Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Wunder
ahd. wuntar, mhd. wunder, westgermanisch (engl. wonder); anfangs1 Bezeichnung eines Seelenzustandes (dafür jetzt "Verwunderung"); noch mein Wunder stieg (Wieland), so schnell, daß ich dir mit Wunder nachsah(Klinger); so sind wir aus dem Wunder (Wieland); hierher gehört das allgemein übliche das nimmt mich wunder (mhd. des nimet mich wundermich ergreift Verwunderung darüber‹), indem wunder nehmen wie ein einfaches Verb behandelt ist, zu dem nun statt des Genitivs ein neuer Subjektsnominativ tritt, wobei der Ausgangspunkt für die Entwicklung dadurch gegeben wurde, daß man in es nimmt mich wunder das es, das von Haus aus Genitiv war (mhd. es), als Nominativ (mhd. ez) faßte (↑ "es"). In der älteren Sprache bedeutet mich nimmt wunderich bin neugierig, möchte gern wissen‹ (s. unten wundern); dieser Sinn besonders noch im Südwestdeutschen: er mag eben nicht; es nimmt ihn nicht Wunder (Hebel), es nehme ihn höchlich Wunder, ob da noch Leute dieses Geschlechtes lebten (G.Keller), nun nahm es ihn Wunder, wie Ursula aussehen möge(ders. ). A075 Johann Wolfgang von Goethe gebraucht dafür auch das seit etwa 1600 erscheinende Wunder geben, und zwar mit Dativ und Akkusativ: doch gibt mich's Wunder (Brief vom 10.3.77), es gibt mich Wunder (Brief vom 2.4.08) (also auch noch nach 1803, vgl. L059 DWb), daß es einem Wunder gäbe (Brief vom 18.3.11); seit dem Mittelhochdeutschen
2.1was Verwunderung (oder Bewunderung) erregt‹. Die zunächst subjektive Bedeutung wirkt noch nach, wie die Verwendung des Possessivpronomens zeigt, in Wendungen wie
du wirst (d)ein (blaues) Wunder erleben (drohend ›etwas, was dich in Verwunderung setzt‹); jetzt
2.2ein Ereignis oder Erzeugnis der Natur oder Kunst‹ (die sieben Weltwunder), allgemein ›was von dem Gewöhnlichen abweicht, der Erwartung widerspricht‹, speziell einerseits ›was über das gewöhnliche Maß hinausgeht‹ (ein Wunder an Schönheit), andererseits ›was wider die Naturgesetze ist‹. Zu was Wunder ↑ "was". Wunders halber/ wegenum der Seltsamkeit willen‹ nähert sich dem Sinn von ›ausnahmsweise‹: sollte der Herr Hauptpastor wohl Wunders halben hier einmal gar den rechten Begriff sich machen (Lessing). In Wendungen wie er denkt Wunder,was er kann fehlt die genauere Verknüpfung; man könnte sagen ›in bezug auf das, was er kann‹; für das Sprachgefühl gehören jetzt wunder was näher zusammen, woraus sich dann auch erklärt, daß danach Sätze gebildet werden wie der sich wunder etwas darauf einbildet (Thümmel). Ähnlich er denkt wunder, wie klug er ist, der will Wunder tun, als wenn er mich lieb hätte(Goethe), wofür wir jetzt sagen würden er tut, als ob er mich wunder wie lieb hätte. Alt sind die Zusammensetzungen von Wundermit Adjektiven zur ⇓ "S228" Verstärkung, worunter wunderschön, wunderhübsch allgemein üblich geblieben sind.
Wunderkind (1581; L059 DWb); »ein nach gaben und fähigkeiten ungewöhnliches, staunen erregendes kind« (ebenda) 1726 für das Lübecker Wunderkind Heineken (L181 Otto Ladendorf 347); Wir Wunderkinder, Film von K.Hoffmann (1958);
wunderlich ahd. wuntarlih, mhd. wunderlich; zunächst ohne tadelnden Nebensinn synonym mit wunderbar, erhöre uns nach der wunderlichen Gerechtigkeit, Gott (Luther); seit etwa 1700 ›seltsam, befremdlich‹;
wunderbar mhd. wunderbære, seit dem 16. Jahrhundert üblicher; ›wunderlich, seltsam‹ noch oft bei A075 Johann Wolfgang von Goethe: es sähe wunderbar aus, abzufahren, wenn er [der Großherzog] einkehrt (Brief vom 27.9.23). Gebräuchlicher im 16./ 17. Jahrhundert wunderbarlich; noch L004 Johann Christoph Adelung 1801 wendet sich gegen diese »unnütze Verlängerung«; seit dem 16. Jahrhundert ›außerordentlich, schön, großartig‹, Wunderbar, dasz er [W.Grimm] gerade den Buchstaben D vollendet hatte und nur correcturen zurück sind(J.Grimm am 17.12.1859 an F.L.K.Weigand); vereinzelt mittelhochdeutsch und dann bei Luther
wundersam, seltener als wunderbar und mehr literarisch; im Sinn des jetzigen wunderlich: ihre Befehle, so wundersam sie auch sein mögen, aufs genaueste zu befolgen (Rabener);
wundervoll (1631; L059 DWb), gewöhnlich nur ein allgemein lobendes Beiwort wie "ausgezeichnet"; vereinzelt ›voll von Verwunderung‹: mit den weitoffenen wundervollen Augen (Wieland);
wundern ahd. wuntaron, mhd. wundern, altgermanisch (altnord. undra, engl. wonder), althochdeutsch bereits reflexiv, daneben auch ohne Reflexivum, wobei der Gegenstand, über den man sich wundert, im Akkusativ stehen kann; bisweilen auch im Neuhochdeutschen noch
1sich wundern‹: da steht der gaffende Pöbel und wundert und spricht (Maler Müller) (vgl. auch unten); nicht ganz selten das Partizip Präsens ohne sich: mit wunderndem Blicke (Klopstock), wundernd fühlt er sein verwandelt Herz (Schiller); desgleichen den substantivierten Infinitiv: lasset nur, ihr guten Leute, euer Wundern, euer Sehnen (Goethe); zu unterscheiden hiervon ist der übliche Gebrauch
2seine Verwunderung äußern‹. Neben sich wundern steht mittelhochdeutsch, frühneuhochdeutsch und noch literarisch statt der Konstruktion mit über der Genitiv: alle wunderten sich der Rede (Luther), wundert er sich seiner Schönheit (Herder). Im Mittelhochdeutschen wird es üblich, wundern unpersönlich zu gebrauchen: mich wundert eines Dinges; noch bei (Wieland) gleichwohl wundert ihn des schwarzen Ritters; diese Konstruktion ist jetzt so umgebildet, daß anstelle des Genitivs der Subjektsnominativ getreten ist, doch pflegt als solcher nur das Neutrum der Pronomina zu stehen, das dann den Inhalt eines Satzes vertritt: das wundert mich; schon mittelhochdeutsch üblich die Verbindung mit einem abhängigen Satz wie mich wundert, daß du schon wieder da bist; mittelhochdeutsch mich wundert auch
3ich empfinde Neugier, mich verlangt zu wissen‹ (entsprechend engl. I wonder, schwed. jag undrar); so zuweilen noch neuhochdeutsch: mich wundert's, ob Titania erwachte(A.W.Schlegel), es soll mich wundern ob und wie wir uns verändert finden (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 17.10.79), wunderte es diesen, wie es dem jungen Adepten ergehe (G.Keller); allgemein üblich es soll mich doch wundern, ob er kommen wird; persönlich wundern entsprechend: die Vorgesetzten aber wunderten gar sehr, wie es mit diesem Vorhaben gehe(Pestalozzi), wenn er wundere, ob ein Land gut regiert werde(ders. ); ⇑ "bewundern", "verwundern".
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