Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
vermuten
(16. Jahrhundert, mittelniederdt. vormoden) von Norddeutschland ausgegangen; ›annehmen, für wahrscheinlich halten‹ (vgl. älteres "mutmaßen", ↑ "Mut"). Jetzt gewöhnlich mit daß-Satz oder einem Objekt allgemeiner Art, ich vermute das, es, etwas, was ich vermute, was vermutest du?; auch mit Substantiven als Objekt, gewöhnlich aber nur mit einer näheren Bestimmung: ich vermute einen Streich von ihm; eine solche Eigenschaft hätte ich nicht bei ihr vermutet. Ungewöhnlich mit prädikativem Adjektiv: den Knaben vermutet er von vornehmem Hause ihrer Führung anvertraut (Goethe). Im 18. Jahrhundert häufig mit reflexivem Dativ: ich glaube, daß sie sich dergleichen fremden Antrag niemals vermutet hätten (L004 Johann Christoph Adelung); dann auch mit Genitiv: eine Tat, deren sich kein Mensch vermutet hätte(Lessing); einen Streich, dessen er sich nicht zu ihr vermutete(Wieland). Ferner im 18. Jahrhundert die Umschreibung vermutend sein nicht selten: ich war mir Sie in dem Vorzimmer nicht vermutend (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Emilia Galotti 2,7); solcher Ergebenheit war ich mir von Domingo nicht vermutend (Schiller). Statt des Partizips auch der Infinitiv: das warst du nicht vermuten (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Nathan 2,1); ich war mir noch keinen Schuß vermuten (Claudius). Der Infinitiv substantiviert in wider, gegen alles Vermuten, auch allem Vermuten nach (Lessing); adjektivisch unvermutet.vermutlich (16. Jahrhundert); Adverb (er wird vermutlich kommen) und attributives Adjektiv (vermutliche Dauer ihres Aufenthaltes); früher auch prädikativ: es ist vermutlich, daß ich Wege gefunden haben könnte, nach Athen zurückzukehren(Wieland); ohne Verb wie "vergebens"(2), "vielleicht": vermutlich, daß er ihn kannte (Lessing)
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Ansicht: vermuten