Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
vertragen
ahd. firtragan, mhd. vertragen (↑ "tragen");1an einen anderen Ort tragen‹ (ahd. ; L059 DWb): daß dieses Buch aus einer Provinz in die andere vertragen wird (Lessing), auch mit dem Nebensinn ›von dem Ort, wo es hingehört, wegtragen‹ (frühnhd.; ebenda), ↑ "verschleppen", ich habe es vertragen und weiß nicht mehr wohin (L004 Johann Christoph Adelung), seine Kinder, die der Storch vertragen hat (Eichendorff) (noch landschaftlich); auch jmdm. etwas vertragen: der euch eingab mir das zu vertragen (Goethe, Brief vom März 1773); ›austragen, umhertragenweiters hat er die Gemeindeschriften zu vertragen (Rosegger), sein Vater hatte ihn früh zum Vertragen der Briefe und Packete gebraucht (C.F.Meyer);
2durch langes Tragen abnutzen‹: zerrissene und vertragene alte Lumpen(Luther), Könige und Fürsten gleich alten vertragenen Kleidern abzutun (Arndt), in ihrem vertragenen Kleidchen kam sie zu ihm in den Garten (Storm) (noch landschaftlich);
3 ähnlich wie ↑ "ertragen"(1) ›widerstandsfähig genug sein, etwas auszuhalten‹ (ahd. ; L059 DWb): ihr vertraget gerne die Narren, dieweil ihr klug seid (Luther); Hitze, Kälte, Durst, Hunger vertragen; der Magen verträgt diese Speise nicht; er kann viel vertragen, das kann ich nicht vertragen (auch in bezug auf Behandlung durch Worte). In neuerer Zeit auch mit leblosem Subjekt: die Gemeindeordnung möchte deshalb eine noch gründlichere Beratung sehr wohl vertragen (Bismarck);
4 veraltet eine Sache vertrageneine Streitsache austragen, abmachen‹: es hieß ja, alles wäre vertragen und geschlichtet (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Götz 1,1). Altertümelnd bei Schiller drum hat der edle Graf von Rochepierre vertragen mit dem Feind, sich zu ergeben. Frühneuhochdeutsch auch Leute miteinander vertragenzur Versöhnung bringen‹, bis ich mit meinen Gegnern vertragen bin (Goethe); dafür jetzt sich vertragen, und ließ mit den Juden handeln und vertrug sich mit ihnen (Luther), was noch so wütend ringt, sich zu zerstören, verträgt, vergleicht sich (Schiller); allgemein ich habe mich wieder mit ihm vertragen; sprichwörtlich Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. In der neueren Sprache sich mit jmdm. (gut, schlecht usw.) vertragen auf ein schon bestehendes Verhältnis bezogen; auch übertragen das verträgt sich nicht mit meiner Pflicht, mit meinen Grundsätzen.
verträglich mhd. vertregelich; »am ausgedehntesten« (L059 DWb)
1friedfertig‹, ›umgänglich‹ (im Anschluß an sich vertragen, s. oben) verträglich, tugendhaft, voll ehrfurcht gegen gott (Brockes; ebenda); im Anschluß an vertragen(3)
2vereinbar‹, auch ›bekömmlichin verbindung der verträglichsten farben (Lessing; ebenda); eine leicht verträgliche speise(L109 Moriz Heyne); vgl. sozialverträglich ↑ "sozial";
Vertragauf Gegenseitigkeit beruhende (schriftliche) Übereinkunft‹, im 15. Jahrhundert (vgl. L059 DWb) als zuerst mitteldeutsche Bildung zu vertragen(4);
vertraglich (1909; L059 DWb), ›gemäß dem Vertrag‹, ›durch Vertrag festgesetzt‹.
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