, daß es in der älteren Sprache ebenfalls ›Zeugnis‹ bedeutet, vgl. zeugen(5); zunächst
1"S181"Zeuge vor Gericht‹ (Beweiszeuge): Es sol kein einzeler Zeuge wider jemand aufftretten… Sondern in dem Mund zweier oder dreier Zeugen sol die sache bestehen (A180 Martin Luther, 5.Mose 19,15); weiterhin
2derjenige, der durch seine Gegenwart zum Abschluß eines Rechtsgeschäfts hilft‹; daher
3jmd. , der etwas mit ansieht oder anhört‹ ("Augenzeuge", Ohrenzeuge); in historischer Perspektive ›Gewährsmann‹, übertragen ›Quelle, Zeugnisdie alten lieder und geschichtsbücher sind davon zeugen (Lessing; L059 DWb). Es nähert sich adjektivischer Natur in Wendungen wie er/ sie war Zeuge meines Glücks; daher kommt es nach pluralischem Subjekt in unveränderter Form vor: Verwirrung, von der wir Zeuge waren (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Zu brüderlichem Andenken Wielands, I,36,334). Vgl. "Kronzeuge" (↑ "Krone"), Trauzeuge usw.;
Zeugnis mhd. geziugnisse Fem.
1Zeugenaussage‹ zu geziuc (s. oben Zeuge); die Form Zeugnis und Neutrum als Genus setzen sich seit dem Frühneuhochdeutschen allmählich durch: DV solt kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nehesten (A180 Martin Luther, 2.Mose 20,16); "Leumundszeugnis" ↑ "Leumund"; frühneuhochdeutsch auch schon allgemeiner
2Gewähr, sichere Quelle‹, ›sichtbares Zeichen‹ und
3Bescheinigung, Attest‹, besonders in bezug auf die Leistung von Schülern für baares geld / ein akademisch zeugnis zugestellt (Kortum; L059 DWb). Zu zeugen(3)
Zeugung, zuweilen auch ›Generation‹: ganze Zeugungen hinabzusenden in des Vaters Grab (A222 Friedrich Schiller, Tell 5,1).
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