Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
wenden
ahd. wenten, mhd. wenden, gemeingermanisches ⇓ "S107" Kausativum (got. wandjan, engl. wend) zu dem ursprünglich intransitiven "winden", mit doppeltem Präteritum und Partizip (↑ "senden"). Wo es von der Tätigkeit des Schneiders gebraucht wird, jetzt nur wendete, gewendet, ungewöhnlich daher: abgetragene Kleider, und schon hunderttausendmal gewandt(Schiller); ↑ "Gewand"; adjektivisch nur die älteren Partizipialformen: bewandt, ⇑ "gewandt", "verwandt". Im Mittelhochdeutschen auch intransitiv, noch vereinzelt neuhochdeutsch wohin soll ich wenden am elenden Stab(Schiller), ich selber wende mit dem blanken Stahl zur Stadt zurück (Schiller); im Sinne von ›aufhören‹ (eigentlich ›umkehren, nicht weitergehen‹) bei Luther: Gottes Zorn wird [neuere Ausgaben wird sich] an mir und meinen Brüdern wenden; sich wenden auch mittelhochdeutsch und althochdeutsch, v. a. ›sich begeben nach‹, jetzt oft sich an jmdn. wendensich mit einer Bitte, Frage an jmdn. richten‹, auch unpersönliches Subjekt: das Buch wendet sich nur an die Fachleute (L097 GWb). Vielfacher übertragener Gebrauch: Geld, Kraft, Zeit usw. an/ auf etwas wenden, ich will etwas daran wenden, Unglück in Glück wenden, nun muß sich alles wenden, Wenden nicht winden – Demo-Spruch im Oktober/ November 1989 in der DDR (siehe Wende, s. unten). Noch ausgebildeter ist übertragener Gebrauch in den Zusammensetzungen. Zu "aufwenden", "einwenden", vorwenden sind ⇑ "Aufwand", "Einwand", "Vorwand" gebildet, zu ⇑ "anwenden", "verwenden" gibt es "Anwendung", "Verwendung".Wende ahd. wenti, mhd. wende, daneben das gleichbedeutende Wendung (s. unten), ⇓ "S205" sportsprachlich beim Schwimmen, Segeln (Klar zur Wende!), Turnen sowie Eiskunstlaufen; auch ›Wendepunkt‹ im zeitlichen Sinn (↑ "Sonnenwende"): vor der Wende dieses Jahrhunderts(G.Keller), Aber dann kam sozusagen die Wende oder eher der Umschwung, der Umsprung (A105 Peter Handke, Wiederholung 24); ⇓ "S147""S175""S231" als ⇓ "S192" Schlagwort für den politischen Führungswechsel in der BRD zu Beginn der 1980er Jahre (L030 Brisante Wörter 225; eines der Wörter des Jahres 1982) und die friedliche Revolution im Oktober/ November 1989 in der DDR (neben Wir sind das Volk Wortrenner der DDR 1989, ↑ "Volk"; vgl. L131 H/ S/ T 17ff.), hier vielfach in Demo-Sprüchen: Mit dem Kopf durch die »Wende« (E.L183 Ewald Lang 131), Das Rätsel der unglaublichen Wende (1989 TAZ, 30.10.), K.D.Ludwig, Zur Sprache der Wende, in: L085 GermL 110/ 111,1992,59–70, dazu Wendepolitik, Wendethema, Wendezeit; M.Kaufmann, Wende und Wiedervereinigung, in: H.J.Heringer (Hg.), Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache 1994,177–190;
WendehalsVogelart, der Familie der Spechte zugehörig‹, »kann den hals.. um und um drehen und führet ein klägliches geschrey« (L059 DWb), zuerst 1531 Sachs (L320 Trübner) als Windhals, die »eigentliche mitteldeutsche Form« (L320 Trübner), schon 1575 übertragen »für den wetterwendischen Menschen« (ebenda) bei J.Fischart, Geschichtsklitterung [Neudruck] 447: Heuchler, Windhals, vnnd Stoll Bruder (wohl ›Kirchendiener‹), Wendehals 1579; Wendehals-Geschmeidigkeit (A200 Friedrich Nietzsche, Götzendämmerung VI,112); ⇓ "S231" aktualisiert Oktober/ November 1989 in der ⇓ "S045" DDR als Bezeichnung für SED-Genossen, die auf den revolutionären Zug der Reformen wendig aufspringen (wollen) (L131 H/ S/ T 334f.); ⇓ "S046" Demo-Spruch: Kein Artenschutz für Wendehälse! (E.L183 Ewald Lang 119);
Wendekreis 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, ⇓ "S124" Lehnübersetzung von lat. tropicus circulus;
Wendepunkt ersetzt älteres Wendungspunkt (1716 Ch.Wolff; L059 DWb) seit späterem 18. Jahrhundert (gebucht L033 Joachim Heinrich Campe 1811), v. a. Bezeichnung »einer zukunftentscheidenden (eine wende bildenden) entwicklungsphase« (L059 DWb): Christus ist der wendepunkt der geschichte (Solger; ebenda);
Wendeltreppe (1592; L059 DWb) nach ⇓ "S151" mittelniederländ. wendeltrappe, niederländ. wenteltrap, verdeutlichend für Wendelstein, wendelstieg (L059 DWb), nach L003 Johann Christoph Adelung 1786 im Hochdeutschen veraltet; dafür zuweilen (H. v.Kleist) Windeltreppe;
wendig spätahd. wendigrückgängig‹, seit dem 16. Jahrhundert übertragen ›beweglich, geschickt‹; ⇑ "inwendig", "auswendig", "notwendig";
Wendung mhd. wendunge;
1.1 gewöhnlich mit Anschluß an sich wenden: Wendung nach rechts; übertragen
1.2Veränderung‹, Wendung der Dinge, des Gesprächs, eine andere Wendung nehmen/ geben (Mitte des 18. Jahrhunderts);
2 kurz für älteres "Redewendung" ›Phraseologismus‹, die redens-art, eine artige wendung der wörter (1704; L059 DWb), »als grammatisch-stilistisches fachwort.. seit mitte des 18.jhs.« (L059 DWb).
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