Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
treu
mittelhochdeutsch zunächst nur getriuwe (getreu heute vor allem gehoben), das einfache Wort erst in mitteldeutschen Quellen; gemeingermanisch (got. triggws, engl. true), verwandt mit got. triu, engl. tree ›Baum‹, urverwandt griech. drus›Eiche‹, litauisch drútas ›fest‹, also wohl anfangs ›fest wie ein Baum‹ (vgl. "stämmig"/ ↑ "Stamm"); zunächst1 ethischer Begriff
1.1 im Sinn einer ritterlich-höfischen Tugend, von demjenigen, der einen Vertrag einhält (lehnsrechtlich): bemelten keiser treuw vnd hold (1606; L059 DWb), ein treuer Unterthan (L003 Johann Christoph Adelung 1780), abgeblaßt treuer Diener, treue Dienste; im späteren 19. Jahrhundert nationalistisch Fest steht und treu die Wacht am Rhein(Schneckenburger); rechtssprachlich veraltet in der Formel das ihm zu treuer Hand getan istzur Aufbewahrung übergeben ist‹ (Luther), es ist ein Teil hinter uns gelegt zu treuer Hand (↑ "hinterlegen") (Luther), im Plural erhalten
zu treuen Händen; daneben
1.2 auf die innere Beziehung zwischen Menschen bezogen: Treüwe state freünd auff die man sich wol lassen darff (L200 Josua Maaler), einem treu seyn (L169 Matthias Kramer), speziell von Eheleuten, »wenn sie alle Beywohnung mit andern Personen geflissentlich vermeiden« (L003 Johann Christoph Adelung 1780); abgeblaßt im brieflichen Abschiedsgruß Ewig Ihr treuer Sohn Hölderlin(Hölderlin an seine Mutter 30.1.1797); ›zuverlässigmein treuer beystand (1657; L059 DWb), übertragen ›ehrlichso wellen wir… unsern treuen rat mittailen (1435; L059 DWb); substantivisch, seit dem 18. Jahrhundert häufig im Plural ›Gefolgsleute‹: Stürzt'… Mit seinen Treuen Gustaf hinan(Hölderlin, Gustav Adolf); metonymisch ›vertraut‹: was für ein zauber der beruhigung in geliebten treuen augen (A.Stifter; L059 DWb), treuer mund (Gerhardt; L059 DWb); hierher auch treues Gedächtnis, treue Erinnerung (eigentlich ›von denen man nicht im Stich gelassen wird‹); dann auch von Tieren ›anhänglich‹: fürsten reiten trewe hengste (1604/ 05; L059 DWb); als Charaktereigenschaft
1.3 prädikativ treu und aufrichtig handeln (1650; L059 DWb), in der Namenverbindung appellativ der treue Eckhart (1532; L059 DWb); auf das Volk der Deutschen bezogen (1520; L059 DWb), abwertend treu wie das treue deutsche Volk (Heine), dazu treudeutsch (17. Jahrhundert) als nationalistische Grußformel (19. Jahrhundert; L059 DWb); metonymisch treues Herz (mhd. ), treue Seele seit späterem 18. Jahrhundert wie ↑ "brav" auch abwertend ›naiv‹, ebenso treue Haut (L059 DWb); als Wesenszug auch vom Unbeirrbaren der Wahrheit treu bleiben (L003 Johann Christoph Adelung 1780), der immer… seiner überzeugung treu bleibt (Lavater; L059 DWb), so blieb ich mir selbst treu (L003 Johann Christoph Adelung 1780); im Vergleich, heute umgangssprachlich
treu wie Gold (↑ "Gold"); seit dem 18. Jahrhundert zunehmende Aufgabe des ethischen Begriffs, ›dauerndas glück… mir war es treu(Schiller; L059 DWb), ›geflissentlich‹: Drum laß uns treu und brav und kühn, / Die Lebenspfade wandeln (Goethe; Ch.L042 Christa Dill), heute abwertend Anfangs bezahlte Mama… treu und brav die… zertrümmerten Küchenfensterscheiben (A083 Günter Grass, Blechtrommel 69); gegenständlich ›beständigO Tannenbaum, wie treu sind deine Blätter; einer Sache treu bleibensie beibehalten‹; seit Mitte des 18. Jahrhunderts
2 »der Wahrheit völlig, gemäß« (L003 Johann Christoph Adelung 1780): eine treue Copie… Abschrift(ebenda), seine nachahmung sey… treu der natur (Eschenburg; L059 DWb).
Treuhänder mhd. triuwehander, triuwehender zu treu(1.1) ⇓ "S181" rechtssprachlich ›wem etwas anvertraut ist unter der Voraussetzung, dieses nicht im eigenen Interesse zu nutzen‹; seit früherem 20. Jahrhundert auch übertragen zum Ausdruck von (beanspruchter) Zuständigkeit, Verantwortlichkeit: treuhänder der volksgesamtheit (1932; L059 DWb);
Treuhandgesellschaft (Ende des 19. Jahrhunderts) ⇓ "S125" Lehnübertragung von engl. trust-company; ⇓ "S149""S231" zur Zeit der politischen Wende 1990 »Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums« (gegründet 1.3.1990; L131 H/ S/ T), synonym gebräuchlicheres Treuhandanstalt, Kurzwort Treuhand: Die Treuhand wirtschaftet die Betriebe auf Null, um sie billig zu verschachern (1990; ebenda);
Treue ahd. triuwa, mhd. triuwe, gemeingermanisch (got. triggwa), verwandt mit ↑ "trauen"; anfangs
1.1Vertrag‹, so in die romanischen Sprachen übernommen (mittellat. treuga, ital. tregua, franz. trève ›Waffenstillstand‹); dann
1.2das Halten eines Vertrages‹; schließlich der Bedeutungsentwicklung des Adjektivs folgend
2.1 als ethischer Begriff, seit dem Althochdeutschen religiös gedeutet, zunächst synonym mit ↑ "Glaube", daher die Paarformel Treu und Glauben, zumeist präpositional mit auf (verbreitet seit Mitte des 18. Jahrhunderts) »Wie sagt man denn, wenn man jemandem… etwas anvertraut… ?«… »Auf Treu und Glauben.« B.A254 Botho Strauß, Paare 86f.; daneben im Sinn einer ritterlichen Tugend politisch gedeutet, fest in der Verbindung trew vnd gehorsam… von vnderthanen (L037 Petrus Dasypodius), ebenso rechtssprachlich, dazu veruntreuen (mhd. ), "Pflichttreue";
2.2 auf Personen des privaten Umgangs bezogen, speziell in der Ehe eheliche Treue (mhd. ); im Sinn einer Eigenschaft saltz und brod und treue (1675; L059 DWb), Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn (A222 Friedrich Schiller, Die Bürgschaft), Vatertreue, Freundestreue;
2.3 seit dem 18. Jahrhundert abgeblaßt, jedoch im Gegensatz zum Adjektiv ohne Bedeutungsverschlechterung, speziell auf die Wiedergabe von Wirklichkeit bezogen die schilderung der charaktere… erfordert… treue und richtigkeit (Eschenburg; L059 DWb);
3 in der Verbindung (bei) meiner Treu (16. Jahrhundert), mhd. ich wilz bi minen triuwen (›ehrlich‹) sagen (L059 DWb), als Interjektion ›wahrlich‹ besonders im 17. und 18. Jahrhundert, seit dem 19. Jahrhundert veraltet;
treulich mhd. triuwelich, Adverb zu treu (s. oben), bibelsprachlich erhalten.
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