Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
wählen
ahd. wellen, mhd. wel(le)n, gemeingermanisches schwaches Verb, verwandt mit ⇑ "wohl", 2"wollen"; Synonym früher ↑ "kiesen"; zunächst1aus mehreren Möglichkeiten jmdn. / etwas aussuchen bzw. sich für jmdn. / etwas entscheiden‹, es ist hier nicht zu wehlen (L308 Kaspar Stieler), Ist es so schwer, zwischen Himmel und Hölle zu wählen? (A222 Friedrich Schiller, Räuber 2,3), in festen Verbindungen sich etwas/ jmdn. wählen, präpositional mit aus, unter, von, zu: Wähl' einen aus den Edeln deines Heers(A075 Johann Wolfgang von Goethe, Iphigenie 5,6); das Partizipialadjektiv gewähltsorgfältig ausgesucht‹ seit dem Frühneuhochdeutschen: ein guetten schotten, der gewelet sey (Sachs; L059 DWb), seit dem 18. Jahrhundert weiterentwickelt und vor allem auf das gesprochene und geschriebene Wort bezogen: in Engels schriften ist der ausdruck gewählt (1794; L059 DWb); seit dem Mittelhochdeutschen speziell
2jmdn. zu einem Amt bestimmen‹, einen zu etwas… zum rahtsherrn wehlen(L308 Kaspar Stieler), er darf noch nicht wählen (L059 DWb), in den Vorstand, Ausschuß wählen (L320 Trübner), wählen gehen »ist zum festen Begriff geworden« (ebenda); seit den 1920er Jahren im Fernsprechwesen
3 eine Telefonnummer wählen zur Herstellung der Verbindung mit dem Gesprächspartner: Bitte wählen Sie! Werden wir im Fernsprecher aufgefordert, wenn wir das Gespräch im voraus bezahlt haben (L320 Trübner). Zusammensetzungen erwählen, auswählen, "auserwählen".
Wähler (mhd. ); zumeist ›wer jmdn. in ein Amt wählt‹, anfangs speziell ›Kurfürst‹: Und alle die Wähler… umstanden geschäftig den Herrscher der Welt (A222 Friedrich Schiller, 11,382); in der Demokratie: der Wähler hat entschieden; abgeleitet
wählerisch (L308 Kaspar Stieler) noch bis L004 Johann Christoph Adelung bzw. L033 Joachim Heinrich Campe schriftsprachlich »unedel« bzw. »niedrig«, ›schwer zufriedenzustellen‹, besonders in bezug auf Speisen, später auch allgemein in ihrem umgange nicht wählerisch, tranken und rauften sie sich… mit den bauern in der schenke (Freytag; L059 DWb);
Wahl ahd. wala, mhd. wal(e), könnte formell das Grundwort zu wählen sein, ist aber wohl erst aus dem Verb rückgebildet. Synonym ist ursprünglich mhd. kür, ↑ 1"Kur";
1freies, abwägendes, entscheidendes Aussuchen unter verschiedenen Möglichkeiten‹, Ists Wahl, wenn des Gestirnes Macht den Menschen ereilt in der verhängnisvollen Stunde? (A222 Friedrich Schiller, Braut 2,5); die Wahl habenentscheiden können‹, keine Wahl haben / jmdm. bleibt keine (andere) Wahlmüssen‹, die Wahl lassen (Hartmann von Aue; L059 DWb), zur Wahl stellen, nach Wahl (mhd. ; L059 DWb); sprichwörtlich wer die Wahl hat, hat die Qual (14. Jahrhundert); ohne Maß und Wahl, Wahl der Worte (Steinbach), wahllos; eine Wahl treffen (18. Jahrhundert), die wahl der mittel (Gellert; L059 DWb), "Damenwahl" ↑ "Dame"; als Qualitätsbezeichnung von Handelsware ›Güte‹ wohl erst neuer (L201 Lutz Mackensen; nicht L277 Alfred Schirmer, Kaufmannssprache), auch übertragen
erste/ zweite/ dritte Wahl;
2 speziell ›Bestimmung zu einem Amt, einer Vertretung‹ (mhd. , »seit entwicklung des parlamentarischen lebens reicher entfaltet« (L059 DWb), freie… mündliche… schriftliche wahl(L308 Kaspar Stieler), dasz er die auf ihne gefallene wahl annehme (1767; L059 DWb), worauf die wähler… sich der wahl enthielten (1871; L059 DWb); nur hierfür Plural Wahlen;
Wahlspruch eigentlich ›erwählter Spruch, Devise(1)‹ (↑ "Devise"), ⇓ "S071""S123" Lehnschöpfung Zesens für symbolum (1648), zunächst für den auf dem Wappen angebrachten Spruch, dann freier für eine Maxime, die sich jemand zur Richtschnur erwählt hat;
Wahlverwandtschaft 1779, ⇓ "S124" Lehnübersetzung der vom schwedischen Chemiker Bergman so bezeichneten attractio electiva (1775) durch C.E.Weigel (L164 Friedrich Kluge); ⇓ "S041" ursprünglich Bezeichnung der Neigung zweier chemischer Körper, sich zu vereinigen, obwohl sie schon jeweils mit einem anderen Körper verbunden sind (Albertus Magnus, Galilei: affinitas). ⇓ "S032" Goethe überträgt in den Wahlverwandtschaften (1809) den Ausdruck auf menschliche Beziehungen: man glaubt sich nunmehr berechtigt, sogar das Wort Wahlverwandtschaft anzuwenden, weil es wirklich aussieht, als wenn ein Verhältnis dem andern vorgezogen, eins vor dem andern erwählt würde (A075 Johann Wolfgang von Goethe, I,20,53; Wahlverwandtschaften 1,4). Nicht durchgesetzt hat sich Wahlanziehung (Herder, übertragen bei Jean Paul, Schelling; L059 DWb).
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