Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
übergehen
(ahd. ubargan)1 als feste Zusammensetzung mit Akkusativ
1.1 in dem Sinn ›über etwas hingehen‹. L004 Johann Christoph Adelung führt als oberdeutsch an ein Feld übergehen und dazu als österreichisch ›Aufseher‹ in Zusammensetzungen wie Pflasterübergeher, Waldübergeher, Bauübergeher, entsprechend überreiten/ Überreiter. Übertragen technischer Ausdruck bei Malern und Kupferstechern ›bearbeitend über etwas hinfahren‹. Ferner gehört hierher eine Rechnung, eine Schrift übergehen (revidierend): wenn ich noch einmal übergehe, was ich dir da schrieb (Platen);
1.2 veraltet von dem Hinausgehen über eine Grenze: du hast ein Ziel gesetzet, das wird er nicht übergehen (jetzt überschreiten) (Luther); ich habe deine Gebote nicht übergangen (jetzt "übertreten") (Luther); ich habe das Verbot des Vaters übergangen (Chamisso); veraltet auch ›übertreffen‹: gleichen fast den Edelsteinen, ja sie übergehn sie schier(Brockes); so daß ihn keiner hier im Lande übergeht(Möser); der im Streit die Rossebändiger hoch überging (G.A.Bürger);
1.3 dem allgemeinen Sprachgebrauch gehört es nur an in dem Sinn ›unbeachtet, unberücksichtigt lassen‹ (L200 Josua Maaler 1561): jmdn. / etwas übergehen bei einer Aufzählung, Besprechung, bei einer Wahl, Beförderung;
1.4 veraltet ›überfallen‹: was mich für Unmut übergangen (J.Ch.Günther); der Zorn übergehet mich nach L004 Johann Christoph Adelung oberdeutsch;
1.5 selten sich übergehensich im Gehen überanstrengen‹ (Rosegger; L059 DWb);
2 als unfeste Zusammensetzung intransitiv
2.1 auf Ortswechsel bezogen, übertragen in verschiedener Weise. Zunächst von Truppen im Krieg zum Feinde übergehen; dann auch zu einer Partei übergehen (gewöhnlich "überlaufen"[2.1]). Auf Besitzwechsel bezogen: das Gut, die Regierung geht vom Vater auf den Sohn über. Von Veränderung der Tätigkeit oder des Zustandes: auf einen andern Gegenstand, zur Beratung, zur Tagesordnung, von Furcht zu Hoffnung übergehen; musikalisch in eine andere Tonart, ein anderes Tempo übergehen; von Sachen: in Fäulnis, Verwesung, Gärung übergehen;
2.2 auf das Überschreiten einer Schranke bezogen; von Flüssigkeiten: das Wasser Tigris, wenn es übergehet [jetzt über die Ufer tritt] im Lenze (Luther); daneben mit anderer Art von Subjekt (vgl. ↑ "überfließen"): so werden deine Scheuern voll werden, und deine Kelter mit Most übergehen (Luther); wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über (A180 Martin Luther, Matthäus 12,34); die Augen gingen ihm über (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Der König in Thule); da ging dein mütterliches Herz über in Freuden (F.Müller);
2.3 verallgemeinert ›vorübergehen‹ (veraltet): wo der Paroxysmus nicht übergeht, so bin ich des Todes (Gottsched); da sein Zorn doch mit dem Ungewitter übergeht (Herder); matt bin ich, aber das geht über (Iffland). Zu (1) Übergehung, zu (2) ↑ "Übergang".
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