Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
wallen
1"S087" ahd. wallan, mhd. wallen, westgermanisch, ursprünglich stark (mhd. Präteritum wiel, oberdeutsch noch 16. Jahrhundert, Partizip gewallen) mit Verwandtschaft auch im Gotischen und Skandinavischen; ›in unruhiger, bald steigender, bald fallender Bewegung sein‹, zunächst von Flüssigkeiten (Fluten, Tränen wallen), insbesondere jetzt von siedenden; die Vorstellung des Siedens liegt auch zugrunde bei das Blut wallet ihm im Leibe (L308 Kaspar Stieler). Weiterhin auch ohne Bezug auf Flüssigkeiten von Feuer, Dampf, Nebel, Wolken, Traumbildern usw., von Locken, Gewändern, Fahnen, Segeln; von Gemütsbewegungen: dem süßen Schauer, der ihr entgegenwallt (Klopstock), bei dieser Liebe zum Vergnügen, die in deiner Brust wallet (Wieland), wie Freude mir vom Herzen wallend fließt (Goethe); oft wallte in mir der Gedanke auf, zur Polizei zu gehen (Gutzkow). Eine Vermischung mit ↑ 2wallen liegt vielleicht vor, wenn 1wallenvom sanften Dahinfließen gebraucht wird: am Bach, der durchs Gebüsch… wallte (Hölty); oder von der Fortbewegung eines Gegenstandes auf dem Wasser, unser Nachen wallte (Heinse). Dazu "aufwallen", überwallen, umwallen. Wallung (L308 Kaspar Stieler 1691; zuvor im L327 Voc.Teut.-Lat. 1482 bereits Zusammensetzungen mit Wallung; L059 DWb), zunächst von der Bewegung des Wassers, dann v. a. von Gemütsbewegungen: Der Prinz… , der… in heftiger Wallung war (A222 Friedrich Schiller, 16,155,3); umgangssprachlich
jmdn. in Wallung bringenjmdn. in einen heftigen Erregungszustand (Zorn o.ä.) versetzen‹ (L337 WdG), auch ›auf Trab bringen‹: Komm in Wallung!
2"S087" ahd. wallon, mhd. wallenwandern‹, westgermanisch schwach, verwandt mit ahd. wadalonumherstreifen‹. Bis zu seiner ⇓ "S148" dichtersprachlichen Wiederbelebung im 18. Jahrhundert bis auf bibelsprachliche Verwendung außer Gebrauch gekommen; ›umherwandern (in der Fremde)‹: ach, wie lang ist's, daß ich walle suchend durch der Erde Flur (Schiller); wie "wandern" mit Richtungsbezeichnungen verbunden: daß wir von fern her in das Land gewallt (Schiller), heute oft spöttisch: Seine Mutter… wallte mit einem langen schwarzen Schleier durch Vegesack(Oelfken; L337 WdG). Biblisch wie "wandeln" auf den Lebensweg bezogen: führet euren Wandel, solange ihr hier wallet, mit Furcht (Luther), nun wall' ich hinab mit Ruh' zu dem Grabe (Klopstock). Schon mittelhochdeutsch vorzugsweise ›zu einer heiligen Stätte pilgern‹: nach dem heil'gen Grab sie wallen(Schiller); übertragen wallet nicht zu dem Schönen die Welt? (Schiller).
Waller mhd. wallærePilger‹; übertragen Ja wohl bin ich nur ein Wandrer, ein Waller auf der Erde! (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 19,112);
Wallfahrt mhd. wallevart (daneben mhd. betevart); ›Reise zu einer heiligen Stätte‹; auch auf den Lebensweg bezogen: die Zeit meiner Wallfahrt ist hundertunddreißig Jahre, wenig und böse ist die Zeit meiner Väter in ihrer Wallfahrt (Luther); übertragen auf »weltliche Kultstätten«: Ich habe die Wallfahrt nach meiner Heimath mit aller Andacht eines Pilgrims vollendet (A075 Johann Wolfgang von Goethe, I 19,108); Wallfahrt nach Weimar (zu Goethe) (Treitschke; L320 Trübner). Daraus im 16. Jahrhundert abgeleitet
wallfahrten, durch das wallen zurückgedrängt ist (daraus jetzt veraltet Wallfahrter); daneben seit dem 16. Jahrhundert aus wallen varn das jetzt vorherrschende
wallfahren auch übertragen und wenn es heute eine amerikanische Physik gibt, die nicht mehr nach Europa wallfahren muß(A159 Heinar Kipphardt, Oppenheimer 270); seit Ende des 17. Jahrhunderts das jetzt allein übliche
Wallfahrer.
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