Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
wissen
ahd. wizzan, mhd. wizzen, gemeingermanisches Präteritopräsens (got. witan, engl. wit; ↑ "dürfen"), schon indogermanisch (altind.: veda, griech. oída, lat. vidi) eigentlich ›erblicken, sehen‹, Präteritum wußte aus älterem wiste; statt er weiß südwestdeutsch nach Analogie der regelmäßigen Konjugation er weißt, eine Form, die auch Schiller in seinen Jugendwerken gebraucht (zur landschaftlich unterschiedlichen Aussprache von wissen vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 4–70), ›gelernt/ erfahren haben, Kenntnis von etwas haben‹, in weiß Gott ein Rest der im Altgermanischen üblichen Nachstellung des Subjekts im Behauptungssatz. Nicht selten mit Akkusativ und Infinitiv: sie weiß mich in Wüsten irren (Schiller), Ich habe den Eindruck, man würde Sie gerade jetzt lieber nicht in Florenz wissen (B.A025 Bertolt Brecht, Galilei; 3,1318); umgangssprachlich veraltend ich weiß jmdn. wohnenich weiß, wo jmd. wohnt‹; jmdn. etwas wissen lassen; ich weiß ein gutes Lokalusw.; Akkusativ und Infinitiv mit zu: Lügen, die man Lügen zu sein weiß(Lessing); sich zu benehmen wissen, etwas zu schätzen wissen usw. ›in der Lage sein‹; allgemein üblich auch Infinitiv mit zuohne Akkusativ, wobei wissen sich immer auf ein praktisches Verstehen bezieht: er weiß zu leben. Mehr dem gehobenen Stil angehörig ist die Verbindung des Akkusativs mit einem prädikativen Adjektiv: ich weiß ihn glücklich; ungewöhnlicher bei nichtpersönlichem Objekt: Stadt und Hof wissen es richtig (Schiller); entsprechend auch mit einem Adverb oder einer präpositionalen Bestimmung: jmdn. in Sicherheit wissen, willst das Violonzello am Hirnkasten wissen? (Schiller). Ein Dativ steht neben dem Akkusativ in jmdm. Dank wissen (↑ "Dank"); ungewöhnlich: hätt' ich dir ein so versöhnlich Herz gewußt (Schiller). Ein ich weiß nicht kann mit einem eigentlich davon abhängigen Fragepronomen oder -adverb so verschmelzen, daß die Verbindung wie ein Wort behandelt wird: ein sonst Ich-weiß-nicht-was (Goethe); mit einem, ich weiß nicht welchem, mehr als menschlichen Klang der Stimme(Wieland); hier liegt französischer Einfluß vor, da ein ähnlicher schon sehr alter Gebrauch (mhd. neizwerirgendeiner‹ aus ni weiz hwer) wieder untergegangen war; entsprechend Gott weiß: er kommt Gott weiß woher; ferner wer weiß: man kann mir wer weiß was bietennoch so viel‹, als ob mir wer weiß was daran gelegen wäreaußerordentlich viel‹. Der ⇓ "S093" Infinitiv auch substantiviert, häufig erst frühneuhochdeutsch (L059 DWb); verbreitete Formeln: Wissen (ist Macht) nach englisch 1597 Lord Bacon; Denn Wissen selbst ist Macht englische Übersetzung von For knowledge itself is power (1598; Lord Bacon, vgl. L027 Büchmann) mit Wissen (und Willen), meines Wissens, wider besseres Wissen, ohne mein Wissen. Das Partizip wissendeingeweiht in ein Geheimnis‹ (z. B. von den Mitgliedern des Femegerichts); in älterer Sprache passivisch ›bekannt‹: so viel mir wissend ist; auch daß keinem wissend sei, was ich dir jetzt entdeckt(Lessing); dir scheint noch nicht wissend, welches Unglück Dich hat betroffen (Tieck); als reines Adjektiv namentlich in Zusammensetzungen: unwissend, "allwissend". vgl. auch "bewußt", "gewiß", "Gewissen", 2"verweisen", "weise", "weisen", "Witz". wissentlich mhd. (mit sekundärem t) ›mit Wissen, absichtlich, bewußt‹; Ende des 14. Jahrhunderts
Wissenschaft mhd. vereinzelt wizzen(t)schaftNachricht, Kenntnis, Kunde‹ (üblicher dafür bis 16. Jahrhundert [L059 DWb] Wissenheit, heute nur noch in Unwissenheit, "Allwissenheit"), seit Anfang des 19. Jahrhunderts veraltet ›das Wissen von einer einzelnen Sache‹, ich habe keine Wissenschaft davon, Ihre Wissenschaften, Ihre Talente (A075 Johann Wolfgang von Goethe, I 19,157,4); daneben seit dem 16./ 17. Jahrhundert (L059 DWb) als Entsprechung für lat. scientia, älteres ↑ "Kunst" in dieser Bedeutung ersetzend;
Wissenschaftler noch L033 Joachim Heinrich Campe 1811 »in verkleinelndem und verächtlichem oder spottendem Verstande«, ersetzt älteres Wissenschafter »einer, der eine Wissenschaft treibt, sich mit den Wissenschaften beschäftigt« (Wolke; L033 Joachim Heinrich Campe), österreichisch-schweizerisch noch üblich;
wissenschaftlich L169 Matthias Kramer 1702;
Wissenschaftssprache"S208" von L264 Daniel Sanders für Heine belegt, älter: F.C.Lichtfeld, Handbuch der in der deutschen Wissenschafts-, Kunst- und Umgangssprache vorkommenden Wörter aus fremden Sprachen, 1831, im 20. Jahrhundert (nicht im L059 DWb) neu aktiviert (Th.Bungarten [Hg.], Wissenschaftssprache, 1981) ›Sammelbegriff für wissenschaftliche Fachsprachen‹.
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