Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
weh
auch wehe, ahd. / mhd. we, frühnhd. wee(L327 Voc.Teut.-Lat. 1482), altgermanisch und schon indogermanisch (got. wai, engl. woe, lat. vae);1"S057" Empfindungswort, Ausdruck von Schmerz, Klage und Kummer, oft in Verbindung mit ↑ "o" und ↑ "ach", »Wee / O wee wee / Geschrey eines bekümberten / unnd der schmertzen leydet. Vae, Interiectio« (L200 Josua Maaler 1561): Am dritten Tag, o weh und ach! / wie ist der Kaspar dünn und schwach! (H.A300 Heinrich Hoffmann, Struwwelpeter); meist mit Dativ: O Wee mir armutsaligen / Es ist auß um mich (L200 Josua Maaler); Ach weh mir Venus immer meh / Dein harter schuß thut mir so weh (1517 A218 Hans Sachs, Fastnachtsspiele 6); Weh uns! die Feinde! (A222 Friedrich Schiller, Jungfrau 5,5); mittelhochdeutsch bis ins Neuhochdeutsche mit einem Genitiv verbunden, der die Veranlassung des Ausrufs ausdrückt: owe des sündigen volcks (Luther; L059 DWb); wehe des nahmenlosen Jammers! (Weiße; L004 Johann Christoph Adelung); auch mit der Präposition über: Streckt eure Hande empor, und rufet Weh uber sie! Weh! Weh! In die Hande des Rachers! Alle. Weh! Weh! Weh! (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 8,161 LH);
2 Adverb, Komparativ weher, Superlativ am wehesten (L004 Johann Christoph Adelung), ›voll (körperlichen oder seelischen) Schmerzes‹, zumeist mit dem Verb tun (Wee thun; L037 Petrus Dasypodius 536); beide völker, Deutsche und Italiener, deren schicksale so eng verkettet sind, haben sich lange zeit einander weh gethan (J.Grimm; L059 DWb); Ein Lobspruch, den ich mir nicht zueignen kann, thut mir weher, als ein verdienter Verweis (Gellert; L004 Johann Christoph Adelung); Die Stube hat mir am wehsten gethan, da wir das Haus verkaufen mußten (A075 Johann Wolfgang von Goethe, I,11,131);
3 prädikatives und attributives Adjektiv ›voll Schmerz, schmerzlich, schmerzhaft‹, zuerst in der Verbindung wund und weh: eh' spännen wir… uns die finger wund und weh (Wieland; L059 DWb); seit dem 18. Jahrhundert auch flektiert: ein wehes herz (Chamisso; L059 DWb); in weher lust (Rückert; L059 DWb); Es ist eine wehe Empfindung, dass Sie nicht da sind (A075 Johann Wolfgang von Goethe, IV,3,162); Dieses wehe Gefühl, das nicht nachlässt? (1963 Ch.Wolf, Der geteilte Himmel 238); mit den Verben sein und werden (schon mhd. ): Mir ist so wohl, so weh! (A075 Johann Wolfgang von Goethe, I,1,19); wo dem schöpfer nicht wohl wurde bei einem werke, da kann's dem beschauer ewig nur weh sein(Gutzkow; L059 DWb); nach tische musz ich dich sehen, es wird mir schon weh auf heut abend (Goethe an Frau von Stein; L059 DWb); vgl. auch eine Zusammensetzung von Wehsein und Frohsein (Schiller).
Weh"S077" althochdeutsch bis 14. Jahrhundert Mask. , seither Neutr. , ›Schmerz, Kummer‹: meinen busen drückt / das gröszte weh (G.A.Bürger; L059 DWb); Hinter dem U kommt gleich das Weh, / Das ist die Ordnung im ABC (A222 Friedrich Schiller, Wallensteins Lager 8.Auftritt); häufig als zweites Glied von Zusammensetzungen: Halsweh, "Kopfweh", "Fernweh" ↑ "fern", Zahnweh ↑ "Zahn"; in Paarformeln: O Mutter / es ist angst vnd weh(1553 A218 Hans Sachs, Fastnachtsspiele 80); Röslein wehrte sich und stach, / Half ihm doch kein Weh und Ach (A075 Johann Wolfgang von Goethe, I,1,16); Wohl und Weh (E.T.A.A127 Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, Denner 9,86); dafür mhd. auch wewe schwaches Mask. ; davon neuhochdeutsch der Plural erhalten
Wehen, v. a. in der eingeschränkten Bedeutung Geburtswehen (13. Jahrhundert): hart sind die wehen der gebährerin, / drum lieben alle mütter so die kinder(Schiller; L059 DWb); selten noch in allgemeinem Sinn: vor den Wehen der ungestillten Lust (G.A.Bürger); doch der Menschheit Angst und Wehen fühlet mein gequältes Herz (Schiller); Wehen der Sterblichkeit (Tieck); Herzenswehen (G.A.Bürger); Nachwehen Fem. Plural, zunächst ›die nach der Entbindung auftretenden Kontraktionen der Gebärmutter‹ (L200 Josua Maaler 1561), dann auch ⇓ "S027" übertragen ›(unangenehme) Nachwirkungen‹ (1727; L059 DWb); dazu als Singular Wehe Fem. (Luther); seit dem 19. Jahrhundert umgangssprachlich im Umgang mit Kindern
Wehweh Neutr. : Doch schwerlich, ach, befördert je / Das ganz gewöhnliche Wehweh (1883 W.A033 Wilhelm Busch, Bählamm).
wehe"S209" Sprechhandlungspartikel ›Sprecher warnt vor nachteiligen Folgen der beschriebenen Handlung oder droht eine eigene Maßnahme an‹, satzisoliert oder mit Dativ: Antonia. Wehe den Eltern / die ihre Tochterlein zusehr in der Jugend verzarteln! Selene. Wehe den Tochtern / die nicht selber ihr bestes suchen / und es auff der wunderlichen Mutter Vorsorge ankommen lassen (A095 Andreas Gryphius, Horribilicribrifax 7,52); Maria. Edler Mann! Edler Mann! Wehe dem Jahrhundert, das dich von sich stieß!Lerse. Wehe der Nachkommenschaft, die dich verkennt! (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 8,166 LH); Wehe, wenn sie losgelassen (A222 Friedrich Schiller, Glocke); Aber wehe, wehe, wehe! / Wenn ich auf das Ende sehe! (W.A033 Wilhelm Busch, Max und Moritz, 7.Streich); Vorläufig muß man sich noch mit ihm verhalten, aber wehe, wenn ich der Stärkere bin! (H.A182 Heinrich Mann, Untertan 115).
Wehklage Fem. , ↑ "Klage", wohl Rückbildung aus dem Ende des 15. Jahrhunderts belegten Verb wehklagen;
wehleidig (17. Jahrhundert), ursprünglich eher im Sinne von ›bekümmert‹, dann ›(übertrieben) schmerzempfindlich‹: ein mannsbild musz nicht so wehleidig seyn, und am wenigsten ein junggeselle (Bäuerle; L059 DWb), niederdeutsch auch ›wehmütig‹ (L059 DWb); dazu Wehleidigkeit;
Wehmut Fem. , im 15. Jahrhundert aus mittelniederdt. wemod und als ⇓ "S183" Rückbildung zu wehmütig (↑ "Mut"); ursprünglich ›Zorn‹, daraus allmählich die heutige Verwendung für den sanften Schmerz der Sehnsucht: so offt ich ietzundt sein gedenck / vor wehmut ich ein seufftzen senck (Sachs; L059 DWb).
Wehmutter Fem. , ›Hebamme‹ (zuerst A180 Martin Luther, 1 Mose 35,17 u.ö.): schnell muszten die diener eilen, um wehmutter und arzt herbeizurufen(E.T.A.Hoffmann; L059 DWb); selten dafür Wehfrau (L004 Johann Christoph Adelung).
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