Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
um
ahd. umbi, mhd. umbe, frühnhd. noch vmb, verwandt mit griech. amphí, lat. amb(i)- ›auf beiden Seiten‹;1 Präposition mit Akkusativ
1.1 in dem ursprünglich räumlichen Sinn drückt umaus, daß ein Gegenstand im Verhältnis zu einem anderen sich nicht bloß nach einer Richtung hin befindet bzw. nach einer Richtung hin gebracht wird (wie dies der Sinn von "an", "auf", "hinter", "neben", "über", "unter", "vor" ist), sondern daß er, wenigstens innerhalb von zwei, wenn nicht drei Dimensionen nach den verschiedenen Richtungen hin sich entweder gleichzeitig oder nacheinander befindet oder gebracht wird. Dabei kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht. Ein Gegenstand kann sich um den anderen herum bewegen, so daß er sich in jedem Augenblick nur nach einer Richtung hin befindet, die aber fortwährend wechselt: die Erde läuft um die Sonne; wir gingen um die Stadt (herum); der Ausdrucksform nach gehört hierher auch ein Graben läuft (zieht sich) um die Stadt. Oder es kann ein Gegenstand in eine Lage gebracht werden, daß er den anderen gleichzeitig nach den verschiedenen Richtungen hin umgibt: er band ein Tuch um den Hals; sie stellten (setzten) sich um den Tisch (herum); das Heer lagerte sich um die Stadt; schon frühneuhochdeutsch jmdm. um den Hals fallen (wobei nur die Arme um den Hals zu liegen kommen).Oder der Gegenstand kann sich von Anfang an in dieser Lage befinden, wobei er eine Bewegung um den anderen machen, aber auch in Ruhe sein kann: sie standen (saßen, lagen) um ihn (her, herum); sie bildeten einen Kreis und drehten sich um ihn herum; wie mir ums Herz ist. Bei Angabe einer Ruhelage ist nach Analogie anderer Präpositionen noch im 18. Jahrhundert gelegentlich der Dativ gesetzt: bliebst du wohl bei mir? um mir? (Lessing); rings um ihr (H. v.Kleist; L059 DWb). Auch das Reflexivpronomen kann von um abhängig gemacht werden. Wenn wir sagen die Erde dreht sich um sich selbst, so ist das eigentlich ein ungenauer Ausdruck, indem in Wirklichkeit alle Teile der Erde sich mit gleicher Winkelgeschwindigkeit um die Erdachse drehen. Anders verhält es sich mit um sich blicken, schauen, greifen, hauen, schlagen, werfen usw. Daß keine Richtung ausgeschlossen bleibt, kann noch besonders hervorgehoben werden dadurch, daß ein "rings" oder "rund" vor um gestellt wird. Ungenauer Ausdruck liegt vor in er ist (immer) um mich; ich habe (behalte) ihn um mich; man könnte denken, daß hier die Analogie von sie sind um mich usw. gewirkt hätte, was bei einer Mehrheit von Personen im eigentlichen Sinn richtig sein kann; andererseits aber kommt in Betracht, daß der Betreffende seine Stellung wechselt, bald vor, bald hinter, bald neben einem ist. Entsprechend verhält es sich mit redensartlichem er ist um den Weg ›in der Nähe‹. L004 Johann Christoph Adelung gibt an er muß um diese Gegend wohnen, was dadurch berechtigt wird, daß zwar die Wohnung nur nach einer Richtung hin liegen kann, daß aber die verschiedenen Möglichkeiten der Richtung im Umkreis liegen; entsprechend noch jetzt er wohnt hier (da) herum. Bemerkenswert ist noch er geht (biegt) um die Ecke, weil hier kein völliges, sondern nur ein teilweises Herumgehen stattfindet, so daß die Vorstellung einer Veränderung der Richtung in den Vordergrund tritt. Ähnlich auch: um ein Kap, eine Landzunge herumfahren; um einen Berg, ein Hindernis herumfahren oder -gehen, wobei es sich ebenfalls um ein teilweises Umgehen zum Zweck des Ausweichens handelt;
1.2 auf die Zeit übertragen dient umzunächst (schon ahd. ) zu ungefähren Bestimmungen, ist also ›kurz vorher oder nachher‹: um Mittag, Mitternacht, Ostern, diese Zeit. Inzwischen aber wird es mit gänzlicher Verblassung des ursprünglichen Sinns für genaue Zeitangaben neben Zahlen verwendet: um 6 Uhr, 7 Uhr 3 Minuten. Durch Hinzufügung eines herum werden diese wieder zu ungenauen Angaben. Ganz anderer Art ist die folgende, nur landschaftliche Verwendung von umzu Zeitbestimmungen: das mag sie um ein paar Jahre [›wenn ein paar Jahre um sind‹, s. unter (4)] unseren Kindern sagen (Kotzebue; ähnlich oft bei ihm); um ein paar Tage sollst du alles wissen (Storm);
1.3 in ausgedehntem Maße wird umverwendet, um einen Gegenstand anzuknüpfen, in Beziehung auf den etwas geschieht (althochdeutsch und noch frühneuhochdeutsch auch kausal ›wegen‹). Den Übergang aus der sinnlichen ursprünglichen Bedeutung ersieht man aus Wendungen, die an und für sich räumlich sind, aber als Ganzes übertragen gebraucht werden, wie es dreht sich alles um sie. Hierher gehören um etwas werben (werbenanfangs auch ›sich drehen‹), sich bemühen, sich bekümmern, sorgen, streiten, kämpfen, losen, spielen, beneiden, trauern, klagen, sich grämen, weinen, bitten, ersuchen, wissen; früher auch: jmdn. um etwas loben, tadeln, schelten, fragen; es ist ihm darum zu tun; es handelt sich darum; wie steht es darum; das hat er nicht um dich verdient; es ist schade um sie; es tut mir leid um ihn; es ist um ihn geschehen; es ist eine schöne Sache um ein gutes Gedächtnis u.dgl. Über um –willen ↑ "Wille"; heute selten geworden neben "halber", "zwecks" usw. Vielfach berührt sich dabei ummit "über";
1.4 um wird gebraucht, wo es sich um einen Austausch handelt. Die dabei zugrunde liegende Anschauung ist, daß der mit umangeknüpfte Gegenstand sich in umgekehrter Richtung bewege wie das Objekt (bzw. Subjekt). Dabei findet Berührung mit "für" und "gegen" statt. Heute veraltet: etwas um eine Sache tauschen, geben, kaufen, verkaufen, bekommen, erhalten; etwas ist um etwas feil; um Lohn arbeiten; was tut man nicht ums liebe Geld?; aber noch heute üblich: um alles in der Welt (nicht); um nichts und wieder nichts; ich gäbe viel darum, wenn. Hierher wohl auch um die Wette (älter in die Wette);
1.5 eigentümlich sind um etwas kommen, bringen; es liegt wohl die Anschauung zugrunde, daß man um etwas herumkommt und es deshalb nicht erlangt oder es verliert: ich bin um meinen Schlummer (zu ergänzen: gebracht) (A222 Friedrich Schiller, Karlos 3,1);
1.6äußerlich ähnlich, ihrem Ursprung nach aber wohl doch davon verschieden sind jmdn. um 10 Mark strafen (in der älteren Sprache büßen), betrügen u. dgl.;
1.7 neben dem Komparativ dient um seit frühneuhochdeutscher Zeit dazu, das Quantum des Unterschieds zwischen den verglichenen Gegenständen auszudrücken: um einen Fuß, um vieles, um eine Kleinigkeit länger/ kürzer. Entsprechend neben zu vor Adjektiv: um einen Fuß zu lang. Ferner neben Verben, die sich inhaltlich mit dem Komparativ berühren: er übertrifft ihn um vieles; er überragt ihn um Haupteslänge. Hierher auch Wendungen wie um ein Haar ›beinahe‹. Über um so ↑ "so"; vgl. auch ↑ "desto";
1.8 mit (1.4) berührt sich umzum Ausdruck einer Abwechslung: er badet einen um den anderen Tag; mit nicht mehr üblicher Stellung: einer ward um den anderen Küster(Goethe). Nicht mehr üblich ist auch um einander ›abwechselnd‹: singet um einander dem Herrn (Luther), daß dieselbigen alle um einander reden (Luther);
2 die festen verbalen Zusammensetzungen mit umhaben einen eigentlich von um abhängigen Akkusativ neben sich. Intransitiva werden also durch die Zusammensetzung transitiv: "umstehen", umgrenzen, umreichen, umfahren, umflattern, umfliegen, umfließen, "umgehen", umkreisen, "umlaufen", umreisen, umreiten, umschiffen, umschwärmen, umschweben, umschwirren, umsegeln, umströmen, umwandeln, umwogen, "umziehen", ummauern, umwachsen, umglänzen, umleuchten, umstrahlen, "umnachten", "umnebeln", umschatten, umbrausen, umrauschen, umtosen u. a. Transitiva haben in der Zusammensetzung meist eine andere Art von Akkusativ neben sich als er neben dem einfachen Verb steht: umbinden, umdrängen, umflechten, "umgeben", umgürten, umhängen, umklammern, "umlegen", umpflanzen, umranken, "umschlagen", umschließen, umschlingen, umschnüren, "umschränken", "umschreiben", umspannen, umsticken, umweben, umwickeln, "umwinden", umwölben, "umziehen". Doch gibt es auch manche, bei denen die Rektion von um mit der des einfachen Verbs zusammentrifft: umfangen, "umfassen", umhalsen, umhüllen, umkleiden, umkränzen, umpanzern, umzäunen. Einige Ableitungen aus Substantiven sind als einfache Wörter nicht gebräuchlich, sondern entweder nur in der Zusammensetzung mit um oder noch in der Zusammensetzung mit anderen Partikeln: "umarmen", "umfrieden", "umfriedigen", umgarnen, umhagen (Rückert), umschleiern, umwölken, "umzingeln". Dazu kommen poetische Partizipialbildungen wie umbuscht, umbaumt (Goethe). Ungewöhnlich ist es, die festen Zusammensetzungen mit einem nicht von um, sondern von dem Verb abhängigen Akkusativ zu verbinden: umflechten, umgürten, "umwinden";
3 unfeste verbale Zusammensetzungen (Akzent auf um-);
3.1 um kann wie bei den festen Zusammensetzungen die alte Bedeutung ›um etwas herum‹ haben, im Unterschied aber zu diesen wird die Konstruktion durch die Zusammensetzung nicht verändert, intransitiv: umliegen, "umstehen" (nur im Partizip), "umschauen"; transitiv: umhaben, umbehalten, umbinden, umgürten, umhängen, "umlegen", umnehmen, "umschlagen"(2.1), umschlingen, umschnallen, "umsetzen"(2.1), umstecken, "umtun", umwickeln, "umwinden", "umziehen"(2.1). Mit reflexivem Akkusativ verbunden werden "umsehen", "umschauen";
3.2 in einigen Zusammensetzungen nähert sich umder jetzigen Bedeutung von ↑ "umher"(2), also ›in verschiedenen Richtungen über einen Raum hin‹: "umgehen"(2.4), "umlaufen"(2), "umspringen"(2), umtragen, "umtreiben";
3.3 in einigen Zusammensetzungen (jetzt festen) wird umgebraucht wie in "Umweg", bedeutet also, daß bei der durch das Verb bezeichneten Bewegung ein Umweg gemacht wird: umfahren, "umgehen"; "umlaufen", umreiten, umführen. Diese Verwendung schließt sich an die unter (1.1) erwähnte um einen Berg usw. herum an;
3.4 umweist auf Drehung des Subjekts (bei intransitiven Verben) oder des Objekts (bei transitiven Verben) um sich selber: "umgehen"(2.1), "umlaufen", "umdrehen", "umtreiben", "umwälzen";
3.5 um drückt die Wendung nach der entgegengesetzten Richtung aus, also eine teilweise Drehung des Subjekts oder Objekts um sich selber: "umkehren" (transitiv und intransitiv), "umwenden", umbiegen, umblättern, "umdrehen", umlenken, "umlegen", umstülpen, "umschlagen"(2.2), "umblicken", "umschauen", "umsehen" (sich);
3.6 um drückt den Übergang vom Stehen zum Liegen aus, also auch eine teilweise Drehung des Subjekts oder Objekts um die Vertikale: "umfallen", umkippen, umsinken, umstürzen (intransitiv und transitiv), "umbrechen", umhauen, "umreißen"(2.2), umsägen, umschmeißen, umstoßen, umtreten, "umwerfen"; mit einem Akkusativ, der erst durch die Zusammensetzung möglich geworden ist: umblasen, umwehen, umfahren, umreiten, umrennen;
3.7 von (3.5) aus ist um dazu gelangt, das Herbeiführen einer Veränderung zu bezeichnen, zunächst einer räumlichen, dann mit weiterer Übertragung auch einer unräumlichen: "umlegen", "umsetzen", umstellen, umackern, "umbrechen", umdenken, umgraben, umhacken, umpflügen, "umreißen"(2.1), umwühlen, umrühren, umdecken, umgießen, umkramen, umladen, umpacken, umräumen, umschütten, umpflanzen, umordnen, umarbeiten, umbauen, umbilden, umformen, umgestalten, umschaffen, umdrucken, umprägen, umstempeln, umschmelzen, umkleiden, "umsatteln", umspannen, umrechnen, umstimmen, umtaufen, "umspringen"(1), "umziehen"(2.2). Daran schließen sich poetische Kühnheiten wie nicht mehr zum Lustschloß umgelogen scheint mir die Erde (Lenau);
3.8 eine eigentümliche Stellung nehmen "umkommen" und "umbringen" ein, für welche die Bedeutungsentwicklung nicht ganz geklärt ist (wohl ursprünglich zu ergänzen um das Leben);
4 als selbständiges Adverb erscheint umnur in Resten. In der ursprünglichen Bedeutung ist es noch üblich in ringsum, rundum. Etwas anderes ist ↑ "reihum", vgl. weiter ↑ "herum". In der ursprünglichen Bedeutung erscheint ferner um und um (mhd. ): den um und um ein stiller See umwallt(Wieland), Feinde um und um (A222 Friedrich Schiller, Fiesko 5,4); üblicher ist es im Anschluß an (3.5): alles um und um kehren. Zu (3.5) stellen sich auch die Kommandos rechts um, links um. Prädikativ erscheint umin die Zeit ist um ›vorbei‹ (L308 Kaspar Stieler); in entsprechendem Sinn erscheint es zuweilen in "umgehen", "umkommen". Natürlich werden "darum"("drum"), hierum, worum zum Ersatz für die Präposition mit abhängigem Pronomen gebraucht. Formelhaft: alles, was drum und dran hängt. Daneben aber hat sich darum zu einer selbständigen Partikel entwickelt, die zur Angabe des Grundes wie deshalb, deswegen in jedem beliebigen Satz gebraucht werden kann, nicht wie die Präposition um nur für bestimmte Beziehungen und Verbindungen. In der Frage unterscheidet sich die Kausalpartikel "warum" von dem der Präposition entsprechenden worum (↑ "wo"). Zurückgedrängt ist das einfache Adverb den sonstigen Analogien entsprechend durch "herum" und (veraltetem) hinum, von denen aber das letztere nur selten erscheint. Der Gebrauch von herum, welches mit einem folgenden Verb auch gewöhnlich zusammengeschrieben wird, entspricht im allgemeinen dem von umin unfesten Zusammensetzungen;
5 nominale Zusammensetzungen werden mit Vorgangsbezeichnungen gebildet, die sich an die entsprechenden unfesten Verbalzusammensetzungen anschließen mit den gleichen Bedeutungsschattierungen, wie sie in diesen erscheinen: Umbau, Umblick, Umfahrt, "Umfrage", "Umgang", Umguß, Umhang, Umkehr, "Umschau", "Umschlag", "Umsicht", Umsprung, "Umstand", "Umsturz", "Umzug". Selten ist Anschluß an feste Zusammensetzungen: "Umfang", "Umgang"(2). Andere Zusammensetzungen sind "Umgegend", Umkreis, "Umweg". Adjektivische Bildungen: umsichtig, (veraltet) umzechig (↑ "Zeche");
6 bei um –zu mit Infinitiv zur Bezeichnung einer Absicht liegt eine Verschiebung der Gliederung vor. In er arbeitet, um sein Brot zu verdienen war um sein Brot ursprünglich von er arbeitet abhängig, und dazu trat dann zu verdienen als weitere Bestimmung, ein Verhältnis, auf das auch noch die Wortstellung hinweist. Allmählich gelangte man dazu, den Akkusativ nicht von um, sondern von dem Infinitiv abhängig zu machen, so daß um und zu in nähere Beziehung zueinander gebracht wurden, so daß dann weiter auch Sätze ohne einen Akkusativ gebildet wurden, wie er arbeitet, um zu leben. Die Konstruktion mit um – zubeginnt in der Urkundensprache des 13. Jahrhunderts, ist aber noch im 16. Jahrhundert literarisch selten, als finale Konjunktion ist um – zuim 17. Jahrhundert entwickelt (vgl. L059 DWb); ↑ "damit". Statt final kann um –zu auch weiterführend oder allgemein prospektiv gebraucht werden: er kehrte in seine Heimatstadt zurück, um kurz darauf zu sterben (L378 ds18,97ff.).
1.1 in dem ursprünglich räumlichen Sinn drückt umaus, daß ein Gegenstand im Verhältnis zu einem anderen sich nicht bloß nach einer Richtung hin befindet bzw. nach einer Richtung hin gebracht wird (wie dies der Sinn von "an", "auf", "hinter", "neben", "über", "unter", "vor" ist), sondern daß er, wenigstens innerhalb von zwei, wenn nicht drei Dimensionen nach den verschiedenen Richtungen hin sich entweder gleichzeitig oder nacheinander befindet oder gebracht wird. Dabei kommen verschiedene Möglichkeiten in Betracht. Ein Gegenstand kann sich um den anderen herum bewegen, so daß er sich in jedem Augenblick nur nach einer Richtung hin befindet, die aber fortwährend wechselt: die Erde läuft um die Sonne; wir gingen um die Stadt (herum); der Ausdrucksform nach gehört hierher auch ein Graben läuft (zieht sich) um die Stadt. Oder es kann ein Gegenstand in eine Lage gebracht werden, daß er den anderen gleichzeitig nach den verschiedenen Richtungen hin umgibt: er band ein Tuch um den Hals; sie stellten (setzten) sich um den Tisch (herum); das Heer lagerte sich um die Stadt; schon frühneuhochdeutsch jmdm. um den Hals fallen (wobei nur die Arme um den Hals zu liegen kommen).Oder der Gegenstand kann sich von Anfang an in dieser Lage befinden, wobei er eine Bewegung um den anderen machen, aber auch in Ruhe sein kann: sie standen (saßen, lagen) um ihn (her, herum); sie bildeten einen Kreis und drehten sich um ihn herum; wie mir ums Herz ist. Bei Angabe einer Ruhelage ist nach Analogie anderer Präpositionen noch im 18. Jahrhundert gelegentlich der Dativ gesetzt: bliebst du wohl bei mir? um mir? (Lessing); rings um ihr (H. v.Kleist; L059 DWb). Auch das Reflexivpronomen kann von um abhängig gemacht werden. Wenn wir sagen die Erde dreht sich um sich selbst, so ist das eigentlich ein ungenauer Ausdruck, indem in Wirklichkeit alle Teile der Erde sich mit gleicher Winkelgeschwindigkeit um die Erdachse drehen. Anders verhält es sich mit um sich blicken, schauen, greifen, hauen, schlagen, werfen usw. Daß keine Richtung ausgeschlossen bleibt, kann noch besonders hervorgehoben werden dadurch, daß ein "rings" oder "rund" vor um gestellt wird. Ungenauer Ausdruck liegt vor in er ist (immer) um mich; ich habe (behalte) ihn um mich; man könnte denken, daß hier die Analogie von sie sind um mich usw. gewirkt hätte, was bei einer Mehrheit von Personen im eigentlichen Sinn richtig sein kann; andererseits aber kommt in Betracht, daß der Betreffende seine Stellung wechselt, bald vor, bald hinter, bald neben einem ist. Entsprechend verhält es sich mit redensartlichem er ist um den Weg ›in der Nähe‹. L004 Johann Christoph Adelung gibt an er muß um diese Gegend wohnen, was dadurch berechtigt wird, daß zwar die Wohnung nur nach einer Richtung hin liegen kann, daß aber die verschiedenen Möglichkeiten der Richtung im Umkreis liegen; entsprechend noch jetzt er wohnt hier (da) herum. Bemerkenswert ist noch er geht (biegt) um die Ecke, weil hier kein völliges, sondern nur ein teilweises Herumgehen stattfindet, so daß die Vorstellung einer Veränderung der Richtung in den Vordergrund tritt. Ähnlich auch: um ein Kap, eine Landzunge herumfahren; um einen Berg, ein Hindernis herumfahren oder -gehen, wobei es sich ebenfalls um ein teilweises Umgehen zum Zweck des Ausweichens handelt;
1.2 auf die Zeit übertragen dient umzunächst (schon ahd. ) zu ungefähren Bestimmungen, ist also ›kurz vorher oder nachher‹: um Mittag, Mitternacht, Ostern, diese Zeit. Inzwischen aber wird es mit gänzlicher Verblassung des ursprünglichen Sinns für genaue Zeitangaben neben Zahlen verwendet: um 6 Uhr, 7 Uhr 3 Minuten. Durch Hinzufügung eines herum werden diese wieder zu ungenauen Angaben. Ganz anderer Art ist die folgende, nur landschaftliche Verwendung von umzu Zeitbestimmungen: das mag sie um ein paar Jahre [›wenn ein paar Jahre um sind‹, s. unter (4)] unseren Kindern sagen (Kotzebue; ähnlich oft bei ihm); um ein paar Tage sollst du alles wissen (Storm);
1.3 in ausgedehntem Maße wird umverwendet, um einen Gegenstand anzuknüpfen, in Beziehung auf den etwas geschieht (althochdeutsch und noch frühneuhochdeutsch auch kausal ›wegen‹). Den Übergang aus der sinnlichen ursprünglichen Bedeutung ersieht man aus Wendungen, die an und für sich räumlich sind, aber als Ganzes übertragen gebraucht werden, wie es dreht sich alles um sie. Hierher gehören um etwas werben (werbenanfangs auch ›sich drehen‹), sich bemühen, sich bekümmern, sorgen, streiten, kämpfen, losen, spielen, beneiden, trauern, klagen, sich grämen, weinen, bitten, ersuchen, wissen; früher auch: jmdn. um etwas loben, tadeln, schelten, fragen; es ist ihm darum zu tun; es handelt sich darum; wie steht es darum; das hat er nicht um dich verdient; es ist schade um sie; es tut mir leid um ihn; es ist um ihn geschehen; es ist eine schöne Sache um ein gutes Gedächtnis u.dgl. Über um –willen ↑ "Wille"; heute selten geworden neben "halber", "zwecks" usw. Vielfach berührt sich dabei ummit "über";
1.4 um wird gebraucht, wo es sich um einen Austausch handelt. Die dabei zugrunde liegende Anschauung ist, daß der mit umangeknüpfte Gegenstand sich in umgekehrter Richtung bewege wie das Objekt (bzw. Subjekt). Dabei findet Berührung mit "für" und "gegen" statt. Heute veraltet: etwas um eine Sache tauschen, geben, kaufen, verkaufen, bekommen, erhalten; etwas ist um etwas feil; um Lohn arbeiten; was tut man nicht ums liebe Geld?; aber noch heute üblich: um alles in der Welt (nicht); um nichts und wieder nichts; ich gäbe viel darum, wenn. Hierher wohl auch um die Wette (älter in die Wette);
1.5 eigentümlich sind um etwas kommen, bringen; es liegt wohl die Anschauung zugrunde, daß man um etwas herumkommt und es deshalb nicht erlangt oder es verliert: ich bin um meinen Schlummer (zu ergänzen: gebracht) (A222 Friedrich Schiller, Karlos 3,1);
1.6äußerlich ähnlich, ihrem Ursprung nach aber wohl doch davon verschieden sind jmdn. um 10 Mark strafen (in der älteren Sprache büßen), betrügen u. dgl.;
1.7 neben dem Komparativ dient um seit frühneuhochdeutscher Zeit dazu, das Quantum des Unterschieds zwischen den verglichenen Gegenständen auszudrücken: um einen Fuß, um vieles, um eine Kleinigkeit länger/ kürzer. Entsprechend neben zu vor Adjektiv: um einen Fuß zu lang. Ferner neben Verben, die sich inhaltlich mit dem Komparativ berühren: er übertrifft ihn um vieles; er überragt ihn um Haupteslänge. Hierher auch Wendungen wie um ein Haar ›beinahe‹. Über um so ↑ "so"; vgl. auch ↑ "desto";
1.8 mit (1.4) berührt sich umzum Ausdruck einer Abwechslung: er badet einen um den anderen Tag; mit nicht mehr üblicher Stellung: einer ward um den anderen Küster(Goethe). Nicht mehr üblich ist auch um einander ›abwechselnd‹: singet um einander dem Herrn (Luther), daß dieselbigen alle um einander reden (Luther);
2 die festen verbalen Zusammensetzungen mit umhaben einen eigentlich von um abhängigen Akkusativ neben sich. Intransitiva werden also durch die Zusammensetzung transitiv: "umstehen", umgrenzen, umreichen, umfahren, umflattern, umfliegen, umfließen, "umgehen", umkreisen, "umlaufen", umreisen, umreiten, umschiffen, umschwärmen, umschweben, umschwirren, umsegeln, umströmen, umwandeln, umwogen, "umziehen", ummauern, umwachsen, umglänzen, umleuchten, umstrahlen, "umnachten", "umnebeln", umschatten, umbrausen, umrauschen, umtosen u. a. Transitiva haben in der Zusammensetzung meist eine andere Art von Akkusativ neben sich als er neben dem einfachen Verb steht: umbinden, umdrängen, umflechten, "umgeben", umgürten, umhängen, umklammern, "umlegen", umpflanzen, umranken, "umschlagen", umschließen, umschlingen, umschnüren, "umschränken", "umschreiben", umspannen, umsticken, umweben, umwickeln, "umwinden", umwölben, "umziehen". Doch gibt es auch manche, bei denen die Rektion von um mit der des einfachen Verbs zusammentrifft: umfangen, "umfassen", umhalsen, umhüllen, umkleiden, umkränzen, umpanzern, umzäunen. Einige Ableitungen aus Substantiven sind als einfache Wörter nicht gebräuchlich, sondern entweder nur in der Zusammensetzung mit um oder noch in der Zusammensetzung mit anderen Partikeln: "umarmen", "umfrieden", "umfriedigen", umgarnen, umhagen (Rückert), umschleiern, umwölken, "umzingeln". Dazu kommen poetische Partizipialbildungen wie umbuscht, umbaumt (Goethe). Ungewöhnlich ist es, die festen Zusammensetzungen mit einem nicht von um, sondern von dem Verb abhängigen Akkusativ zu verbinden: umflechten, umgürten, "umwinden";
3 unfeste verbale Zusammensetzungen (Akzent auf um-);
3.1 um kann wie bei den festen Zusammensetzungen die alte Bedeutung ›um etwas herum‹ haben, im Unterschied aber zu diesen wird die Konstruktion durch die Zusammensetzung nicht verändert, intransitiv: umliegen, "umstehen" (nur im Partizip), "umschauen"; transitiv: umhaben, umbehalten, umbinden, umgürten, umhängen, "umlegen", umnehmen, "umschlagen"(2.1), umschlingen, umschnallen, "umsetzen"(2.1), umstecken, "umtun", umwickeln, "umwinden", "umziehen"(2.1). Mit reflexivem Akkusativ verbunden werden "umsehen", "umschauen";
3.2 in einigen Zusammensetzungen nähert sich umder jetzigen Bedeutung von ↑ "umher"(2), also ›in verschiedenen Richtungen über einen Raum hin‹: "umgehen"(2.4), "umlaufen"(2), "umspringen"(2), umtragen, "umtreiben";
3.3 in einigen Zusammensetzungen (jetzt festen) wird umgebraucht wie in "Umweg", bedeutet also, daß bei der durch das Verb bezeichneten Bewegung ein Umweg gemacht wird: umfahren, "umgehen"; "umlaufen", umreiten, umführen. Diese Verwendung schließt sich an die unter (1.1) erwähnte um einen Berg usw. herum an;
3.4 umweist auf Drehung des Subjekts (bei intransitiven Verben) oder des Objekts (bei transitiven Verben) um sich selber: "umgehen"(2.1), "umlaufen", "umdrehen", "umtreiben", "umwälzen";
3.5 um drückt die Wendung nach der entgegengesetzten Richtung aus, also eine teilweise Drehung des Subjekts oder Objekts um sich selber: "umkehren" (transitiv und intransitiv), "umwenden", umbiegen, umblättern, "umdrehen", umlenken, "umlegen", umstülpen, "umschlagen"(2.2), "umblicken", "umschauen", "umsehen" (sich);
3.6 um drückt den Übergang vom Stehen zum Liegen aus, also auch eine teilweise Drehung des Subjekts oder Objekts um die Vertikale: "umfallen", umkippen, umsinken, umstürzen (intransitiv und transitiv), "umbrechen", umhauen, "umreißen"(2.2), umsägen, umschmeißen, umstoßen, umtreten, "umwerfen"; mit einem Akkusativ, der erst durch die Zusammensetzung möglich geworden ist: umblasen, umwehen, umfahren, umreiten, umrennen;
3.7 von (3.5) aus ist um dazu gelangt, das Herbeiführen einer Veränderung zu bezeichnen, zunächst einer räumlichen, dann mit weiterer Übertragung auch einer unräumlichen: "umlegen", "umsetzen", umstellen, umackern, "umbrechen", umdenken, umgraben, umhacken, umpflügen, "umreißen"(2.1), umwühlen, umrühren, umdecken, umgießen, umkramen, umladen, umpacken, umräumen, umschütten, umpflanzen, umordnen, umarbeiten, umbauen, umbilden, umformen, umgestalten, umschaffen, umdrucken, umprägen, umstempeln, umschmelzen, umkleiden, "umsatteln", umspannen, umrechnen, umstimmen, umtaufen, "umspringen"(1), "umziehen"(2.2). Daran schließen sich poetische Kühnheiten wie nicht mehr zum Lustschloß umgelogen scheint mir die Erde (Lenau);
3.8 eine eigentümliche Stellung nehmen "umkommen" und "umbringen" ein, für welche die Bedeutungsentwicklung nicht ganz geklärt ist (wohl ursprünglich zu ergänzen um das Leben);
4 als selbständiges Adverb erscheint umnur in Resten. In der ursprünglichen Bedeutung ist es noch üblich in ringsum, rundum. Etwas anderes ist ↑ "reihum", vgl. weiter ↑ "herum". In der ursprünglichen Bedeutung erscheint ferner um und um (mhd. ): den um und um ein stiller See umwallt(Wieland), Feinde um und um (A222 Friedrich Schiller, Fiesko 5,4); üblicher ist es im Anschluß an (3.5): alles um und um kehren. Zu (3.5) stellen sich auch die Kommandos rechts um, links um. Prädikativ erscheint umin die Zeit ist um ›vorbei‹ (L308 Kaspar Stieler); in entsprechendem Sinn erscheint es zuweilen in "umgehen", "umkommen". Natürlich werden "darum"("drum"), hierum, worum zum Ersatz für die Präposition mit abhängigem Pronomen gebraucht. Formelhaft: alles, was drum und dran hängt. Daneben aber hat sich darum zu einer selbständigen Partikel entwickelt, die zur Angabe des Grundes wie deshalb, deswegen in jedem beliebigen Satz gebraucht werden kann, nicht wie die Präposition um nur für bestimmte Beziehungen und Verbindungen. In der Frage unterscheidet sich die Kausalpartikel "warum" von dem der Präposition entsprechenden worum (↑ "wo"). Zurückgedrängt ist das einfache Adverb den sonstigen Analogien entsprechend durch "herum" und (veraltetem) hinum, von denen aber das letztere nur selten erscheint. Der Gebrauch von herum, welches mit einem folgenden Verb auch gewöhnlich zusammengeschrieben wird, entspricht im allgemeinen dem von umin unfesten Zusammensetzungen;
5 nominale Zusammensetzungen werden mit Vorgangsbezeichnungen gebildet, die sich an die entsprechenden unfesten Verbalzusammensetzungen anschließen mit den gleichen Bedeutungsschattierungen, wie sie in diesen erscheinen: Umbau, Umblick, Umfahrt, "Umfrage", "Umgang", Umguß, Umhang, Umkehr, "Umschau", "Umschlag", "Umsicht", Umsprung, "Umstand", "Umsturz", "Umzug". Selten ist Anschluß an feste Zusammensetzungen: "Umfang", "Umgang"(2). Andere Zusammensetzungen sind "Umgegend", Umkreis, "Umweg". Adjektivische Bildungen: umsichtig, (veraltet) umzechig (↑ "Zeche");
6 bei um –zu mit Infinitiv zur Bezeichnung einer Absicht liegt eine Verschiebung der Gliederung vor. In er arbeitet, um sein Brot zu verdienen war um sein Brot ursprünglich von er arbeitet abhängig, und dazu trat dann zu verdienen als weitere Bestimmung, ein Verhältnis, auf das auch noch die Wortstellung hinweist. Allmählich gelangte man dazu, den Akkusativ nicht von um, sondern von dem Infinitiv abhängig zu machen, so daß um und zu in nähere Beziehung zueinander gebracht wurden, so daß dann weiter auch Sätze ohne einen Akkusativ gebildet wurden, wie er arbeitet, um zu leben. Die Konstruktion mit um – zubeginnt in der Urkundensprache des 13. Jahrhunderts, ist aber noch im 16. Jahrhundert literarisch selten, als finale Konjunktion ist um – zuim 17. Jahrhundert entwickelt (vgl. L059 DWb); ↑ "damit". Statt final kann um –zu auch weiterführend oder allgemein prospektiv gebraucht werden: er kehrte in seine Heimatstadt zurück, um kurz darauf zu sterben (L378 ds18,97ff.).