Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
zart
ahd. / mhd. zart; nur hochdeutsch; anfangs wohl ›liebevoll schonend behandelt‹; daraus abgeleitet, seit dem Mittelhochdeutschen1eine schonende Behandlung erfordernd‹; zunächst auf das Körperliche bezogen, teils mit dem Nebensinn des Wohlgefälligen, Anmutigen (das zarte Geschlecht Herder; L059 DWb), teils ohne ihn;
2 auf Fleisch bezogen Gegensatz zu ↑ "zäh": zartes capaunenfleisch (1579; L059 DWb); auch
3"S216" von Farben und Tönen, Gegensatz ↑ "kräftig"; dann auf Geistiges bezogen
4.1empfindlich gegen äußere Eindrücke, leicht zu verletzen‹: ein Mann von so zartem und gleichsam wundem Gefühl (Wieland); daß sie sein zartes Gemüt verletzt habe (Goethe); hierher auch übertragen zartbesaitet (H. v.Kleist; L059 DWb); nur wer selbst empfindlich ist gegen Verletzungen, kann beurteilen, was einen andern verletzt, und dies vermeiden, so wird zart auch auf die Vermeidung alles Verletzenden in dem Benehmen gegen andere bezogen
4.2rücksichtsvolleine sehr zarte Andeutung. Komparativ/ Superlativ zarter/ zartest, woneben aber die jüngeren Formen zärter/ zärtest noch um 1800 häufig vorkommen (L004 Johann Christoph Adelung). L.Müller: Potentielle Antonymierelationen des Adjektivs zart, in: Chronologische, areale und situative Varietäten des Deutschen in der Sprachhistoriographie, hg.G.Lerchner, 1995,375–384.
Zärte Fem. (mhd. , veraltet): einem Ohr von einiger Zärte(Jean Paul); Zärte und Kraft (Heine);
Zartheit (mhd. ), im 18. Jahrhundert sehr üblich;
Zartgefühl (1789 L033 Joachim Heinrich Campe), ⇓ "S071""S125" Lehnübertragung von franz. délicatesse; eine der wenigen rasch erfolgreichen Neubildungen Campes (L360 ZDW 6,324; 8,140); ähnlich
Zartsinn (L033 Joachim Heinrich Campe);
zärtlich ahd. zartlih; ⇓ "S075" dem Grundwort entsprechend; auf Körperliches bezogen früher
1empfindlich‹, daher oft negativer Sinn: ein Weib, das zuvor zärtlich und in Lüsten gelebt hat (Luther); den zärtlich weich gewöhnten Fuß (Schiller); sorgfältig mußte er sich nach der zärtlichen Natur des Gewächses richten, das er zog (Schiller); auf das Verhalten gegen Sinneseindrücke bezogen: ihr zärtliches Ohr (Wieland); auf das gegen Gemütseindrücke: was bist du, Seele, so zärtlich und so empfindlich (Klopstock); je zärtlicher das Temperament ist (Lessing); dieser zärtliche [›feinfühlige‹] Sinn der Griechen, der das Materielle immer nur unter Begleitung des Geistigen schuldet (Schiller); so zärtlich [›ängstlich gewissenhaft‹] dachte jener Karl auch nicht (Schiller); seit späterem 18. Jahrhundert die heutige Bedeutung
2liebevoll‹;
Zärtlichkeit mhd. zertlicheit, dem Adjektiv entsprechend zu (1) daß sie nicht versucht hat ihre Fußsohlen auf die Erde zu setzen vor Zärtlichkeit und Wollust (Luther), um die Zärtlichkeit der sämtlichen Nasen nicht zu überwältigen (Wieland); die Zärtlichkeit unserer Sitten(Schiller); das erotische Moment von zärtlich(2) besonders im Plural ›Liebkosungendie falschen Ziegen, die mich als möblierten Herrn zu Zärtlichkeiten herausforderten (A018 Heinrich Böll, Billard; 3,376); heute selten noch
zärteln (mhd. ), bei A180 Martin Lutherzu nachsichtig seinZertle mit deinem Kinde / So mustu dich hernach fur jm fürchten (Sirach 30,9); üblich
verzärteln (1664; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) ›zu weich erziehen‹.
Zärtling (14. Jahrhundert) ›verweichlichter Mensch‹ noch Raabe (L059 DWb).
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