Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
über
gemeingerm. Adverb/ Präposition (got. ufar, engl. over), auf indogermanischer Grundlage (griech. hýper, lat. super), verwandt mit ⇑ 1"ob", "ober". Im Althochdeutschen besteht ubarals Präposition und ubiri (ubari) als Adverb. Die neuhochdeutsche Form entspricht der letzteren, wie der Umlaut zeigt; sie hat die umlautlose Form, die ursprünglich der Präposition zukam, verdrängt;1 über als Präposition regiert Akkusativ und Dativ. Hierbei kommt zwar die gleiche allgemeine Regel zur Geltung wie bei den übrigen Präpositionen mit doppelter Rektion; jedoch nimmt über eine besondere Stellung ein, indem der Akkusativ auch steht, wo die Erstreckung über einen Raum ausgedrückt wird, wie bei durchund um, siehe unten (1.3). In der älteren Sprache ist über mit dem Dativ selten, indem statt dessen oboder ober gebraucht wird;
1.1 zunächst drückt über aus, daß die Lage eines Gegenstandes sich im Verhältnis zu der eines andern in der Richtung nach oben befindet bzw. daß er in eine solche Lage gebracht wird: das Bild hängt über dem Schrank – er hängte das Bild über den Schrank; die Wolke steht über dem Berg. Es steht im Gegensatz zu "unter", aber auch zu "neben". Es genügt auch nicht, daß der eine Gegenstand sich in einer höheren Lage befindet als der andere, um über in diesem Sinne zur Ortsbestimmung zu verwenden, sondern es wird auch in der Regel die vertikale Richtung verlangt. Der Akkusativ steht daher, wenn diese erst hergestellt wird, nicht bloß, wenn der betreffende Gegenstand sich in einer niedrigeren, sondern auch, wenn er sich in einer höheren Lage befunden hat. Doch sagt man auch, wenn zwei Punkte durch etwas schräg Ansteigendes verbunden sind, daß der eine sich über dem anderen befindet. Dagegen steht auch in bezug auf einen mit Bewegung verbundenen Vorgang der Dativ, wenn der ganze Verlauf desselben in den Raum fällt, der sich über einem Gegenstand befindet, solange es sich nicht um ein Fortbewegen über den Raum hin handelt: sie reichten sich über dem Grabe die Hände; Jakob richtete ein Mal auf über ihrem Grabe (Luther). Schwankungen können dabei eintreten, weil verschiedene Anschauung möglich ist: die Hände über dem Kopf –den Kopf zusammenschlagen, den Stab über einem – einen brechen. Von ↑ "auf" unterscheidet sich über dadurch, daß jenes immer auf unmittelbare Berührung geht, während über auch gebraucht wird, wo ein Zwischenraum vorhanden ist, der daneben angegeben werden kann: der Vogel schwebte 1000 Fuß über mir; so weit der Himmel ist über der Erde. Doch kann über auch bei unmittelbarer Berührung gebraucht werden, wenn die höhere Lage hervorgehoben werden soll (seine Leiche lag über der seines Gegners), während durch auf das Gestütztsein ausgedrückt wird. Formelhafte Verbindung über Hals und Kopf, jetzt Hals über Kopf ›hastig, eilig‹. Manche Verbindungen, die zunächst räumlichen Sinn haben, werden übertragen gebraucht: sich über etwas machen, über jmdn. herfallen, es geht über einen her, etwas über sich ergehen lassen, etwas über sich nehmen. Von vornherein übertragen sind Wendungen wie: der Zorn Gottes bleibt über ihm (Luther), es schwebt ein Unglück über seinem Haupt; eine schwere Prüfung kam über ihn;
1.2 was über einen Gegenstand gebreitet wird, kann ihn verdecken. So ist man frühzeitig dazu gelangt, über anzuwenden, wo ein Gegenstand den anderen verdeckt, einhüllt, ohne daß er sich im ganzen in einer höheren Lage zu befinden braucht: über dem Rock trägt er einen Pelz; einen Mantel über den Rock, einen Schleier über das Gesicht ziehen, einen Schuh über einen Leisten schlagen. Dieselbe Modifikation bei "ober"-, vgl. dazu bei "unter"(2.1.2);
1.3 wenn es sich um eine Bewegung handelt, bei der man einen Gegenstand unter sich behält, steht über mit dem Akkusativ, wozu dann noch hintreten kann: er geht über die Brücke, die Wiese (hin), der Wind bläst über die Heide, der Nebel breitet sich über das Land. Hierbei bezeichnet der Akkusativ nicht das Ziel der Bewegung, sondern den Raum, über den sie sich erstreckt; es findet keine Konkurrenz mehr mit auf statt, und über steht auch bei unmittelbarer Berührung. Es steht auch, wo es sich um eine durch Bewegung der Augen erkannte Erstreckung handelt: der Weg geht über den Berg, der Wald dehnt sich über den ganzen Abhang aus. Entsprechend dem unter (1.2) besprochenen Gebrauch steht über mit Akkusativ auch in Fällen wie Tränen fließen über seine Wangen, er fuhr ihr mit der Hand über das Gesicht, jmdm. das Fell über die Ohren ziehen, es läuft mir eiskalt über den Rücken. Auffallend ist der Dativ in daher fahren, wie Flammen über den Stoppeln(Luther);
1.4 mit (1.3) verbindet sich gewöhnlich die Vorstellung, daß die Bewegung von einem Ende bis zum anderen und eventuell noch weiter geht: über den Fluß setzen, über einen Stein springen, über die Grenze gehen, über die Schnur hauen, über die Stränge schlagen; ich reise über Magdeburg nach Berlin. Im Anschluß daran erscheint dann auch zuweilen über mit Dativ ›jenseits‹: in einer Stunde bin ich über der Grenze (Schiller), Schneewittchen über den Bergen. Doch auch er ist über die Grenze, über alle Berge. L004 Johann Christoph Adelung gibt auch an über dem Flusse wohnen, die Stadt liegt über dem Strome. Übertragen gebraucht werden sie ist darüber hinaus, er setzt sich darüber hinweg u.dgl.;
1.5 mit dem Akkusativ steht über auch, wo es sich um Erstreckung von unten nach oben handelt, die über einen bestimmten Punkt hinweggeht, (z. T. redensartlich) das Wasser ging ihm (bis) über die Schultern, er steckt bis über die Ohren in Schulden; das geht mir über die Hutschnur; er ist mir über den Kopf gewachsen,er ragt über alle empor. Wie die Beispiele zeigen, kann über in diesem Sinn auch gebraucht werden, wenn nur ein bemerkenswert hoher Punkt erreicht wird, ohne daß dieser wirklich über dem verglichenen Gegenstand zu liegen braucht. Als eine Verbindung von (1.4) und (1.5) kann man Fälle betrachten wie das Wasser steigt über den Rand des Gefäßes; der Fluß tritt über das Ufer, indem darin zugleich die Erhebung über einen bestimmten Punkt und das Hinübergehen über eine Grenze liegt;
1.6 auf Rangverhältnisse übertragen erscheint über mit Dativ und Akkusativ: er sitzt über ihm (in der Klasse); er steht (hoch) über ihm, ich habe niemanden über mir –einen über den anderen setzen/ stellen;
1.7 wenn man sagt jmd. sitzt über den Büchernu. dgl., so ist gemeint, daß jmd. sich mit den Büchern beschäftigt. Von hier aus ist man dazu gelangt, über mit Tätigkeits- und Vorgangsbezeichnungen zu verbinden, wobei es zeitlichen Bezug erhält und sich mit ↑ "während" berührt: sie ist über der Arbeit, über dem Essen eingeschlafen; er ist über dem Diebstahl ertappt. Früher war diese Verwendung verbreiteter: es kam sie hart an über der Geburt (Luther), ihr habt noch nicht aufs Blut widerstanden über den Kämpfen wider die Sünde (Luther), der Faule stirbt über seinen Wünschen (Luther), über dem kamen seine Jünger(Luther);
1.8 mit (1.7) verbindet sich leicht die Vorstellung eines kausalen Verhältnisses: unsere Kleider sind alt worden über der sehr langen Reise (Luther), so lächerlich sie über dieser Bemühung wird (Gellert; L004 Johann Christoph Adelung), über einem Lärm erwachen(ebenda). Diese Verwendung ist noch jetzt möglich, wenn es sich um einen Hinderungsgrund handelt: über der Sorge um seinen Freund kam er nicht dazu, an seine eigene Not zu denken. Der Satz braucht dabei nicht negiert zu sein, wenn in dem Verb an sich ein negativer Sinn liegt: er vergißt darüber Essen und Trinken. In der älteren Sprache erscheint über auch, ohne daß noch eine Zeitvorstellung darin liegt, rein kausal ähnlich früher ↑ 2"ob": und kommst du nicht in Angst und Not über seiner Torheit (Luther), Moses floh über dieser Rede(Luther), sie lobeten Gott über dem, das geschehen war (Luther), die Menschen lästerten Gott über der Plage (Luther), so wir heute werden gerichtet über dieser Wohltat (Luther), wenn ihr über zeitlichen Gütern Sachen [›gerichtliche Streitigkeiten‹] habt(Luther), die über dem Evangelio gekämpft haben(Luther), unsere Seele ekelt über dieser losen Speise(Luther), reuete es den Herrn über dem Übel(Luther); vgl. unter (1.10). Auch später noch erscheint dieses über zur Angabe eines Hinderungsgrundes: über den zufälligen Nachteilen der schönen Kultur nicht ihre wesentlichen Vorteile aus den Augen setzen (Schiller); du vergissest über den neuen Freunden die alten, der Herzog ist nicht wohl, darüber werde ich etwas später kommen (Goethe, Briefe). Außerdem darf wohl das in der österreichischen Kanzleisprache übliche über Antrag ›auf Antrag‹ hierher gestellt werden. Allerdings könnte Antrag auch als Akkusativ aufgefaßt werden, und eindeutig Akkusativ erscheint wirklich in der analogen Wendung eines[ein Dekret] wurde über energische Einsprache des alten Gärtners fallen gelassen (Anzengruber). Beispiele für ungewöhnliche Setzung des Akkusativs: damit kein Rettungsmittel über die Zubereitung des andern zu spät käme (Thümmel); ich gab über meinen braven Sattler weder auf den Weg noch auf die Eigenheiten der Landschaft acht(Thümmel);
1.9 über mit dem Akkusativ wird auf die Zeit in zweifacher Weise übertragen. Erstens drückt es im Anschluß an (1.3) die Erstreckung aus: über Nacht, über (die) Ostern (↑ "Ostern"); sonst mit umgekehrter Stellung, wo also über als Adverb zu fassen ist: den Tag, den Sommer, das Jahr über; Er hat das halbe Interview über geniest (J.A006 Jurek Becker, Lügner 209); dafür zuweilen des Tages, des Sommers über; jetzt auch tagsüber, sommersüber, wintersüber.Zweitens drückt es im Anschluß an (1.4) den Ablauf einer Frist aus: über 14 Tage, 3 Wochen; über ein kleines ›bald‹ (A180 Martin Luther, Johannes 16,16); über kurz oder lang ›früher oder später‹ (um 1500; L059 DWb); über siebzehnhundert Jahre (Lessing). Jetzt allgemein nur mit Bezug auf die Zukunft, früher auch in der Erzählung: über acht Tage waren abermal seine Jünger darinnen (Luther), es begab sich aber über drei Jahre, daß usw. (Luther); so noch österreichisch: über eine Weile kamen sie zu einem kleinen Wässerlein (A.Stifter), über eine geraume Weile kam der alte Sternsteinhofer (Anzengruber). Goethe und Schiller gebrauchen über den andern Tag (über die andere Nacht, über den andern Abend) ›einen Tag um den andern‹: trinke und bade über den andern Tag (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 7.8.85);
1.10 die Vorstellung der Erstreckung ist mannigfacher Übertragung auf unräumliche Verhältnisse fähig, und daher von (1.3) aus Ausdehnung der Verwendung von über mit Akkusativ. Die räumliche Grundanschauung kann dabei auch noch in dem Verb liegen: seine Kenntnisse erstrecken sich über viele Gebiete. Dazu kommen aber viele andere Verbindungen. In einigen spielt noch die Vorstellung des höheren Standpunktes mit hinein: über jmdn. siegen, herrschen, regieren, wachen; Herr, König usw. über; Herrschaft, Regierung, Macht, Gewalt, Aufsicht über. Jetzt ungebräuchlich halten über ›hüten, acht haben‹: ein reifer Verstand, der über seine Meinungen türkenmäßig zu halten weiß (Lessing). In anderen ist der ursprüngliche Sinn noch mehr verdunkelt, über ist zum allgemeinen Ausdruck des Bezugs geworden. So steht es neben nachdenken, nachsinnen, so und so denken, Gedanken, Betrachtungen; reden, sprechen, predigen, schreiben, handeln (Rede, Predigt usw.); streiten (Streit), sich zanken; klagen, sich beklagen, sich beschweren, murren, fluchen, schimpfen, spotten, lachen, weinen, seufzen, scherzen, Klage, Spott, Tränen usw.; sich freuen, sich grämen, trauern, sich erbarmen, sich ärgern, sich entrüsten, zürnen, sich entsetzen, sich wundern, staunen, erschrecken, Freude, Schmerz, Entzücken usw., froh, traurig, betrübt, entzückt, bestürzt, böse usw.; ungewöhnlich bei meinem radikalen Unglauben über die Menschen (Goethe, Briefe). Neben Ausdrücken, die einen Gemütszustand bezeichnen, hat über meist älteren Genitiv verdrängt. Hierher gehört auch über in Ausrufen: o über ihren stoltz!(Gellert; L059 DWb); auch ohne Stützwort: über das verwegne, ungeratene ding! (Mörike; L059 DWb). In manchen Fällen berührt sich diese Funktion von über nahe mit der unter (1.8) besprochenen, und es kann daher nicht wundernehmen, daß sich öfters der Dativ findet, wo wir jetzt den Akkusativ verlangen würden: die Gedanken, die ich hatte über dem Gesicht (Luther), da erhub sich eine Frage unter den Jüngern Johannis über der Reinigung (Luther), ich besprach mich mit ihnen über dem Evangelio (Luther), da sie ihn sahe, erschrak sie über seiner Rede (Luther), sie werden fröhlich sein über dem, das ich schaffe (Luther), und werden sich verwundern und entsetzen über alle dem Guten und über alle dem Frieden (Luther); aus jüngerer Zeit: durch weiteres Nachdenken und Sinnen über diesem Gegenstand (Goethe, Briefe), das Orakel, das ich vor allem zu Rate ziehe über dem, was ich tun will (Schiller), darum regen sich seine Eingeweide über seinem Jammer (Herder), wir entsetzten uns über den gräßlichen Sophismen(Schiller), ich errötete über der Bosheit(Schiller);
1.11 von (1.5), teilweise auch von (1.4) aus hat eine Übertragung auf unräumliches Gebiet stattgefunden, so daß über ein Hinausgehen über etwas in bezug auf Quantität, Intensität oder Wert bezeichnet; vgl. die heute weggelassene Anfangsstrophe des Deutschlandliedes; so auch das geht (ihm) über alles, wobei die räumliche Grundanschauung auch in dem Verb ausgedrückt ist; der Jünger ist nicht über seinen Meister, wobei Berührung mit (1.6) stattfindet, die Verschiedenheit des Kasus aber auf eine andere Grundanschauung weist. Kaum nachahmen würden wir noch biblische Wendungen wie und hat ihren Samen erwählet, euch, über alle Völker ›vor allen Völkern‹; darum hat dich gesalbet dein Gott mit dem Öl der Freuden über deine Genossen; darum liebe ich dein Gebot über [›mehr als‹] Gold und über fein Gold; Mose war ein sehr geplagter Mensch über alle Menschen ›mehr geplagt als‹. Allgemein das geht über meine Kräfte, über meinen Verstand, über meine Begriffe, über meinen Horizont u. dgl.; über alle/ die Maßen, über Vermögen, über Erwarten (Erwartung), über alle Hoffnung, über Gebühr; ein Glas über den Durst trinken. Mit Zahlbestimmungen: der Graben ist über 1 Meter breit; der Fisch ist über 10 Pfund schwer; er ist über 40 Jahre alt, er ist über eine Woche geblieben; entsprechend auch über die Hälfte. Hierbei hat über den Charakter einer Präposition eingebüßt (vgl. "bei", "gegen"), was sich noch deutlicher zeigt in Sätzen wie er hat über 100 Schafe, es sind über 1000 Personen anwesend;
1.12 hiermit nahe verwandt ist der Gebrauch von über, wo es ein Hinzukommen zu etwas anderem bezeichnet (heute über… hinaus): wo du andere Weiber dazu nimmst über meine Töchter (Luther); es kam eine Teuerung ins Land über die vorige (Luther); die über ihren allgemeinen Charakter noch andere Eigenschaften haben (Lessing). Allgemein geblieben in Schulden über Schulden, Fehler über Fehler oder einen Fehler über den andern, ein Mal über das andere usw.; ferner ↑ "überdies"; biblisch (Luther) über das alles. – H.Sperber, Studien zur Bedeutungsentwicklung der Präposition über, 1915;
2 über in festen verbalen Zusammensetzungen, die den Hauptton auf dem zweiten Bestandteil tragen. Diese entsprechen durchaus der akkusativischen, nicht der dativischen Konstruktion. Man kann sie zunächst in zwei Hauptgruppen teilen: die eine (1.1–1.4) mit einem eigentlich von über abhängigen Akkusativ, wozu die einfachen Wörter entweder intransitiv sind oder transitiv, in welch letzterem Fall der von der Zusammensetzung abhängige Akkusativ in der Regel (doch nicht notwendigerweise) anderer Art ist als der von dem einfachen Wort regierte; die andere (1.5–1.7) ohne eine solche Rektion von über, in der Konstruktion meistens von dem einfachen Verb nicht abweichend. Manche Verben kommen nur in der Zusammensetzung mit über vor, manche nur noch in einer oder mehreren anderen Zusammensetzungen, während das einfache Verb unüblich geworden oder überhaupt nie vorhanden gewesen ist, so daß direkte Ableitung aus einem Nomen vorliegt;
2.1 an über(1.1) anzuschließen: ⇑ "überfallen", "überkommen"(1.1), "überlaufen"(1.2), "überraschen", "überrumpeln"; auch in übertäuben, "überteuern", "übervorteilen" liegt die gleiche räumliche Anschauung zugrunde;
2.2 an über(1.3) (›über… hin‹) schließen sich an übergleiten, überreiten, überschreiten, überschwimmen, überklettern, überfluten, überströmen, überschwemmen, überdecken, überkleiden, überwölben, übersäen, überschütten, überbacken, übergießen, überkleben, übermalen, "übertünchen", überschmieren, überkitten, überkleistern, überspinnen, überweben, überwachsen, übergrünen, überschatten, "überbrücken", überdachen, übergolden, übersilbern, überzuckern, überblicken, überschauen, überlesen, überdenken, überrechnen, überzählen,⇑ "überfahren", "überfliegen"(1), "überfließen", "übergehen"(1.1), "überhängen", "überhäufen", "überlaufen"(1.1), "überschlagen"(1a), "übersehen"(1), "überhören"(1), 2"überlegen"(1a), "überziehen"(1), "übertragen"(1.2), "überspannen"(1.1), "überwachen"(1), "überarbeiten"(1). Gelegentlich werden noch manche andere gebildet, namentlich in poetischer Sprache, z. B. überblühen, überflammen (Schiller), überfloren, übereisen. Nur im Partizip Perfekt üblich sind überfroren (doch im Wetterbericht überfrierende Nässe), überschneit, weil sie zu unpersönlichen Verben gehören;
2.3 ein Hinweggehen über etwas mit dem Nebensinn der Vernachlässigung (im Anschluß an [1.4]) drücken aus überhüpfen, ⇑ "überspringen", "übergehen"(1.3), "überschlagen"(1.4), "übersehen"(3), "überhören"(2);
2.4 an über (1.4,1.5,1.11) schließen sich Zusammensetzungen an, die ein Hinausgehen über etwas, ein Übertreffen bezeichnen: überschreiten, übersteigen, überdauern, überstimmen, überspielen, überschreien, übertönen, übertrumpfen, überwuchern, übermannen, übermeistern, überlisten, ⇑ "übereilen"(1), "überfliegen"(2), "übergehen"(1.2), "übertreten", "überleben", "überbieten", "überreden", "übersehen"(2), "übertreffen", "überwältigen", "überweisen"(2), "überzeugen", "überwiegen", "überwinden";
2.5 eine eigentümliche Stellung nehmen ein ⇑ sich "überschlagen"(1.3), "überstürzen", "überwerfen". Hierin verbindet sich mit über die Vorstellung einer Neigung (sich über jmdn. neigen);
2.6 ein Hinüberschaffen von einem Ort zum anderen und danach uneigentlich Besitzübertragung und dergleichen bezeichnen übereignen, überschicken, übersenden, ⇑ "übergeben", "überantworten", "überlassen", "überliefern", "übermachen"(1), "übermitteln", "überreichen"(1), "übertragen"(1.1), "übernehmen". Der danebenstehende Akkusativ ist der gleiche wie beim einfachen Verb. Von intransitiven Verben stellt sich dazu nur "überkommen"(1.2). Diese Kategorie berührt sich am nächsten mit den unfesten Zusammensetzungen;
2.7 vielfach drückt über das Überschreiten des richtigen Maßes aus. Hierher gehören zunächst Zusammensetzungen mit transitiven Verben, welche die gleiche Art von Objekten neben sich haben wie das einfache Wort: überbilden, überfüllen, überfüttern, überheizen, überreizen, übersättigen, überschätzen, ⇑ "überanstrengen", "überfordern", "überfragen", "überspannen"(1.2), "übertreiben". Andere haben einen Akkusativ neben sich, der erst durch die Zusammensetzung mit über möglich geworden ist, der aber doch nicht wie bei (2.1–2.4) als von über abhängig gefaßt werden kann: "übereilen"(2 und 3), überhasten, überladen, "übernehmen"(3 und 4), "überbürden", überfrachten, "übervölkern"; sich "überarbeiten", "überstudieren", überessen, überfressen;
2.8 "übernachten", "überwintern" knüpfen an über Nacht, über Winter an;
3 über in unfesten Zusammensetzungen mit dem Hauptton auf dem ersten Bestandteil;
3.1 an über(1.1) oder (1.2) schließen sich an "überhängen", 2"überlegen"(2), "überschlagen"(2.1), "überspannen", überstülpen, "überwerfen", "überziehen" u. a.;
3.2 die Vorstellung einer Neigung liegt in überkippen, "überschlagen"(2.1), "überhängen", vgl. (2.5);
3.3 an (1.4) schließen sich an "überfahren", "übergehen"(2.2), "überkommen", "überlaufen"(2.1), "überspringen", "übertreten"(2.1), "überholen"(2.2), "überlassen"(2.1), überleiten, übersteigen u. a. Vgl. (2.6);
3.4 auf das Hinausgehen über eine Schranke (vgl. 2.7) beziehen sich "überfließen", "übergehen"(2.2), "übergreifen", "überlaufen"(2.2), überkochen, überschäumen, übersprudeln, überströmen;
3.5 frühneuhochdeutsch und noch jetzt umgangssprachlich ist über ›übrig‹ (↑ "übrig"), vgl. überbehalten, "überbleiben", "überlassen"(2.2). – In bezug auf die Behandlung der Zusammensetzungen als feste oder unfeste zeigen sich in der Literatur manche Schwankungen, vgl. "überfließen"(2), "überlassen"(2.3), "überlaufen"(2.2), "überschnappen", "übersetzen"(2.1), "übertragen"(2);
4 Reste des selbständigen Adverbs über. Im konkreten Sinn erscheint über ohne Verb auffordernd: Gewehr über!; den schlafrock über! (Schiller; L059 DWb). In Verbindung mit "oben": und stand [der Stern] oben über, da das Kindlein war (Luther). Verdoppelt über und über (rot werden u. dgl.), frühneuhochdeutsch. Anders gebraucht es Möser, ähnlich wie darunter und darüber, vgl. auch über und drüber (Luther; L059 DWb). In enger Verbindung mit einem Substantiv: kopfüber, kopfunter (eigentlich ›so daß der Kopf bald oben, bald unten ist‹); danach wagt A075 Johann Wolfgang von Goethe als jener Unglückliche jählings, Pferd über Mann unter, ins Wasser stürzt (Wanderjahre 25I,296,18). Anders einfaches kopfüber (stürzen u. dgl.), nämlich ›so, daß der Kopf übergeneigt ist‹. Entsprechend vornüber, hintenüber, rücküber (vgl. [3.2]). Selten (frühnhd.) auf die Zeit übertragen: wenn eben halt ein Monat über ist (Schiller) (↑ "vorüber"). Ähnlich gebraucht wie in den Zusammensetzungen "übergeben", "übertreten" usw. ist es in Fällen wie der Alte hat uns verraten, ist zum Kaiser über (A222 Friedrich Schiller, Wallensteins Tod 2038), Wien ist über ›übergeben‹ (Grillparzer). Mit (1.6) und (1.11) zu vergleichen ist umgangssprachlich jmdm. über [›überlegen‹] sein (Storm; L059 DWb); umgangssprachlich ferner das ist mir über bzw. das habe ich über ›ich habe es satt‹. In dem Sinn von ›über etwas weg, jenseits‹ (vgl. [1.4]) gebrauchte man gerade über, quer über, schräg über (heute "gegenüber"); vgl. noch ↑ "vorüber". Zu über ›übrig‹ in "überbleiben" usw. s. oben (3.5). Über den Tag über usw. siehe (1.9), poetische Kühnheit ist Nachstellung von über in räumlichem Sinn wie meerüber (›über das Meer‹), bergüber bei Lenau, wohl analog zeitlichem Gebrauch. In analoger Weise wie bei anderen Adverbien ist älteres einfaches über durch "herüber" und "hinüber" zurückgedrängt (siehe "her"[1]), aber nur, wo es sich um das Überschreiten eines trennenden Raumes handelt, also im Anschluß an über(1.4), vgl. komm herüber (über den Fluß, die Straße, den Berg usw.), schau hinüber. Von da ist dann auch Übertragung auf die Zeit möglich, z. B. das reicht bis in unser Jahrhundert herüber. Umgangssprachlich der Hut (Rock) ist hinüber (›verdorben‹). Vgl. auch etwas herüber hinüber überlegen, besprechen u. dgl. Als entsprechendes Adverb der Ruhe fungiert "drüben" ("hüben");
5 über in nominalen Zusammensetzungen. Zunächst bestehen Zusammensetzungen mit substantivischen Vorgangsbezeichnungen, die sich den entsprechenden verbalen Zusammensetzungen zur Seite stellen mit denselben Bedeutungsschattierungen, wie sie in diesen erscheinen. Gewöhnlich ist es so, daß sie sich an die unfesten Zusammensetzungen anschließen, während eventuell aus den festen Zusammensetzungen Ableitungen mit -unggebildet werden, vgl. das Verhältnis von ⇑ "Übergang", Übertritt zu Übergehung, Übertretung. Doch stellen sie sich teilweise auch zu den festen Zusammensetzungen, zumal da, wo keine unfesten gebräuchlich sind, vgl. ↑ "Überzug", "Überschlag"(2), "Überfall", "Überblick", Überschau, "Übersicht", "Übergabe", Übernahme. Andere substantivische Zusammensetzungen sind ↑ "Überrest", das sich an ↑ "Überbleibsel" anschließt, und solche, in denen über das Hinausgehen über ein gewisses Maß bezeichnet: Überfracht, Überhand, Überlast, Übermacht, Übermaß, Überzahl, ⇑ "Übergewicht", "Übermensch", "Übermut". Den gleichen Sinn hat über in adjektivischen Zusammensetzungen: übereifrig, überfein, übergroß, überheiß, überklug, überlang, überlästig, übermächtig, übermenschlich, übernatürlich, überreif, übersinnlich, überirdisch; ↑ "super-". Anderen Sinn hat über in "überseeisch" und wieder anderen in "übernächtig"; sie schließen sich an über See und über Nacht an. Von diesen Zusammensetzungen zu unterscheiden sind die Zusammenschreibungen der Präposition mit einem abhängigen Wort wie ⇑ "überhaupt", "übereck", "übermorgen", "überall", "überein-".
1.1 zunächst drückt über aus, daß die Lage eines Gegenstandes sich im Verhältnis zu der eines andern in der Richtung nach oben befindet bzw. daß er in eine solche Lage gebracht wird: das Bild hängt über dem Schrank – er hängte das Bild über den Schrank; die Wolke steht über dem Berg. Es steht im Gegensatz zu "unter", aber auch zu "neben". Es genügt auch nicht, daß der eine Gegenstand sich in einer höheren Lage befindet als der andere, um über in diesem Sinne zur Ortsbestimmung zu verwenden, sondern es wird auch in der Regel die vertikale Richtung verlangt. Der Akkusativ steht daher, wenn diese erst hergestellt wird, nicht bloß, wenn der betreffende Gegenstand sich in einer niedrigeren, sondern auch, wenn er sich in einer höheren Lage befunden hat. Doch sagt man auch, wenn zwei Punkte durch etwas schräg Ansteigendes verbunden sind, daß der eine sich über dem anderen befindet. Dagegen steht auch in bezug auf einen mit Bewegung verbundenen Vorgang der Dativ, wenn der ganze Verlauf desselben in den Raum fällt, der sich über einem Gegenstand befindet, solange es sich nicht um ein Fortbewegen über den Raum hin handelt: sie reichten sich über dem Grabe die Hände; Jakob richtete ein Mal auf über ihrem Grabe (Luther). Schwankungen können dabei eintreten, weil verschiedene Anschauung möglich ist: die Hände über dem Kopf –den Kopf zusammenschlagen, den Stab über einem – einen brechen. Von ↑ "auf" unterscheidet sich über dadurch, daß jenes immer auf unmittelbare Berührung geht, während über auch gebraucht wird, wo ein Zwischenraum vorhanden ist, der daneben angegeben werden kann: der Vogel schwebte 1000 Fuß über mir; so weit der Himmel ist über der Erde. Doch kann über auch bei unmittelbarer Berührung gebraucht werden, wenn die höhere Lage hervorgehoben werden soll (seine Leiche lag über der seines Gegners), während durch auf das Gestütztsein ausgedrückt wird. Formelhafte Verbindung über Hals und Kopf, jetzt Hals über Kopf ›hastig, eilig‹. Manche Verbindungen, die zunächst räumlichen Sinn haben, werden übertragen gebraucht: sich über etwas machen, über jmdn. herfallen, es geht über einen her, etwas über sich ergehen lassen, etwas über sich nehmen. Von vornherein übertragen sind Wendungen wie: der Zorn Gottes bleibt über ihm (Luther), es schwebt ein Unglück über seinem Haupt; eine schwere Prüfung kam über ihn;
1.2 was über einen Gegenstand gebreitet wird, kann ihn verdecken. So ist man frühzeitig dazu gelangt, über anzuwenden, wo ein Gegenstand den anderen verdeckt, einhüllt, ohne daß er sich im ganzen in einer höheren Lage zu befinden braucht: über dem Rock trägt er einen Pelz; einen Mantel über den Rock, einen Schleier über das Gesicht ziehen, einen Schuh über einen Leisten schlagen. Dieselbe Modifikation bei "ober"-, vgl. dazu bei "unter"(2.1.2);
1.3 wenn es sich um eine Bewegung handelt, bei der man einen Gegenstand unter sich behält, steht über mit dem Akkusativ, wozu dann noch hintreten kann: er geht über die Brücke, die Wiese (hin), der Wind bläst über die Heide, der Nebel breitet sich über das Land. Hierbei bezeichnet der Akkusativ nicht das Ziel der Bewegung, sondern den Raum, über den sie sich erstreckt; es findet keine Konkurrenz mehr mit auf statt, und über steht auch bei unmittelbarer Berührung. Es steht auch, wo es sich um eine durch Bewegung der Augen erkannte Erstreckung handelt: der Weg geht über den Berg, der Wald dehnt sich über den ganzen Abhang aus. Entsprechend dem unter (1.2) besprochenen Gebrauch steht über mit Akkusativ auch in Fällen wie Tränen fließen über seine Wangen, er fuhr ihr mit der Hand über das Gesicht, jmdm. das Fell über die Ohren ziehen, es läuft mir eiskalt über den Rücken. Auffallend ist der Dativ in daher fahren, wie Flammen über den Stoppeln(Luther);
1.4 mit (1.3) verbindet sich gewöhnlich die Vorstellung, daß die Bewegung von einem Ende bis zum anderen und eventuell noch weiter geht: über den Fluß setzen, über einen Stein springen, über die Grenze gehen, über die Schnur hauen, über die Stränge schlagen; ich reise über Magdeburg nach Berlin. Im Anschluß daran erscheint dann auch zuweilen über mit Dativ ›jenseits‹: in einer Stunde bin ich über der Grenze (Schiller), Schneewittchen über den Bergen. Doch auch er ist über die Grenze, über alle Berge. L004 Johann Christoph Adelung gibt auch an über dem Flusse wohnen, die Stadt liegt über dem Strome. Übertragen gebraucht werden sie ist darüber hinaus, er setzt sich darüber hinweg u.dgl.;
1.5 mit dem Akkusativ steht über auch, wo es sich um Erstreckung von unten nach oben handelt, die über einen bestimmten Punkt hinweggeht, (z. T. redensartlich) das Wasser ging ihm (bis) über die Schultern, er steckt bis über die Ohren in Schulden; das geht mir über die Hutschnur; er ist mir über den Kopf gewachsen,er ragt über alle empor. Wie die Beispiele zeigen, kann über in diesem Sinn auch gebraucht werden, wenn nur ein bemerkenswert hoher Punkt erreicht wird, ohne daß dieser wirklich über dem verglichenen Gegenstand zu liegen braucht. Als eine Verbindung von (1.4) und (1.5) kann man Fälle betrachten wie das Wasser steigt über den Rand des Gefäßes; der Fluß tritt über das Ufer, indem darin zugleich die Erhebung über einen bestimmten Punkt und das Hinübergehen über eine Grenze liegt;
1.6 auf Rangverhältnisse übertragen erscheint über mit Dativ und Akkusativ: er sitzt über ihm (in der Klasse); er steht (hoch) über ihm, ich habe niemanden über mir –einen über den anderen setzen/ stellen;
1.7 wenn man sagt jmd. sitzt über den Büchernu. dgl., so ist gemeint, daß jmd. sich mit den Büchern beschäftigt. Von hier aus ist man dazu gelangt, über mit Tätigkeits- und Vorgangsbezeichnungen zu verbinden, wobei es zeitlichen Bezug erhält und sich mit ↑ "während" berührt: sie ist über der Arbeit, über dem Essen eingeschlafen; er ist über dem Diebstahl ertappt. Früher war diese Verwendung verbreiteter: es kam sie hart an über der Geburt (Luther), ihr habt noch nicht aufs Blut widerstanden über den Kämpfen wider die Sünde (Luther), der Faule stirbt über seinen Wünschen (Luther), über dem kamen seine Jünger(Luther);
1.8 mit (1.7) verbindet sich leicht die Vorstellung eines kausalen Verhältnisses: unsere Kleider sind alt worden über der sehr langen Reise (Luther), so lächerlich sie über dieser Bemühung wird (Gellert; L004 Johann Christoph Adelung), über einem Lärm erwachen(ebenda). Diese Verwendung ist noch jetzt möglich, wenn es sich um einen Hinderungsgrund handelt: über der Sorge um seinen Freund kam er nicht dazu, an seine eigene Not zu denken. Der Satz braucht dabei nicht negiert zu sein, wenn in dem Verb an sich ein negativer Sinn liegt: er vergißt darüber Essen und Trinken. In der älteren Sprache erscheint über auch, ohne daß noch eine Zeitvorstellung darin liegt, rein kausal ähnlich früher ↑ 2"ob": und kommst du nicht in Angst und Not über seiner Torheit (Luther), Moses floh über dieser Rede(Luther), sie lobeten Gott über dem, das geschehen war (Luther), die Menschen lästerten Gott über der Plage (Luther), so wir heute werden gerichtet über dieser Wohltat (Luther), wenn ihr über zeitlichen Gütern Sachen [›gerichtliche Streitigkeiten‹] habt(Luther), die über dem Evangelio gekämpft haben(Luther), unsere Seele ekelt über dieser losen Speise(Luther), reuete es den Herrn über dem Übel(Luther); vgl. unter (1.10). Auch später noch erscheint dieses über zur Angabe eines Hinderungsgrundes: über den zufälligen Nachteilen der schönen Kultur nicht ihre wesentlichen Vorteile aus den Augen setzen (Schiller); du vergissest über den neuen Freunden die alten, der Herzog ist nicht wohl, darüber werde ich etwas später kommen (Goethe, Briefe). Außerdem darf wohl das in der österreichischen Kanzleisprache übliche über Antrag ›auf Antrag‹ hierher gestellt werden. Allerdings könnte Antrag auch als Akkusativ aufgefaßt werden, und eindeutig Akkusativ erscheint wirklich in der analogen Wendung eines[ein Dekret] wurde über energische Einsprache des alten Gärtners fallen gelassen (Anzengruber). Beispiele für ungewöhnliche Setzung des Akkusativs: damit kein Rettungsmittel über die Zubereitung des andern zu spät käme (Thümmel); ich gab über meinen braven Sattler weder auf den Weg noch auf die Eigenheiten der Landschaft acht(Thümmel);
1.9 über mit dem Akkusativ wird auf die Zeit in zweifacher Weise übertragen. Erstens drückt es im Anschluß an (1.3) die Erstreckung aus: über Nacht, über (die) Ostern (↑ "Ostern"); sonst mit umgekehrter Stellung, wo also über als Adverb zu fassen ist: den Tag, den Sommer, das Jahr über; Er hat das halbe Interview über geniest (J.A006 Jurek Becker, Lügner 209); dafür zuweilen des Tages, des Sommers über; jetzt auch tagsüber, sommersüber, wintersüber.Zweitens drückt es im Anschluß an (1.4) den Ablauf einer Frist aus: über 14 Tage, 3 Wochen; über ein kleines ›bald‹ (A180 Martin Luther, Johannes 16,16); über kurz oder lang ›früher oder später‹ (um 1500; L059 DWb); über siebzehnhundert Jahre (Lessing). Jetzt allgemein nur mit Bezug auf die Zukunft, früher auch in der Erzählung: über acht Tage waren abermal seine Jünger darinnen (Luther), es begab sich aber über drei Jahre, daß usw. (Luther); so noch österreichisch: über eine Weile kamen sie zu einem kleinen Wässerlein (A.Stifter), über eine geraume Weile kam der alte Sternsteinhofer (Anzengruber). Goethe und Schiller gebrauchen über den andern Tag (über die andere Nacht, über den andern Abend) ›einen Tag um den andern‹: trinke und bade über den andern Tag (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 7.8.85);
1.10 die Vorstellung der Erstreckung ist mannigfacher Übertragung auf unräumliche Verhältnisse fähig, und daher von (1.3) aus Ausdehnung der Verwendung von über mit Akkusativ. Die räumliche Grundanschauung kann dabei auch noch in dem Verb liegen: seine Kenntnisse erstrecken sich über viele Gebiete. Dazu kommen aber viele andere Verbindungen. In einigen spielt noch die Vorstellung des höheren Standpunktes mit hinein: über jmdn. siegen, herrschen, regieren, wachen; Herr, König usw. über; Herrschaft, Regierung, Macht, Gewalt, Aufsicht über. Jetzt ungebräuchlich halten über ›hüten, acht haben‹: ein reifer Verstand, der über seine Meinungen türkenmäßig zu halten weiß (Lessing). In anderen ist der ursprüngliche Sinn noch mehr verdunkelt, über ist zum allgemeinen Ausdruck des Bezugs geworden. So steht es neben nachdenken, nachsinnen, so und so denken, Gedanken, Betrachtungen; reden, sprechen, predigen, schreiben, handeln (Rede, Predigt usw.); streiten (Streit), sich zanken; klagen, sich beklagen, sich beschweren, murren, fluchen, schimpfen, spotten, lachen, weinen, seufzen, scherzen, Klage, Spott, Tränen usw.; sich freuen, sich grämen, trauern, sich erbarmen, sich ärgern, sich entrüsten, zürnen, sich entsetzen, sich wundern, staunen, erschrecken, Freude, Schmerz, Entzücken usw., froh, traurig, betrübt, entzückt, bestürzt, böse usw.; ungewöhnlich bei meinem radikalen Unglauben über die Menschen (Goethe, Briefe). Neben Ausdrücken, die einen Gemütszustand bezeichnen, hat über meist älteren Genitiv verdrängt. Hierher gehört auch über in Ausrufen: o über ihren stoltz!(Gellert; L059 DWb); auch ohne Stützwort: über das verwegne, ungeratene ding! (Mörike; L059 DWb). In manchen Fällen berührt sich diese Funktion von über nahe mit der unter (1.8) besprochenen, und es kann daher nicht wundernehmen, daß sich öfters der Dativ findet, wo wir jetzt den Akkusativ verlangen würden: die Gedanken, die ich hatte über dem Gesicht (Luther), da erhub sich eine Frage unter den Jüngern Johannis über der Reinigung (Luther), ich besprach mich mit ihnen über dem Evangelio (Luther), da sie ihn sahe, erschrak sie über seiner Rede (Luther), sie werden fröhlich sein über dem, das ich schaffe (Luther), und werden sich verwundern und entsetzen über alle dem Guten und über alle dem Frieden (Luther); aus jüngerer Zeit: durch weiteres Nachdenken und Sinnen über diesem Gegenstand (Goethe, Briefe), das Orakel, das ich vor allem zu Rate ziehe über dem, was ich tun will (Schiller), darum regen sich seine Eingeweide über seinem Jammer (Herder), wir entsetzten uns über den gräßlichen Sophismen(Schiller), ich errötete über der Bosheit(Schiller);
1.11 von (1.5), teilweise auch von (1.4) aus hat eine Übertragung auf unräumliches Gebiet stattgefunden, so daß über ein Hinausgehen über etwas in bezug auf Quantität, Intensität oder Wert bezeichnet; vgl. die heute weggelassene Anfangsstrophe des Deutschlandliedes; so auch das geht (ihm) über alles, wobei die räumliche Grundanschauung auch in dem Verb ausgedrückt ist; der Jünger ist nicht über seinen Meister, wobei Berührung mit (1.6) stattfindet, die Verschiedenheit des Kasus aber auf eine andere Grundanschauung weist. Kaum nachahmen würden wir noch biblische Wendungen wie und hat ihren Samen erwählet, euch, über alle Völker ›vor allen Völkern‹; darum hat dich gesalbet dein Gott mit dem Öl der Freuden über deine Genossen; darum liebe ich dein Gebot über [›mehr als‹] Gold und über fein Gold; Mose war ein sehr geplagter Mensch über alle Menschen ›mehr geplagt als‹. Allgemein das geht über meine Kräfte, über meinen Verstand, über meine Begriffe, über meinen Horizont u. dgl.; über alle/ die Maßen, über Vermögen, über Erwarten (Erwartung), über alle Hoffnung, über Gebühr; ein Glas über den Durst trinken. Mit Zahlbestimmungen: der Graben ist über 1 Meter breit; der Fisch ist über 10 Pfund schwer; er ist über 40 Jahre alt, er ist über eine Woche geblieben; entsprechend auch über die Hälfte. Hierbei hat über den Charakter einer Präposition eingebüßt (vgl. "bei", "gegen"), was sich noch deutlicher zeigt in Sätzen wie er hat über 100 Schafe, es sind über 1000 Personen anwesend;
1.12 hiermit nahe verwandt ist der Gebrauch von über, wo es ein Hinzukommen zu etwas anderem bezeichnet (heute über… hinaus): wo du andere Weiber dazu nimmst über meine Töchter (Luther); es kam eine Teuerung ins Land über die vorige (Luther); die über ihren allgemeinen Charakter noch andere Eigenschaften haben (Lessing). Allgemein geblieben in Schulden über Schulden, Fehler über Fehler oder einen Fehler über den andern, ein Mal über das andere usw.; ferner ↑ "überdies"; biblisch (Luther) über das alles. – H.Sperber, Studien zur Bedeutungsentwicklung der Präposition über, 1915;
2 über in festen verbalen Zusammensetzungen, die den Hauptton auf dem zweiten Bestandteil tragen. Diese entsprechen durchaus der akkusativischen, nicht der dativischen Konstruktion. Man kann sie zunächst in zwei Hauptgruppen teilen: die eine (1.1–1.4) mit einem eigentlich von über abhängigen Akkusativ, wozu die einfachen Wörter entweder intransitiv sind oder transitiv, in welch letzterem Fall der von der Zusammensetzung abhängige Akkusativ in der Regel (doch nicht notwendigerweise) anderer Art ist als der von dem einfachen Wort regierte; die andere (1.5–1.7) ohne eine solche Rektion von über, in der Konstruktion meistens von dem einfachen Verb nicht abweichend. Manche Verben kommen nur in der Zusammensetzung mit über vor, manche nur noch in einer oder mehreren anderen Zusammensetzungen, während das einfache Verb unüblich geworden oder überhaupt nie vorhanden gewesen ist, so daß direkte Ableitung aus einem Nomen vorliegt;
2.1 an über(1.1) anzuschließen: ⇑ "überfallen", "überkommen"(1.1), "überlaufen"(1.2), "überraschen", "überrumpeln"; auch in übertäuben, "überteuern", "übervorteilen" liegt die gleiche räumliche Anschauung zugrunde;
2.2 an über(1.3) (›über… hin‹) schließen sich an übergleiten, überreiten, überschreiten, überschwimmen, überklettern, überfluten, überströmen, überschwemmen, überdecken, überkleiden, überwölben, übersäen, überschütten, überbacken, übergießen, überkleben, übermalen, "übertünchen", überschmieren, überkitten, überkleistern, überspinnen, überweben, überwachsen, übergrünen, überschatten, "überbrücken", überdachen, übergolden, übersilbern, überzuckern, überblicken, überschauen, überlesen, überdenken, überrechnen, überzählen,⇑ "überfahren", "überfliegen"(1), "überfließen", "übergehen"(1.1), "überhängen", "überhäufen", "überlaufen"(1.1), "überschlagen"(1a), "übersehen"(1), "überhören"(1), 2"überlegen"(1a), "überziehen"(1), "übertragen"(1.2), "überspannen"(1.1), "überwachen"(1), "überarbeiten"(1). Gelegentlich werden noch manche andere gebildet, namentlich in poetischer Sprache, z. B. überblühen, überflammen (Schiller), überfloren, übereisen. Nur im Partizip Perfekt üblich sind überfroren (doch im Wetterbericht überfrierende Nässe), überschneit, weil sie zu unpersönlichen Verben gehören;
2.3 ein Hinweggehen über etwas mit dem Nebensinn der Vernachlässigung (im Anschluß an [1.4]) drücken aus überhüpfen, ⇑ "überspringen", "übergehen"(1.3), "überschlagen"(1.4), "übersehen"(3), "überhören"(2);
2.4 an über (1.4,1.5,1.11) schließen sich Zusammensetzungen an, die ein Hinausgehen über etwas, ein Übertreffen bezeichnen: überschreiten, übersteigen, überdauern, überstimmen, überspielen, überschreien, übertönen, übertrumpfen, überwuchern, übermannen, übermeistern, überlisten, ⇑ "übereilen"(1), "überfliegen"(2), "übergehen"(1.2), "übertreten", "überleben", "überbieten", "überreden", "übersehen"(2), "übertreffen", "überwältigen", "überweisen"(2), "überzeugen", "überwiegen", "überwinden";
2.5 eine eigentümliche Stellung nehmen ein ⇑ sich "überschlagen"(1.3), "überstürzen", "überwerfen". Hierin verbindet sich mit über die Vorstellung einer Neigung (sich über jmdn. neigen);
2.6 ein Hinüberschaffen von einem Ort zum anderen und danach uneigentlich Besitzübertragung und dergleichen bezeichnen übereignen, überschicken, übersenden, ⇑ "übergeben", "überantworten", "überlassen", "überliefern", "übermachen"(1), "übermitteln", "überreichen"(1), "übertragen"(1.1), "übernehmen". Der danebenstehende Akkusativ ist der gleiche wie beim einfachen Verb. Von intransitiven Verben stellt sich dazu nur "überkommen"(1.2). Diese Kategorie berührt sich am nächsten mit den unfesten Zusammensetzungen;
2.7 vielfach drückt über das Überschreiten des richtigen Maßes aus. Hierher gehören zunächst Zusammensetzungen mit transitiven Verben, welche die gleiche Art von Objekten neben sich haben wie das einfache Wort: überbilden, überfüllen, überfüttern, überheizen, überreizen, übersättigen, überschätzen, ⇑ "überanstrengen", "überfordern", "überfragen", "überspannen"(1.2), "übertreiben". Andere haben einen Akkusativ neben sich, der erst durch die Zusammensetzung mit über möglich geworden ist, der aber doch nicht wie bei (2.1–2.4) als von über abhängig gefaßt werden kann: "übereilen"(2 und 3), überhasten, überladen, "übernehmen"(3 und 4), "überbürden", überfrachten, "übervölkern"; sich "überarbeiten", "überstudieren", überessen, überfressen;
2.8 "übernachten", "überwintern" knüpfen an über Nacht, über Winter an;
3 über in unfesten Zusammensetzungen mit dem Hauptton auf dem ersten Bestandteil;
3.1 an über(1.1) oder (1.2) schließen sich an "überhängen", 2"überlegen"(2), "überschlagen"(2.1), "überspannen", überstülpen, "überwerfen", "überziehen" u. a.;
3.2 die Vorstellung einer Neigung liegt in überkippen, "überschlagen"(2.1), "überhängen", vgl. (2.5);
3.3 an (1.4) schließen sich an "überfahren", "übergehen"(2.2), "überkommen", "überlaufen"(2.1), "überspringen", "übertreten"(2.1), "überholen"(2.2), "überlassen"(2.1), überleiten, übersteigen u. a. Vgl. (2.6);
3.4 auf das Hinausgehen über eine Schranke (vgl. 2.7) beziehen sich "überfließen", "übergehen"(2.2), "übergreifen", "überlaufen"(2.2), überkochen, überschäumen, übersprudeln, überströmen;
3.5 frühneuhochdeutsch und noch jetzt umgangssprachlich ist über ›übrig‹ (↑ "übrig"), vgl. überbehalten, "überbleiben", "überlassen"(2.2). – In bezug auf die Behandlung der Zusammensetzungen als feste oder unfeste zeigen sich in der Literatur manche Schwankungen, vgl. "überfließen"(2), "überlassen"(2.3), "überlaufen"(2.2), "überschnappen", "übersetzen"(2.1), "übertragen"(2);
4 Reste des selbständigen Adverbs über. Im konkreten Sinn erscheint über ohne Verb auffordernd: Gewehr über!; den schlafrock über! (Schiller; L059 DWb). In Verbindung mit "oben": und stand [der Stern] oben über, da das Kindlein war (Luther). Verdoppelt über und über (rot werden u. dgl.), frühneuhochdeutsch. Anders gebraucht es Möser, ähnlich wie darunter und darüber, vgl. auch über und drüber (Luther; L059 DWb). In enger Verbindung mit einem Substantiv: kopfüber, kopfunter (eigentlich ›so daß der Kopf bald oben, bald unten ist‹); danach wagt A075 Johann Wolfgang von Goethe als jener Unglückliche jählings, Pferd über Mann unter, ins Wasser stürzt (Wanderjahre 25I,296,18). Anders einfaches kopfüber (stürzen u. dgl.), nämlich ›so, daß der Kopf übergeneigt ist‹. Entsprechend vornüber, hintenüber, rücküber (vgl. [3.2]). Selten (frühnhd.) auf die Zeit übertragen: wenn eben halt ein Monat über ist (Schiller) (↑ "vorüber"). Ähnlich gebraucht wie in den Zusammensetzungen "übergeben", "übertreten" usw. ist es in Fällen wie der Alte hat uns verraten, ist zum Kaiser über (A222 Friedrich Schiller, Wallensteins Tod 2038), Wien ist über ›übergeben‹ (Grillparzer). Mit (1.6) und (1.11) zu vergleichen ist umgangssprachlich jmdm. über [›überlegen‹] sein (Storm; L059 DWb); umgangssprachlich ferner das ist mir über bzw. das habe ich über ›ich habe es satt‹. In dem Sinn von ›über etwas weg, jenseits‹ (vgl. [1.4]) gebrauchte man gerade über, quer über, schräg über (heute "gegenüber"); vgl. noch ↑ "vorüber". Zu über ›übrig‹ in "überbleiben" usw. s. oben (3.5). Über den Tag über usw. siehe (1.9), poetische Kühnheit ist Nachstellung von über in räumlichem Sinn wie meerüber (›über das Meer‹), bergüber bei Lenau, wohl analog zeitlichem Gebrauch. In analoger Weise wie bei anderen Adverbien ist älteres einfaches über durch "herüber" und "hinüber" zurückgedrängt (siehe "her"[1]), aber nur, wo es sich um das Überschreiten eines trennenden Raumes handelt, also im Anschluß an über(1.4), vgl. komm herüber (über den Fluß, die Straße, den Berg usw.), schau hinüber. Von da ist dann auch Übertragung auf die Zeit möglich, z. B. das reicht bis in unser Jahrhundert herüber. Umgangssprachlich der Hut (Rock) ist hinüber (›verdorben‹). Vgl. auch etwas herüber hinüber überlegen, besprechen u. dgl. Als entsprechendes Adverb der Ruhe fungiert "drüben" ("hüben");
5 über in nominalen Zusammensetzungen. Zunächst bestehen Zusammensetzungen mit substantivischen Vorgangsbezeichnungen, die sich den entsprechenden verbalen Zusammensetzungen zur Seite stellen mit denselben Bedeutungsschattierungen, wie sie in diesen erscheinen. Gewöhnlich ist es so, daß sie sich an die unfesten Zusammensetzungen anschließen, während eventuell aus den festen Zusammensetzungen Ableitungen mit -unggebildet werden, vgl. das Verhältnis von ⇑ "Übergang", Übertritt zu Übergehung, Übertretung. Doch stellen sie sich teilweise auch zu den festen Zusammensetzungen, zumal da, wo keine unfesten gebräuchlich sind, vgl. ↑ "Überzug", "Überschlag"(2), "Überfall", "Überblick", Überschau, "Übersicht", "Übergabe", Übernahme. Andere substantivische Zusammensetzungen sind ↑ "Überrest", das sich an ↑ "Überbleibsel" anschließt, und solche, in denen über das Hinausgehen über ein gewisses Maß bezeichnet: Überfracht, Überhand, Überlast, Übermacht, Übermaß, Überzahl, ⇑ "Übergewicht", "Übermensch", "Übermut". Den gleichen Sinn hat über in adjektivischen Zusammensetzungen: übereifrig, überfein, übergroß, überheiß, überklug, überlang, überlästig, übermächtig, übermenschlich, übernatürlich, überreif, übersinnlich, überirdisch; ↑ "super-". Anderen Sinn hat über in "überseeisch" und wieder anderen in "übernächtig"; sie schließen sich an über See und über Nacht an. Von diesen Zusammensetzungen zu unterscheiden sind die Zusammenschreibungen der Präposition mit einem abhängigen Wort wie ⇑ "überhaupt", "übereck", "übermorgen", "überall", "überein-".