Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
un-
indogermanisches verneinendes Präfix in nominalen Zusammensetzungen, verwandt lat. in-, griech. a(n)-, ursprünglich nur eine Abschwächung aus der alten Verneinungspartikel neben Verben, ahd. ni (lat. ne), die in "nicht", "nein", "niemand" usw. erhalten ist. Über die Vermischung mit ohn-("ohne") vom 15.-18. Jahrhundert ↑ "ungefähr";1 ursprünglich wurde un- nur in der Zusammensetzung mit Adjektiven gebraucht, und hier ist seine Anwendung immer am ausgedehntesten geblieben. Doch kann nicht jedes Adjektiv damit zusammengesetzt werden. So z. B. nicht die Farbenbezeichnungen rot, blau, gelb usw., weil sie nicht einen einfachen Gegensatz haben. Bei vielen ist das Vorhandensein eines besonderen Wortes für den Gegensatz der Grund gewesen, daß Zusammensetzungen mit un-nicht gebildet oder wenigstens nicht recht üblich geworden oder wieder untergegangen sind: groß, hoch, breit, dick, fest, hell, zahm, kühn, reich, schnell, süß. Zu "billig" in der ursprünglichen Bedeutung wurde unbillig gebildet, jedoch konkurriert dieses nicht mit "teuer". Von Wörtern, die an sich einen negativen Sinn haben, ist die Zusammensetzung im allgemeinen nicht gebräuchlich: böse, übel, schlecht, arg, gering, bloß, nackt. Dagegen ist sie besonders häufig bei Ableitungen aus Verben, bei denen es kein anderes Mittel gibt, den Gegensatz auszudrücken. Vielfach sind diese nur in der Zusammensetzung mit un-gebräuchlich: "unabänderlich", "unablässig", unabweisbar, unabweislich, unaufhaltsam, "unaufhörlich", unauflöslich, unauslöschlich, "unausbleiblich", "unaussprechlich", "unausstehlich", unbeirrbar, unbeschreiblich, unbezwinglich, undurchdringlich, unentgeltlich, "unerbittlich", "unerfindlich", unerforschlich, unergründlich, unermeßlich, unermüdlich, unersättlich, "unerschöpflich", unerschütterlich, unerschwinglich, unersetzlich, unersteiglich, unleugbar, unnachahmlich, "unnennbar", unrettbar, unüberhörbar, unübersteiglich, unübertrefflich, "unsagbar", "unsäglich", unüberwindlich, unumgänglich, unumstößlich, "unverbesserlich", unvergleichlich, unverletzlich, unverlierbar, unvermeidlich, unvorgreiflich, unweigerlich, unwiderleglich, unwiderstehlich, unwiderruflich, unwiederbringlich, unzerstörbar, unzertrennlich u. a. Nur in der Zusammensetzung mit un-erhalten ist auch "ungestüm". In den Ableitungen aus unfesten Zusammensetzungen sinkt die erste Silbe, die den Hauptton trägt, durch die Zusammensetzung mit un- zur Tonlosigkeit herab: "unabhängig", unanstößig, unvorsichtig, unzulässig, unzugänglich. Eine entsprechende Verschiebung findet statt bei unbarmherzig, unbotmäßig, unbußfertig; "unachtsam", undankbar u. a. Andererseits hat un- vielfach den Hauptton an die stärkstbetonte Silbe des zweiten Bestandteils abgegeben, und ist dann tonlos unmittelbar vor der haupttonigen Silbe, nebentonig, wenn es von dieser noch durch eine Silbe oder mehrere getrennt ist: unendlich, unmöglich, "undenkbar", "unglaublich"; unabsehbar, unbegreiflich; unüberwindlich, ununterscheidbar, unwiderstehlich. Insbesondere gilt diese Betonungsweise für alle diejenigen Wörter, die nur in der Zusammensetzung mit un-gebräuchlich sind;
2 Partizipien werden mit un- zusammengesetzt, sobald sie adjektivische Natur angenommen haben: "unbedingt", "unbefangen", "unbekannt", unberufen, unbeschränkt, unbesonnen, unbestimmt, "unbewußt", unentschieden, unerfahren, "ungebunden", ungelehrt, ungeschickt, "unverschämt", unverzagt; unbedeutend, unbefriedigend, ungenügend, ungeziemend, unpassend, unvermögend, unwissend, unzureichend, unzusammenhängend, unzutreffend. Manche erhalten adjektivische Natur erst durch die Zusammensetzung: unausgesetzt, "unbescholten", "unentwegt", "unerhört", "ungehalten", "ungehobelt", ungemessen, "ungesäumt", "ungeschliffen", "ungezogen", "unumschränkt", "unumwunden", "unverfroren", "unverhofft", unverrückt (nicht zu einfachem adjektivischen "verrückt"), unversehen, "unverwandt" (mit unverwandten Augen). Die Zusammensetzung mit un- greift aber auch über in die eigentliche partizipiale Verwendung, in der älteren Sprache noch mehr als in der neueren. So ist es v. a. üblich, das mit un- zusammmengesetzte Partizip eines jeden beliebigen Verbs in der Verbindung mit bleiben oder lassen zu gebrauchen, es bleibt (ich lasse es) unerörtert. Ähnlich in Verbindung mit sein, wenn ein noch, bis jetzt o. dgl. dabeisteht. Überhaupt wird un- verwendet, wenn die Fortdauer eines Zustands ausgedrückt werden soll: eine Königin, die ihre Tage nicht ungenützt verbringt (Schiller). Dagegen für uns veraltet: sei unverworren mit dem, der Heimlichkeit offenbaret (Luther). Ferner kann eine Zusammensetzung mit un- als prädikatives Attribut stehen: ich gab ihm den Brief ungeöffnet zurück; unverrichteter Dinge. Einige Zusammensetzungen mit Partizipien nähern sich (zunächst in der Kanzleisprache) dem Charakter von Präpositionen und Konjunktionen: "unangesehen", "unbeschadet", "unerachtet", "ungeachtet";
3 in der Zusammensetzung mit Substantiven ist der Gebrauch von un- erst innerhalb des Germanischen entwickelt und immer viel eingeschränkter geblieben. Bildungen wie Unreinheit oder mhd. unsüeze gehören eigentlich nicht hierher, da sie vielmehr als Ableitungen aus den Adjektiven unrein, unsüeze aufzufassen sind. Sie werden aber den Anstoß zur Bildung wirklicher substantivischer Zusammensetzungen gegeben haben;
3.1 die gebräuchlichsten unter ihnen sind: Unbedacht, Unbehagen, "Unbill", Undank, Unehre, Unfriede, "Unfug", "Ungeduld", "Ungelegenheit", "Ungemach", "Ungeschick", Unglaube, "Unglimpf", "Unglück", "Ungnade", Ungunst, "Unheil", Unlust, Unordnung, "Unrat", "Unrecht", "Unruhe", "Unschuld", "Unsinn", Untreue, Untugend, Unvermögen, "Unvernunft", "Unverstand", {{link}}Unwille{{/link}}, "Unzeit", "Unzucht". ⇓ "S126" Goethe liebt sonst nicht übliche Zusammensetzungen, "Unbegriff", Ungenuß, Unmitteilung, Unteilnahme, Untrauen, Unkenner. Außerhalb der Zusammensetzungen untergegangen ist der zweite Bestandteil von "Unflat", Ungestüm (↑ "ungestüm"), "Ungetüm", "Ungeziefer", "Unhold";
3.2 einige Wörter, deren Sinn an und für sich keinen Gegensatz zuläßt, erhalten durch die Zusammensetzung mit un- den Sinn des Schlechten, Schlimmen: "Unart", "Unding", "Unfall", "Unkraut", "Unmensch", "Unmut", Untat, "Unwesen", "Unstern", Unregiment (Goethe). Hierher gehören eigentlich auch "Unwetter", "Ungewitter", bei denen sich aber das Verhältnis dadurch eigentümlich gestaltet, daß auch bloßes "Wetter", "Gewitter" die gleiche Bedeutung annehmen. So besteht auch kein wesentlicher Unterschied zwischen "Kosten" und "Unkosten", wobei im letzteren un- wieder eigentlich das Schlechte bezeichnet;
3.3 von demselben Ausgangspunkt aus ist un-in "Unmasse", "Unmenge", Unlast, Unsumme, "Untiefe" geradezu zur ⇓ "S056" Verstärkung geworden. Auch "Unzahl" könnte man hierher ziehen, wobei aber doch auch der Einfluß von "unzählig" in Betracht kommt. Auch in "Untier" hat un- wohl eigentlich verstärkenden Sinn (L059 DWb11.3,1ff.; W.Henzen, Deutsche Wortbildung §42).
2 Partizipien werden mit un- zusammengesetzt, sobald sie adjektivische Natur angenommen haben: "unbedingt", "unbefangen", "unbekannt", unberufen, unbeschränkt, unbesonnen, unbestimmt, "unbewußt", unentschieden, unerfahren, "ungebunden", ungelehrt, ungeschickt, "unverschämt", unverzagt; unbedeutend, unbefriedigend, ungenügend, ungeziemend, unpassend, unvermögend, unwissend, unzureichend, unzusammenhängend, unzutreffend. Manche erhalten adjektivische Natur erst durch die Zusammensetzung: unausgesetzt, "unbescholten", "unentwegt", "unerhört", "ungehalten", "ungehobelt", ungemessen, "ungesäumt", "ungeschliffen", "ungezogen", "unumschränkt", "unumwunden", "unverfroren", "unverhofft", unverrückt (nicht zu einfachem adjektivischen "verrückt"), unversehen, "unverwandt" (mit unverwandten Augen). Die Zusammensetzung mit un- greift aber auch über in die eigentliche partizipiale Verwendung, in der älteren Sprache noch mehr als in der neueren. So ist es v. a. üblich, das mit un- zusammmengesetzte Partizip eines jeden beliebigen Verbs in der Verbindung mit bleiben oder lassen zu gebrauchen, es bleibt (ich lasse es) unerörtert. Ähnlich in Verbindung mit sein, wenn ein noch, bis jetzt o. dgl. dabeisteht. Überhaupt wird un- verwendet, wenn die Fortdauer eines Zustands ausgedrückt werden soll: eine Königin, die ihre Tage nicht ungenützt verbringt (Schiller). Dagegen für uns veraltet: sei unverworren mit dem, der Heimlichkeit offenbaret (Luther). Ferner kann eine Zusammensetzung mit un- als prädikatives Attribut stehen: ich gab ihm den Brief ungeöffnet zurück; unverrichteter Dinge. Einige Zusammensetzungen mit Partizipien nähern sich (zunächst in der Kanzleisprache) dem Charakter von Präpositionen und Konjunktionen: "unangesehen", "unbeschadet", "unerachtet", "ungeachtet";
3 in der Zusammensetzung mit Substantiven ist der Gebrauch von un- erst innerhalb des Germanischen entwickelt und immer viel eingeschränkter geblieben. Bildungen wie Unreinheit oder mhd. unsüeze gehören eigentlich nicht hierher, da sie vielmehr als Ableitungen aus den Adjektiven unrein, unsüeze aufzufassen sind. Sie werden aber den Anstoß zur Bildung wirklicher substantivischer Zusammensetzungen gegeben haben;
3.1 die gebräuchlichsten unter ihnen sind: Unbedacht, Unbehagen, "Unbill", Undank, Unehre, Unfriede, "Unfug", "Ungeduld", "Ungelegenheit", "Ungemach", "Ungeschick", Unglaube, "Unglimpf", "Unglück", "Ungnade", Ungunst, "Unheil", Unlust, Unordnung, "Unrat", "Unrecht", "Unruhe", "Unschuld", "Unsinn", Untreue, Untugend, Unvermögen, "Unvernunft", "Unverstand", {{link}}Unwille{{/link}}, "Unzeit", "Unzucht". ⇓ "S126" Goethe liebt sonst nicht übliche Zusammensetzungen, "Unbegriff", Ungenuß, Unmitteilung, Unteilnahme, Untrauen, Unkenner. Außerhalb der Zusammensetzungen untergegangen ist der zweite Bestandteil von "Unflat", Ungestüm (↑ "ungestüm"), "Ungetüm", "Ungeziefer", "Unhold";
3.2 einige Wörter, deren Sinn an und für sich keinen Gegensatz zuläßt, erhalten durch die Zusammensetzung mit un- den Sinn des Schlechten, Schlimmen: "Unart", "Unding", "Unfall", "Unkraut", "Unmensch", "Unmut", Untat, "Unwesen", "Unstern", Unregiment (Goethe). Hierher gehören eigentlich auch "Unwetter", "Ungewitter", bei denen sich aber das Verhältnis dadurch eigentümlich gestaltet, daß auch bloßes "Wetter", "Gewitter" die gleiche Bedeutung annehmen. So besteht auch kein wesentlicher Unterschied zwischen "Kosten" und "Unkosten", wobei im letzteren un- wieder eigentlich das Schlechte bezeichnet;
3.3 von demselben Ausgangspunkt aus ist un-in "Unmasse", "Unmenge", Unlast, Unsumme, "Untiefe" geradezu zur ⇓ "S056" Verstärkung geworden. Auch "Unzahl" könnte man hierher ziehen, wobei aber doch auch der Einfluß von "unzählig" in Betracht kommt. Auch in "Untier" hat un- wohl eigentlich verstärkenden Sinn (L059 DWb11.3,1ff.; W.Henzen, Deutsche Wortbildung §42).