Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
und
⇢ "Maul"ahd. unta, unte, unti, int(i), enti, anti, mhd. und(e), unt, frühnhd. auch unnd, unndt (altengl. and, ond, engl. and), altnord. en(n), entweder verwandt mit altind. átha ›darauf, dann‹ oder zu erschlossenem indogerm. *hanti›auf der Vorderseite, gegenüber‹, vgl. griech. antí ›gegenüber‹, lat. ante ›vorn, vor‹ (L176 2Kluge/ Seebold); zunächst
1 Konjunktion (L327 Voc.Teut.-Lat. 1482)
1.1 zur Verbindung von Elementen desselben Satzgliedes ›ferner, sowie, samt‹: Hiltibrant enti Hadubrant (ahd. Hildebrandslied 1); vor Jahr und Tag (A075 Johann Wolfgang von Goethe, IV,27,6); die stadt Göttingen, berühmt durch ihre würste und universität (Heine; L059 DWb); auch in verkürzter Redeweise zur Einsparung von Wortteilen und Flexionsendungen: ein guter Fecht-/ Tantz- und Sprachmeister(L169 Matthias Kramer 1702); un- und miszverstanden(Hölderlin; L059 DWb); sein gelb und rothes Kleid (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 21,14); hierher ein und der-, die-, dasselbe; mit ungewöhnlicher Nachstellung des zweiten Elements: Am großen Markt, / Und Dienstag ist und Freitag Session (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Zerbrochener Krug 11.Auftritt); auch bei Wiederholung desselben Wortes als Ausdruck einer Steigerung (bei Adjektiven und Adverbien mit dem Komparativ): Und hohler und hohler hört man's heulen (A222 Friedrich Schiller, Der Taucher; 2.1,268); durch und durch, über und über, nach und nach (L004 Johann Christoph Adelung); um nichts und wieder nichts(Wieland; L059 DWb); Denn kräftig reizt ihn manch und manches Bild (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 16,182); Aber seid mir tausend und tausendmal willkommen! (Tieck; L059 DWb); dagegen der und der, halb und halb, so und so (↑ "so"), gleich und gleich gesellt sich gern, wo trotz Wortgleichheit keine Identität der Bezugsgegenstände besteht; in steigerndem Sinn auch bei der Wiederholung desselben Verbs zum Ausdruck von Intensität und Dauer: borgt und borgt und borgt (Lessing; L059 DWb); er lief und lief, er kam und kam nicht (L059 DWb); er, der Jud kam und kam (A035 Paul Celan, Gespräch im Gebirg); seit althochdeutscher Zeit insbesondere in Aufzählungen vor der Nennung des letzten Gliedes: große Heerden Schafe, Pfauen und wilde Schweine (L305 Christoph Ernst Steinbach 1734); erhöht durch freundliche, gnädige und vertrauensvolle Aufnahme (A075 Johann Wolfgang von Goethe, IV 31,44); gelegentlich auch vor jedem aufgezählten Glied, literarisch oft zum Ausdruck von Gleichzeitigkeit und -gewichtigkeit: Religion, und Tugend, und Pflicht, und Gewissen verachten (L004 Johann Christoph Adelung); Man bilde und verfeinere und organisire dies Geschrei, wie man wolle (Herder; L059 DWb); Und es wallet und siedet und brauset und zischt (A222 Friedrich Schiller, Der Taucher; 2,1, 268); auch bei der Verbindung zweier Satzteile, von denen der zweite dem ersten eine nähere Bestimmung hinzufügt, hierher spezifizierendes und zwar (L308 Kaspar Stieler; vgl. L012 Otto Behaghel, Syntax 3,355): einmal in seinem Leben, und zwar zu Beginn seines besten Mannesalters, habe sein Großvater sich recht von Herzen glücklich gefühlt (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 220); im selben Sinne auch ohne zwar: daß Sie mir auch manches und von besserer Art zu erzählen haben mögen (Goethe, Briefe); dazu und andere(s) (u. a.), und vieles andere mehr(u. v. a. m.), und ähnliches (u.ä.), und dergleichen (u.dgl.; L308 Kaspar Stieler), und öfter (u.ö.), und so fort (Luther: und so fort an; L059 DWb; und so fortan; L308 Kaspar Stieler 1691), und so weiter (usw., früher u. s. w.; L308 Kaspar Stieler), und und und im Sinne von ›es gäbe noch mancherlei aufzuzählen‹ (besonders in der heutigen Werbung): der Aufgang zum Schlafbereich mit Bad Bidet und und und (B.A249 Botho Strauß, Kalldewey 77); sowie und so (vgl. "so"[3.1]);
1.2 in »literarischer wie volksthümlicher sprache« (L059 DWb) auch mit wiederaufnehmendem Pronomen: Früchte des feinsten Geschmacks hat er hervorgebracht und die sich immer erneuern (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 45,18); der dritte wunsch und er ist mein(Herder; L059 DWb);
1.3 zur inhaltlich konsekutiv, adversativ, temporal (Gleich- und Nachzeitigkeit) oder konditional ausdeutbaren Verknüpfung zweier Hauptsätze: wenn ich sage der nebel flieht, und ich bleibe noch hier, so heiszt das: obgleich der nebel flieht, so bleibe ich doch noch hier; oder weil er flieht, so bleibe ich noch hier; oder während er flieht, bleibe ich noch hier; oder meinetwegen auch bis der nebel flieht, bleibe ich noch hier; kurz verstehe darunter, was du willst, wenn es dir nur gefällt, oder wenn du nur nicht weiszt, was ich meine (Goethe; L059 DWb), am häufigsten mit Auslassung von Satzteilen, insbesondere des zweiten Subjekts bei Identität mit dem ersten (vgl. L012 Otto Behaghel, Syntax 4,30ff.): sie ligt da und ist kranck (L169 Matthias Kramer 1702); Cajus kam und weinte (L004 Johann Christoph Adelung); Ihr Eifersüchtigen… / Denkt euren Streichen nach, dann habt das Herz und klagt (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 9,38); aber auch zwischen Sätzen mit unterschiedlichen Subjekten: Ich dachte Dein, und Farben bunt erschienen / Im Sonnenglanz mir vor'm Gesicht (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 4,13); disjunktiv im Sinne von ›oder‹: Saget was man thun und lassen müsse? (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 6,35); adversativ im Sinne von ›aber, doch‹: du suchest nun Rosen und findest den Dorn (A121 Johann Gottfried Herder 26,11); Grau, theurer Freund, ist alle Theorie, / Und grün des Lebens goldner Baum (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,100 LH); jedoch auch in Verbindung mit doch, dennoch: ich bin zwar ziemlich jung, und dennoch folg ich euch (Ch.Reuter; L059 DWb); Endlich, endlich bin ich fertig und doch nicht fertig (A075 Johann Wolfgang von Goethe, IV 8,22); ähnlich mit elliptischem Nachsatz: so charakterisiert ihn de la Motte; und richtig (Lessing; L059 DWb); Wenn man älter wird sollte man in einer großen Stadt leben, und mit dir (A075 Johann Wolfgang von Goethe, IV 26,14); ein einen Satz anschließendes undbleibt in der Regel ohne Einfluß auf die Wortstellung, jedoch daneben von alters her (Notker; L059 DWb) gelegentlich Umstellung des Subjekts und des finiten Teils des Verbs, häufig in der Amts- und Geschäftssprache: Er verstehet alle Heimligkeit / vnd ist jm keine Sache verborgen (A180 Martin Luther, Sirach 43,20); Ich bin wohl, habe das schönste Wetter und geht mir alles glücklich (A075 Johann Wolfgang von Goethe, IV,8,30); Inversion nur möglich, wenn der zweite Satz eine Folgerung aus dem ersten darstellt oder einen diesen begleitenden Umstand angibt (hier meist Ersetzung durch auchoder und zwar möglich); im Konditionalsatz noch bei Goethe zum Einfügen einer »einzigen, letzten bedingung« (L059 DWb): Wo kam die schönste Bildung her, / und wenn sie nicht vom Bürger wär'? (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 5.1,151); üblich dagegen bis heute in an Aussage- oder Imperativsätze angeschlossenen Konditionalsätzen wie: Kindlein liebt euch, und wenn das nicht gehen will: laßt wenigstens einander gelten (A075 Johann Wolfgang von Goethe, IV 27,220); im älteren Volkslied und danach auch bei neueren Dichtern gelegentlich Setzung eines und vor einem Bedingungssatz, der dadurch (wie durch eingeschobenes abtönendes ↑ "auch"[6]) zu einem Konzessivsatz wird: du mußt! und kostet' es mein Leben (Goethe); Den Teufel spurt das Volckchen nie, / Und wenn er sie bei'm Kragen hatte(A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,108 LH); dagegen auch im Konditionalsatz wie sonst zur Anknüpfung an das Vorhergehende: Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; / Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Erlkönig);
1.4 mittelhochdeutsch und noch bis ins 17. Jahrhundert »in relativen.. bestimmungssätzen, in denen der redende ursprünglich neben anderen unausgesprochenen bestimmungen an eine dachte« (L059 DWb): got macht es, wie und er wil (Luther; L059 DWb); alles und das got wil erquicken (Sachs; L059 DWb);
1.5 im Anschluß an lat. etsatzeinleitend, am Anfang eines Satzes, Abschnitts, Absatzes, einer Strophe, eines Textes (Gedichts, Briefs, Gesprächsbeitrags) zum Zwecke nicht näher bestimmter oder scheinbarer Anknüpfung oder Hinzufügung (schon bei Otfrîd, Notker): Am Anfang schuf Gott Himel vnd Erden. Vnd die Erde war wüst vnd leer / vnd es war finster auff der Tiefe / Vnd der Geist Gottes schwebet auff dem Wasser VND Gott Sprach / Es werde Liecht / Vnd es ward Liecht. Vnd Gott sahe / das das Liecht gut war (A180 Martin Luther, 1.Mose 1,2ff.); Und frische Nahrung, neues Blut / Saug' ich aus freier Welt (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Auf dem See); »Und sie besuchen hier also die Hochgradigen?« fragte sie (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 431); besonders beliebt auch im Titel literarischer Werke: Und sagte kein einziges Wort (1953 Böll);
1.6 im temporalen und konditionalen Sinn als Einleitung eines Nachtrags: Ein Flügelschlag und hinter uns Äonen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 3,96); dagegen
1.7 im hinzufügenden Sinne im parenthetischen Einschub (insbesondere in der gesprochenen Sprache): man spricht, und das ist die wahrheit (Luther; L059 DWb); »Arme Lene« (und das Lachen war diesmal auf seiner Seite), »da hast du fehlgeschossen… « (A060 Theodor Fontane, Irrungen; 2,344); ebenso in Frage und rhetorischer Frage (schon Otfrîd; L059 DWb): was sie empfanden, war über allen ausdruck; und wozu bedurften sie der worte? (Wieland; L059 DWb); Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, / was Erlenkönig mir leise verspricht? (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Erlkönig); desgleichen in Ausrufen, Befehlen, Warnungen: Gebt acht! Ein Lied vom neusten Schnitt! / Und singt den Rundreim kraftig mit! (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,105 LH) sowie in Fügungen wie und sieh(e) (da) oder Verbindungen mit Interjektionen: Vnd Gott sahe an alles was er gemacht hatte / Vnd sihe da / es war seer gut (A180 Martin Luther, 1.Mose 1,31); und botz noch eins!(Grimmelshausen; L059 DWb); Und ach! (A075 Johann Wolfgang von Goethe, 2,90); hierher ausleitendes und nun: Und nun lebe wohl! (A075 Johann Wolfgang von Goethe, IV 27,141); heute im Abschiedsgruß und tschüs;
1.8 substantivisch: Kein »Und«, kein Bindewörtchen darf außenbleiben (Goethe; L264 Daniel Sanders); Danton. Wer soll denn all die schönen Dinge ins Werk setzen? Philippeau. Wir und die ehrlichen Leute.Danton. Das und dazwischen ist ein langes Wort, es hält uns ein wenig weit auseinander (A030 Georg Büchner, Dantons Tod 1,1);
2 beim Rechnen ›plus‹: 1 und 2 macht 3, d. h. eins, dazu zwei (L033 Joachim Heinrich Campe);
3"S079" Gliederungspartikel ›Sprecher bittet um weitere Informationen, insbesondere um Begründungen‹ (zuweilen auch an sich selbst gerichtet), oft mit zusätzlicher Erläuterung oder spezifizierender Frage: heute feire ich meinen 65. geburtstag im frohen kreise meiner freundeund? (1811 Krummacher; L059 DWb); Herr Settembrini beschrieb mit Kopf, Schultern und Händen eine einheitliche Gebärde, die die Frage »Nun, und? Was weiter?« heiter und artig anschaulich machte (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 282); Rums. Ein Mensch stirbt. Und? Nichts weiter. (A019 Wolfgang Borchert, Draußen 103); »Und?: Was wurde aus dem jungen Mann?« erkundigte sich Dieskau rasselnd (A.A226 Arno Schmidt, Trommler 110); Die Frau… Wie hieß er gleich? Der Mann. Kalldewey sein Name. Die Frau. Und? Habt ihr ihn erwischt, / habt ihr den je gefunden? (B.A249 Botho Strauß, Kalldewey 71);
4"S185" Rückmeldepartikel, rückfragend ›Hörer bittet um weitere Informationen, insbesondere um Begründungen (ohne Beanspruchung des Rederechts)‹: Tempelherr… Nach Euch und ihrem Bruder weiter nicht / Zu fragen – Nathan. Und? Tempelherr. Und mir zu folgen (A177 Gotthold Ephraim Lessing, Nathan 5,5); häufig mit der zusätzlichen Bedeutung ›Hörer gibt zu verstehen, daß er das bisher Gesagte für unbedeutend oder unerheblich hält‹: Schmitz: Wir sind doch zusammen in die Schule gegangen, Herr Biedermann… Biedermann: Und? Schmitz: Da hab ich gedacht (M.A064 Max Frisch, Biedermann 350); hierher na, und?(↑ "na").
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