Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
weise
gemeingermanisches Adjektiv (got. in un-weis ›unwissend‹, engl. wise), verwandt mit ↑ "wissen"; ahd. wisi, mhd. wise, daneben die Kurzform ahd. / mhd. wis, noch in ↑ "naseweis", weismachen (s. unten), auch ↑ "weissagen". In der mittelhochdeutschen ritterlichen Epik liegt »das Kerngebiet des Wortes im Bereich einer idealen Vorstellung vom Menschen.., in der sich Ethisches, Religiöses und Intellektuelles unscheidbar verbinden«, doch gerät es als »Idealwort« auch schon »in Gefahr, inhaltlich zu verflachen« (J.Trier, Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes,21973,323/ 325);1.1 zunächst ›wissend, (sach-)kundig‹, so auch später noch, besonders in bezug auf Kriegs-, Heil-, Zauberkunst: der ungeschlachte riese dem weisen helden unterliegen müsse (Goethe; L059 DWb); weise FrauWahrsagerin‹ (veraltet), ›Hebamme‹ (franz. sage-femme) noch 20. Jahrhundert;
1.2 daneben deckte weise(lat. sapiens, prudens) auch den später auf ↑ "klug" übergegangenen Bedeutungsbereich ab; so besonders häufig und lange erhalten als (schmückendes) Beiwort von Herrschern (Friedrich der Weise), auch Bürgermeistern und Ratsherrn; Gegensatz "dumm" u.ä.: Wenn weise Männer nicht irrten, müßten die Narren verzweifeln (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Maximen und Reflexionen 232);
1.3 im religiös-moralischen Bereich ›einsichtig, vernünftig, aufs Jenseits bedacht‹;
1.4 im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen umfaßte weiseauch heutiges "gelehrt" (vgl. [1.1]), später besonders in bezug auf Philosophen und Naturkundler; auch substantiviert, A180 Martin Luther, Matthäus 2,1 die Weisen vom Morgenland (lat. magi); der Stein der Weisen; Wo jetzt nur, wie unsere Weisen sagen, / Seelenlos ein Feuerball sich dreht (A222 Friedrich Schiller, Götter Griechenlands); heute nur noch resthaft oder deutlich historisierend, öfter ironisch: danke für die weisen Ratschläge!; weise ist stärker als im Mittelhochdeutschen verbunden mit der Vorstellung von Reife und Alter, dazu im Gegensatz B. v.Arnim: sei du so alt und klug wie ich, lasz mich so jung und weise sein wie du (L059 DWb).
Weisheit ahd. / mhd. wisheit, im wesentlichen analog weise (s. oben) entwickelt; im religiös-moralischen Bereich eine der Kardinaltugenden (lat. prudentia); lange auch ›Wissenschaft‹ ("Weltweisheit" ›Philosophie‹ noch 18. Jahrhundert) und ›gelehrte Erkenntnis‹, dasz man auf universitäten lauter weisheit mit löffeln fresse (1663 Schupp; L059 DWb); heute im Plural ironisch ›Lehren, SprücheWeisheiten verzapfen;
Weisheitszahn (Anfang des 18. Jahrhunderts) ⇓ "S124" Lehnübersetzung von lat. dens sapientiae;
Weistum ahd. wistuom, seit dem 14. Jahrhundert unter Einfluß von wisenRecht sprechen‹ speziell auch ›Urteilsspruch, gesetzliche Weisung‹, dann auch dessen Sammlung, als Terminus gefestigt besonders durch J.Grimm, Weisthümer (1840ff.);  
weismachen mhd. wis machen (jmdn. einer Sache) ›belehren‹, seit dem 16. Jahrhundert jmdm. etwas weismachenvortäuschen, vorlügen‹, mit Anlehnung an ↑ "weiß" (früher oft weiß machen geschrieben).
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