Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
verwegen
starkes Verb verwegen reflexiv mit Genitiv ›wagen, sich erkühnen‹ (mhd. ) öfters noch bei A279 Christoph Martin Wieland (der ist des Todes,… der je des Frevels sich verwäget Oberon 10,6) und A222 Friedrich Schiller (Hat sich der Landmann solcher That verwogen Tell 4,2), jetzt veraltet; etymologisch zu ⇑ "wägen", "bewegen". In allgemeinem Gebrauch geblieben die alte Form des Partizip Prät. verwegen als Adjektiv (spätmhd.), mit analogischem Ausgleich gelegentlich verwogen, so A222 Friedrich Schiller (hinter ihr verwogen / Folgt er mit dem Todesbogen Der Alpenjäger), Goethe, R.Wagner, noch G.Hauptmann (L059 DWb), seit späterem 19. Jahrhundert scherzhaft umgangssprachlich (L107 S. Hetzel 1896), besonders auch ⇓ "S211" studenten- und ⇓ "S193" schülersprachlich (1931; L115 Helmut Henne/ L115 Georg Objartel 5,578);1.1 besonders frühneuhochdeutsch in religiöser und moralischer Wertung stark negativ ›ruchlos, frevelhaft, gewissenlos‹, bis in jüngere Zeit: fleuch! elender.. dasz du die heilige stäte / künftig nicht mehr… verwegen entheiligst (Klopstock; L059 DWb); o verwegener, schändlicher bube (G.A.Bürger; L059 DWb);
1.2 im sozialen Umgang ›anmaßend, dreist(2)‹, auch ›zudringlich (besonders gegenüber Frauen)geh den Weibern zart entgegen / … wer rasch ist und verwegen, / Kommt vielleicht noch besser fort (Goethe; L027 Büchmann); substantivisch in der abwehrenden Anrede: verwegner, keinen schritt! (Goethe; L059 DWb);
2 seit dem Frühneuhochdeutschen zunehmend und heute gewöhnlich ›sehr mutig, kühn(1) und (2.1)(↑ "Mut")in verschiedenen Schattierungen,
2.1 »ohne tadelnde nebenbedeutung« (L059 DWb) besonders in bezug auf das Kriegshandwerk (Aspekt der Pflicht): die fridericianischen traditionen des heeres sprachen für die verwegene offensive (Treitschke; L059 DWb); Das ist Lützow's wilde verwegene Jagd(Th.Körner); auch sonst: den einsichtigen, kühnen, ja verwegenen mann (Goethe; L059 DWb); der verwegene flug unsers denkens (Schiller; L059 DWb);
2.2.1 »in einem bösen Sinn gebraucht.. drückt eine unüberlegte Kühnheit aus, wodurch man sich ohne Noth in Gefahr begiebt« (L311 Samuel Johann Ernst Stosch 1785 1,85); verwegen spielen (L169 Matthias Kramer 1702); Phaëton, verwegener jüngling, sich durch übermuth den tod zuziehend (Goethe; L059 DWb);
2.2.2 »ohne vernünftige Wahrscheinlichkeit des Erfolgs« (L064 Johann August Eberhard/ L064 Johann Gebhard Ehrenreich Maaß 1820, Zusätze 5,163), hierher wohl Ein verzweifeltes Uebel will eine verwegene Arznei (A222 Friedrich Schiller, Fiesko 4,6);
2.3 in ästhetischem Diskurs ›ungewöhnlich, überraschend‹, somit ›neuartig‹, ›anziehendsie [die Dichter] gebrauchen kühne wendungen, verwegene wortfügungen (Ramler; L059 DWb); Ein verwegener Ausdruck, der sonst wenig gebräuchlich ist, kann im Affekte schön werden (Gellert; L264 Daniel Sanders);
3 abgeschwächt besonders in bezug auf Kopfbedeckung ›flott(4), keck(5)der… den hut verwegen auf einem ohr trug (G.Freytag; L059 DWb).
Verwegenheit (14. Jahrhundert) gleich ferne von Verwegenheit und Furcht… wandelt sie die schmale Mittelbahn des Schiklichen (A222 Friedrich Schiller, Karlos 3,2); daneben Verwogenheit noch 19. Jahrhundert.
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