Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
werden
ahd. werdan, mhd. werden, gemeingermanisches starkes Verb (got. wairþan, altnord. verða). Es stimmt lautlich zu einem indogermanischen Verb, das ›drehen, wenden‹ bedeutet (lat. verto) und zu dem -{{link}}wärts{{/link}} gehört. Die germanischen Sprachen aber zeigen von Anfang an die jetzige Bedeutung. Werden kann sein ›entstehen‹: es werde Licht! Das Partizip Präsens werdend in der neueren Sprache öfter ›noch in der Entwicklung begriffen, noch nicht fertig‹: wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen, ein Werdender wird immer dankbar sein (Goethe). Ähnlich der substantivierte Infinitiv das Werden (s. unten). Das Gewordene kann als unwillkürlich entstanden dem Gemachten gegenübergestellt werden. In prägnantem Sinn sie wird noches wird noch das aus ihr, was sich gehört, was man von ihr erwartet‹ (vgl. sie macht sich noch); von einer Kranken sie wird wieder werden [zu ergänzen: gesund]. Subjekt zu werdenkann auch ein Geschehen sein: was soll damit werden? Daher als Ausdruck der Ungeduld, wenn etwas Gefordertes nicht rasch geht: wird's bald? Das Werden kann ein Entstehen aus nichts oder aus einem schon vorhandenen Stoff sein; dieser kann mit aus angeknüpft werden: da ward aus abend vnd morgen der erste Tag (A180 Martin Luther,1.Mose 1,5). So auch aus ihm wird etwas/ nichts; was wird daraus werden? Bei aus der Sache wird etwas/ nichts ist eigentlich das bloß Vorgestellte gewissermaßen als Stoff gedacht, aus dem das Wirkliche entspringt. Ein Dativ kann zu werden hinzutreten: geworden ist ihm eine Herrscherseele(Schiller); der ursprüngliche Sinn von mir wird etwasetwas entsteht für mich, so daß es mein wird‹; es ist aber die Vorstellung des Übergehens in einen Besitz so in den Vordergrund getreten, daß auch solche Gegenstände als Subjekt gesetzt werden, die schon fertig vorhanden sind. Diese Ausdrucksform, verbunden mit einer durch zuangeknüpften Bestimmung, ist jetzt veraltet: das wurde ihm zum Lohn, Dank, zur Strafe, erhalten in zuteil werden (↑ "Teil"). Ungewöhnlich mit zu und Infinitiv: was uns Armen kaum in Träumen zu sehen wird (Wieland). In anderen Verbindungen drückt der Dativ weniger Besitz als Interesse aus, und werden zu ist soviel wie ›gereichen zu‹: er wird uns zur Last. Auch ohne Dativ erscheint werden zuin/ zu etwas geraten‹: zu Schanden, zum Gespött werden. Am gewöhnlichsten aber sind Verbindungen wie zum Mann werden (↑ "zu"). Das Kind wird zum Manne ist nicht wesentlich verschieden von aus dem Kinde wird ein Mann. Es kann also nicht bloß das Produkt, sondern auch der Stoff die Grundlage zum Subjekt gemacht werden. Indem nun außerdem das Verb sich diesen beiden Begriffen ganz untergeordnet hat, zu einem bloßen Verbindungswort geworden ist, hat sich werden zu einer Kopula entwickelt, die 2"sein" analog ist (schon urgermanisch). Als Prädikativa fungieren z. B.: Substantive im Nominativ (er wird Vater), wobei Konkurrenz mit werden zu besteht, auch bei unpersönlicher Konstruktion (es wird Tag), Adjektive (das wird gut), Partizipia zur Umschreibung des Passivums, Genitive (anderer Meinung, guten Mutes, des Teufels werden), Adverbien bei unpersönlicher Konstruktion (mir wird übel, schwer ums Herz; wie wird mir? usw.). In der älteren Sprache kann werden in allen Tempora mit dem Infinitiv verbunden sein, um den Eintritt einer Handlung auszudrücken, er ward schreien. Diese Konstruktionsweise ist geblieben im Präsens als Umschreibung des Futurs, dafür bis 14. Jahrhundert "sollen" (L012 Otto Behaghel, Syntax 2,260). Danach wird sie auch zum Ausdruck der Vermutung: es werden sich ungefähr 100 Personen in diesem Saal befinden, er wird schon angekommen sein. In die Zukunft fällt dabei nicht die in dem Satz ausgesprochene Tatsache, sondern die Feststellung derselben wird der Zukunft zugewiesen. In abhängigen Sätzen kann dann auch der Konjunktiv Prät. für eine in die Zukunft fallende oder noch unsichere Tatsache gebraucht werden: er sagte, Karl würde kommen; er meinte, es würden alle benachrichtigt sein. Der Konjunktiv Prät. steht dann auch unabhängig im Nachsatz eines hypothetischen Satzes: ich würde gehen, wenn ich wüßte. Er dringt dann zuweilen auch in den Vordersatz ein (H.Vater, in: J.P.Calbert/ H.Vater, Aspekte der Modalität, 1975,71ff.). Werden ist das einzige starke Verb, in dem die Verschiedenheit des Wurzelvokals zwischen Singular und Plural des Prät. sich erhalten hat: ward wurden. Doch ist die gewöhnliche Form wurde(mit e nach Analogie der schwachen Verben); wardgehört dem gehobenen Stil an, heute veraltet bzw. archaisierend. Das Partizip Perfekt lautet worden in der Umschreibung des Passivs (er ist betrogen worden), sonst geworden. Die ältere und die literarische Sprache hat wordenauch in anderen Fällen: Schatzmeister bin ich bei ihm worden(Lessing), dessen Armut sie nun gewahr worden (Goethe), daß du kein General worden bist (Schiller), er ist rasend worden (Schiller), bin worden grau und alt (Chamisso). Der substantivierte InfinitivWerden (mhd. ) ⇓ "S139" seit dem 18. Jahrhundert häufig und »geradezu ein modewort« (L059 DWb) in Wissenschaft und Dichtung ›Entstehung‹, wil der fried' im werden sterben(Rist; L059 DWb), häufig in (z. T. alliterierenden) Paarformeln, Werden und Wachsen, Werden und Wesen, der inhalt des dramas ist ein werden und vergehen (Novalis; L059 DWb); fest in der Verbindung im Werden begriffen (L006 Johann Christoph Adelung, Lehrgebäude 1782,2,118), im Werden sein (1835; L059 DWb).
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