Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
weit
ahd. / mhd. wit, gemeingermanisch (altnord. viðr, engl. wide);1 zunächst ›geräumig‹, ›räumlich ausgedehnt‹; man denkt nach dieser Gebrauchsweise (Gegensatz "eng") an das, was der bezeichnete Gegenstand in sich aufzunehmen vermag, man nimmt den Standpunkt der Betrachtung von innen aus nach der äußeren Umgrenzung zu, während er als "groß", "breit", "dick" bezeichnet werden kann, auch wenn er von außen angesehen wird und der Fähigkeit, etwas anderes zu fassen, entbehrt. Weit kann Ausdehnung nach allen drei Dimensionen bezeichnen, gewöhnlich die nach zweien wie ursprünglich "breit", mit dem es formelhaft verbunden wird: weite Fläche, Ebene, Welt, weites Feld usw. Besonders häufig ist die Verwendung für umschließende Kleidungsstücke; für Öffnungen: die Tür steht weit auf, den Mund weit aufmachen. Auf Unsinnliches übertragen: weites Gewissen, weite Kreise des Wissens, im weiteren oder engeren Sinn, die Definition ist zu weit;
2 auf eine Dimension bezogen Gegensatz meistens "kurz" bzw. "lang".Die Einschränkung auf eine Dimension tritt zuerst ein bei Bewegungsbezeichnungen: weit gehen, springen, werfen; weiter Gang, Weg, weite Reise. Daran schließen sich zunächst Verbindungen wie weit entfernt, weit abstehen, weit reichen, sich weit erstrecken, weitsichtig; wie weit ist es von hier bis dort?, weither; übertragen mit seinen Kenntnissen ist es nicht weit herlassen zu wünschen übrig‹ (L169 Matthias Kramer). Maßbestimmungen können hinzutreten: drei Meilen weit (statt des Akkusativs früher der Genitiv);
⊚⊚ er ist zu weit gegangen, das geht zu weit; es weit bringen; ich bin weit entfernt, dies zu mißbilligen; er steht an Begabung weit über (unter) seinem Bruder, weit hinter ihm zurück; auch literarisch: gewisse Jahre, weit unter welchen er starb (Lessing);
3 das Adverb hat sich zu einer allgemeinen Verstärkung entwickelt neben dem Komparativ (14. Jahrhundert; L059 DWb): weit besser, größer usw., veraltet mit Zwischenschiebung des Artikels: weit ein schönres Abenteuer (Wieland) wie heute weitaus, bei weitem neben ander: es ist ein andrer, weit, weit ein andrer (Lessing); neben dem Superlativ: weit das Schönste (Wieland), weit die meisten (Pestalozzi), die weit seine schönste Seite ausmachen (Gervinus); neben Verben, deren Bedeutung einen Vergleich einschließt: weit besiegte der göttergleiche Odysseus (Voß), er übertrifft ihn weit; in negierten Vergleichssätzen: hier wird der Natur weit nicht so viel Macht gegeben (Gervinus), zu deren Auflösung die feinste Anatomie noch weit nicht ausreicht (Schiller) ↑ "aus";
4 endlich Synonym zu ↑ "fern". Der Vorgang dabei ist der, daß das Beiwort, das eigentlich dem Abstand eines Gegenstandes von einem bestimmten Punkt zukommt, dem Gegenstand selbst beigelegt wird. Dieselbe Übertragung auch bei "hoch" und "tief". Wohl noch nicht hierherzuziehen ist er ist schon weit, von jmdm. , der einen Weg gemacht hat oder der in seinem Handeln, seiner Arbeit fortgeschritten ist, indem dabei weiteigentlich Adverb ist wie in er ist schon weit gekommen. Entsprechend in bezug auf Zeit und Vorgänge in der Zeit: es ist (noch nicht) so weit, er ist mit seiner Arbeit so weit, damit kommt man nicht weit, es ist weit mit ihr gekommen. Anders Paris ist weit von Petersburg statt es ist weit von Paris bis Petersburg. Es bleibt immer der Unterschied zu "fern", daß dieses mehr die Abgetrenntheit an sich bezeichnet, während bei weit die Vorstellung von der Größe des Abstandes lebendig bleibt. Daher wohl er ist 100 Meilen weit von uns, aber nicht 100 Meilen fern, auch nur wie weit und nur so weit, wenn es sich auf eine bestimmte Entfernung bezieht, während so fern nur emphatisch gebraucht wird (ich wäre schon so ferne, ferne, so weit die Welt nur offen liegt, gegangen Goethe). Von weitem statt von fern (letzteres nur gehoben), daneben nicht selten von weiten, worin vielleicht das alte Adverb witen(gebildet wie "oben", "unten") fortlebt. Wieweit, "inwieweit", soweit, insoweit berühren sich als Konjunktionen mit wiefern usw. (siehe ↑ "fern"). Der Komparativ
weiter als Adverb häufig ›über den Punkt hinaus, bis zu dem man schon gekommen ist‹. Im räumlichen Sinn (sie gingen weiter) konkurriert ferner nicht mehr. In Beziehung auf Zeit und zeitliche Vorgänge besteht ein Unterschied zwischen beiden: durch fernerwird der Gegensatz der auf den bestimmten Punkt folgenden Zeit zu der vorhergehenden deutlich hervorgehoben, in weiter liegt nur, daß etwas fortgesetzt, nicht damit aufgehört wird: ich werde auch ferner daran arbeitenebenso wie vorher‹, ich arbeite weiter; daher auch Zusammenschreibung des letzteren mit dem Verb (ich werde weiterarbeiten) und Bildung nominaler Zusammensetzungen (Weiterfahrt); daher ferner nichtnicht weiter. Bei Aufzählungen wird ferner vorgezogen, doch ist auch weiterüblich und allein möglich in und so weiterund so fort‹. Nur weiter neben Negationen oder in Fragen mit negativem Sinn ›außerdem, sonst‹: niemand, nichts weiter, was soll ich weiter tun? (Berührung mit mehr). Süddt. weiters, weiterhinfernerhin‹. Der zeitlichen Funktion des Adverbs entspricht auch die des Adjektivs: weitere Verhandlungen, Folgen; auch bei Aufzählungen: eine weitere Ursache ist; dem Gebrauch von weitersonst‹ entspricht der adjektivische in ohne weitere Umstände. Das Adjektiv wird substantiviert: das Weitere überlasse ich anderen, bis auf weiteres, ohne weiteresohne sonst etwas zu tun, ohne Vorbereitung, geradezu‹. Der adverbiale Genitiv (gehoben): ich werde des weiteren darüber nachdenken; als erstes Glied von Zusammensetzungen
weiter- v. a. bei Verben mit räumlicher Bedeutung (weiterbefördern, weitergehen) oder bei solchen, die die Fortsetzung einer Handlung, die Fortdauer eines Geschehens bezeichnen (weiterdenken, weiterentwickeln usw.); bei Substantiven zumeist Nomina actionis (z. B. Weiterfahrt) sowie bei Adjektiven, die von Verben gebildet sind (z. B. weiterbildsam; L059 DWb);
Weite ahd. witi, mhd. wite; Bedeutung und Gebrauch angelehnt an weit (z. B. die Weite des Meeres); ⇓ "S205" sportsprachlich ›Entfernung, die v. a. beim Sprung, Wurf, Kugelstoßen erreicht wurde‹: er erreichte beim Weitsprung die beste Weite (L337 WdG); ›Größe (eines Kleidungsstücks)‹: Kragenweite, Weite des Mantels;
weiten ahd. / mhd. witenweiter machen, erweitern, vergrößern‹: ein Kleid/ einen Rock etc. weitern ò[der] weiten lassen (L169 Matthias Kramer);
weitläufig (L080 Joannes Frisius 1541; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), weitläuftig,mhd. witlouftic; ⇓ "S031"geräumig, ausgedehnt‹, übertragen auf schriftliche oder mündliche Darlegungen (zunächst ohne Wertung) ›ausführlich, genau‹ (Luther; L059 DWb), seit dem 18. Jahrhundert (L059 DWb) meist ›in überflüssiger, lästiger Breite‹;
weitschweifig mhd. witsweifec"S031"räumlich ausgedehnt‹, heute nur noch ⇓ "S027" übertragen abwertend ›ausführlich, eingehend, umständlich‹ (1534; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt).
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