Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Zeichen
ahd. zeihhan, gemeingermanisch (got. taikn, altnord. teikn, engl. token), früh ins Finnische entlehnt als taika›Vorzeichen, Wahrsagung‹, verwandt mit ⇑ "zeihen", "zeigen";1.1Anzeichen, Symptom‹, sogenanntes natürliches Zeichen, das interpretativ Bedeutung erlangt: ich merck des morgen zaichen (Hätzlerin; L059 DWb); dazu zählen auch Erscheinungen, die religiös oder mythologisch gedeutet werden: Vogelflug und angang der thiere sind bald heilbringende bald schreckende zeichen (1834 J.Grimm, Reinhart Fuchs, III);
1.2etwas sinnlich Wahrnehmbares, das auf etwas anderes verweist‹, sogenanntes künstliches Zeichen und insofern (durch historisch entwickelte Übereinkunft) konventionelles Zeichen;
1.2.1"S208" Grundlage aller konventionellen Zeichentypen ist das sprachliche Zeichen: Vocabula sunt notae rerum ›die Benennungen sind Zeichen der Dinge‹; dieses lateinische Motto seiner Schrift ›Über den Ursprung der Sprache‹ (1772) entnimmt A121 Johann Gottfried Herder Cicero; Reden ist übersetzen … Bilder in Zeichen (J.G.Hamann, Aesthetica in nuce 1762 [Frankfurt/ Main 1967] 109); so sind die geschriebenen Worte Zeichen unserer Gedanken (L004 Johann Christoph Adelung); der moderne sprachwissenschaftliche Zeichenbegriff fußt auf Saussure: Ich nenne die Verbindung der Vorstellung mit dem Lautbild das Zeichen (L274 Ferdinand de Saussure, Grundfragen 78); Daß jede Sprache ein System von Zeichen ist / daß die Sprachlaute vom Sprecher als Zeichen gesetzt, vom Hörer als Zeichen aufgenommen werden / … so oder ähnlich kann man beginnen über Sprache zu sprechen (K.Bühler, Die Axiomatik der Sprachwissenschaft 1933 [1969], 25);
1.2.2 zusammen mit (1.2.1) zu sehen und mit Hilfe von Sprachzeichen interpretiert sind nichtsprachliche Zeichen (z. B. Gesten, Gebärden), ⇓ "S138" »eisenbahn-, telegraphensignal, seezeichen: bake, boje« (L059 DWb), auch Interpunktionszeichen (s. unten), ⇓ "S130" mathematische Zeichen (+, – usw.), musikalische Zeichen usw.; dann v. a. religiöse und politische Symbole: ein schwerdt, das zeichen des kriegs (Schiller; ebenda), segnen euch vor dem teuffel… mit dem zeychen des creutz (Eberlin; ebenda);
2 vielfach übertragen und z. T. phraseologisch, wobei die Beziehung zu (1) jeweils herstellbar ist: er ist seines zeichens ein handwerker (L109 Moriz Heyne), ihres zeichens… botenfrau (Fontane; L059 DWb); zum zeichen dieses bundes hat er die tauffe eingesetzt (Luther; ebenda),
⊚⊚ Zeichen der Zeit nach lat. signa temporum (Matthäus 16,3): die zeichen der zeit zu verstehen (Görres; L059 DWb); ⇓ "S243" es geschehen noch Zeichen und Wunder (L337 WdG) wenn etwas Überraschendes und Positives eintrifft. Zusammensetzungen mit -zeichen als Grundwort sind »unerschöpflich« (L264 Daniel Sanders), vgl. z. B. die Gruppe der Interpunktionszeichen: ⇑ "Anführungszeichen", "Auslassungszeichen", "Ausrufungszeichen" bzw. Ausrufezeichen, "Fragezeichen", Satzzeichen; oder die zentralen Zusammensetzungen Aktenzeichen, Markenzeichen, Sprachzeichen, Verkehrszeichen, ⇑ "Kennzeichen", "Lebenszeichen", "Wahrzeichen", "Warenzeichen"; dazu die Präfixbildungen ⇑ "Abzeichen", "Anzeichen", "Vorzeichen".
Zeichenlehre (L004 Johann Christoph Adelung) ›Semiotik‹, bei Adelung noch »die Lehre.. schickliche Zeichen zu erfinden«, zuvor schon in der Medizin ›Lehre von der Diagnose‹ (»darausz man die kennzeichen der gesundheit und krankheit erkennen lehrnet« 1710; L059 DWb);
Zeichensetzung"S208"Interpunktion‹ (dafür älter Distinktion und Interpunktion, L033 Joachim Heinrich Campe: Interpunctation), relativ junge Bildung (L218 Muret/ Sanders 1905); J.Stenzel, Zeichensetzung, Stiluntersuchungen an deutscher Prosadichtung, 1966;
Zeichensprache
1System von Verständigungsmitteln‹:
1.1mithilfe von Schriftzeichen‹ (Nicolai; L059 DWb);
1.2das vor der Buchstabenschrift liegt‹ (W. v.Humboldt; ebenda);
1.3der mathematischen Fachsprache‹ (Ende des 19. Jahrhunderts; ebenda) sowie
1.4der Taubstummen‹ (L033 Joachim Heinrich Campe);
zeichnen (ahd. )
1mit einem Zeichen versehen zur Unterscheidung von anderen Dingen oder zur Wiedererkennung‹: Wäsche, Waren, ein Frachtstück zeichnenu.dgl.; mit dem Kreuze gezeichnet; jmdn. zeichnenjmdm. eine Wunde beibringen, die ein Mal hinterläßt‹; auch von Naturprodukten ›mit bestimmten Malen, Flecken versehen‹: ein prächtiger Hühnerhund! Wie schön er gezeichnet ist! (Rabener; L320 Trübner); schwarz und weiß gezeichnet. Von Menschen, die an ihrem Körper etwas besonders Merkwürdiges haben, das einen unangenehmen Eindruck macht, sagt man, daß sie Gott gezeichnet habe, gleichbedeutend ↑ "stigmatisieren" (vgl. ↑ "Kainszeichen" nach 1.Mose 4,15): wohl ist sie recht an Augen und Stirne gezeichnet, daß man sich vor ihr hüten möge(Goethe; L059 DWb). Eine ähnliche Anschauung bei Schiller: laßt sie den Arm aufstreifen, seht die Punkte, womit die Hölle sie gezeichnet hat. Ursprünglich zu (1) auch ⇑ "auszeichnen", "bezeichnen";
2 eine besondere Art von (1) ›mit Namensunterschrift versehen‹: einen Vertrag zeichnen; dies ist jetzt weniger üblich, aber daraus abgeleitet, allgemein ⇓ "S106" kaufmannssprachlich mit der Summe als Objekt ›sich durch Namenseintrag verpflichten, so viel zu geben‹ (Mitte des 17. Jahrhunderts; L277 Alfred Schirmer, Kaufmannssprache), auch er hat 10 Aktien gezeichnetsich verpflichtet, sie zu übernehmen‹; unser Sprachgefühl rückt diesen Gebrauch näher an (3). Noch weiter geht die Entfernung von der ursprünglichen Verwendung, wenn die Namensunterschrift zum Objekt gemacht wird, z. B. bei Ankündigung einer Firma: H.Müller wird zeichnen. E.Müller & Sohn. Weiter ↑ "unterzeichnen";
3 von der Spezialisierung ›etwas durch Schriftzeichen andeuten‹ (vgl. ↑ "bezeichnen") aus gelangt zeichnen zu ›schriftlich anmerken, notieren‹: schreibe es ihnen vor auf eine Tafel und zeichne es in ein Buch (Luther). So gebrauchen wir jetzt allgemein ↑ "aufzeichnen", verzeichnen; seltener so ↑ "auszeichnen": aus den Briefen unserer Freunde eigentümliche Bemerkungen auszuzeichnen (Goethe);
4 ein Zeichen, das wie eine Benennung an einen Gegenstand erinnert, ist auch die Andeutung seiner Gestalt durch Striche. So konnte zeichnen auch für diese Tätigkeit verwendet werden, und indem dabei die technische Ausführung in den Vordergrund trat, zweigte sich frühneuhochdeutsch eine selbständige Bedeutung ab. Als Objekt kann der als Vorbild dienende Gegenstand wie das hervorgebrachte Abbild stehen, was kaum noch als ein Unterschied empfunden wird, da wir die sprachliche Bezeichnung des Vorbildes auf das Abbild übertragen (vgl. ↑ "malen"). So sehr macht die Vorstellung von der technischen Tätigkeit die eigentliche Bedeutung des Wortes aus, daß es auch gebraucht wird, wenn gar kein Vorbild vorhanden ist, dem das Hervorgebrachte als Zeichen diente. So gebraucht man endlich auch sich zeichnen von Naturgegenständen ›deutliche Umrisse zeigen‹: wo sich ihr [der Wolken] Saum gegen den blauen Himmel zeichnete (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 10.11.79); Höhlen und Löcher, die … sich seltsam zeichnen (Brief vom 2.10.79); sich abzeichnensich optisch abheben‹ (1719; L060 2DWb), weiter ›(als Tendenz) erkennbar werden‹ (um 1850). Dazu Zeichenschule, A075 Johann Wolfgang von Goethe noch Zeichnenschule (Brief vom 20.5.15), vgl. Er nennt mich, weil er das n grammatisch für richtiger hält, Herr Zeichnenlehrer (A210 Wilhelm Raabe, Horacker 12,364). Zusammensetzungen: Zeichenblock, Zeichenbrett, Zeichenbuch, Zeichenpapier, Zeichenstift, Zeichenstunde, Zeichentrickfilm (L337 WdG) ›Film aus einer Folge gefilmter Zeichnungen‹, dafür auch Zeichenfilm (L097 GWb);
5"S100" jägersprachlich das Reh usw. zeichnetläßt nach dem Schuß durch eine Bewegung erkennen, daß es getroffen ist‹;
Zeichnung ahd. zeihhanunga, mhd. zeichenungeBezeichnung, Kennzeichnung‹; noch in
1Kennzeichnung‹: die Zeichnung durch ein mühevolles, erfolgloses Leben (Brod; L337 WdG); sonst v. a. seit dem 17. Jahrhundert (W.L244 Wolfgang Pfeifer)
2bildliche Darstellung, vorwiegend in Strichen und Linien‹, auch ohne Plural in der zeichnung der figuren(Sulzer; L059 DWb); übertragen flüchtige zeichnung der sitten (Hauff; ebenda);
3 Zeichnung eines VertragesUnterschrift‹ (zu zeichnen[2]), Zeichnung von Aktien kaufmannssprachlich (L277 Alfred Schirmer, Kaufmannssprache) ›Verpflichtung zur Abnahme‹.
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