Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
ungefähr
zusammengewachsen aus ane gevære (14. Jahrhundert) ›ohne Hinterlist, ohne böse Absicht‹, so daß ohngefähr (bis ins 19. Jahrhundert) die konsequente Fortsetzung ist, neben der seit dem 15. Jahrhundert (wegen der auch sonst in Zusammensetzungen häufigen Vermischung von un- und ohn-) die im späteren 18. Jahrhundert (L004 Johann Christoph Adelung) dominante Form mit un- aufkommt. Frühneuhochdeutsch gewöhnlich noch getrennt geschrieben;1 ungefähr wird seinem Ursprung gemäß zunächst adverbial gebraucht. Aus der früh geschwundenen ursprünglichen Bedeutung sind zwei Verwendungsweisen abgeleitet:
1.1nicht mit Absicht‹, dann überhaupt ›zufällig‹, formelhaft erhalten in (wie) von ungefährunabsichtlich, zufällig‹. Zunächst konnte es in diesem Sinn nur verwendet werden für Handlungen, aus denen einem anderen ein Schaden erwachsen konnte, da es ja eigentlich nur das Fehlen einer bösen Absicht ausdrückte. So steht es z. B. noch bei A180 Martin Luther: Wenn er jn aber on gefer stösset on feindschafft (4.Mose 35,22); aber andere Stellen zeigen, daß bereits die Verallgemeinerung eingetreten ist, z. B. Es begab sich aber on gefehr / das ein Priester dieselbige strasse hin ab zoch (Lukas 10,31), wenn nun auch ein großmütiger Herr ungefähr krank würde (Gellert), er erschrak, wenn er seinen Siegwart ungefähr aufs Zimmer kommen sah (Miller), zeigt mir ungefähr ein klarer Brunnen in seinem reinen Spiegel einen Mann(Goethe); seit dem 19. Jahrhundert unüblich;
1.2 die noch jetzt allgemeine Verwendung bei Angaben, für deren vollständige Genauigkeit man nicht eintreten kann ›rund, circa, etwa‹ reicht bis in die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts zurück. Der ursprüngliche Sinn dabei ist wohl, daß es nicht als Absicht geschehen ist oder daß es nicht als Absicht angerechnet werden soll, wenn die Angabe nicht ganz richtig gemacht ist (vgl. lat. sine dolo ›ohne Arglist‹);
2 sekundär ist die adjektivische Verwendung in beiden Bedeutungen:
2.1 (veraltet) ein ungefährer Stoß(Gellert); in einer ohngefähren Zusammenkunft(Heinse); durch das ungefähre Untereinanderwerfen der Lettern(Lessing); ein ungefähres Wort (Tieck); das Ungefähre, was sich in ihr [der Zukunft] hin und her bewegt (Goethe)
2.2 wenn ich Ihnen den ohngefähren Tag bestimme, auch jetzt noch ungefähre Angabe, Schätzung u. dgl.
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