Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
treiben
ahd. triban, mhd. triben, gemeingermanisch (got. dreiban, engl. drive), verwandt mit litauisch dribti;1 transitiv
1.1 mit lebenden Wesen als Objekt bezeichnet es eine Beeinflussung des Willens derselben, wodurch sie zur Fortbewegung gebracht werden: Vieh auf die Weide, zur Tränke treiben, Lasttiere/ Zugtiere (mit der Peitsche, mit Zuruf) treiben, Pferde mit den Sporen, Hasen treiben; jmdn. forttreiben, aus dem Haus, in die Flucht treiben, jmdn. in die Enge treiben übertragen ›keinen Ausweg lassen‹, einen Haufen auseinandertreiben.Zuweilen ohne Objekt, das von selbst verstanden wird: der Hirte treibe ins Gefilde (Schiller), treibt Ihr jetzt heim? (Schiller); das Partizip Perfekt substantivisch irren ihr nach / Die Getriebenen (A131 Friedrich Hölderlin, Wenn nemlich der Rebe Saft). Als Subjekt kann auch ein innerer Zustand stehen: die Sucht nach Abenteuern trieb ihn in die Ferne, oder ein äußerer Umstand, der die Veranlassung gibt: die Not hat ihn nach Amerika getrieben; unpersönlich: es treibt und reißt ihn fort(Schiller), es trieb ihn nach dem Strande (Uhland);
1.2 von der Veranlassung zur Tätigkeit jmdn. zur Arbeit, zum Kampf, zu einem Mord, zur Eile, zur Verzweiflung, zum Äußersten treiben; auch mit zu und Infinitiv ohne Zielbestimmung (jmdn. ) treibenzur Eile drängen‹, danach übertragen Pflanzen treiben (im Treibhaus s. unten). Als Subjekt kann auch wieder ein innerer Zustand stehen: Hunger, Unruhe, Ehrgeiz, Habgier, Verzweiflung trieb ihn dazu; oder ein äußerer Umstand: die Not, die Armut, der Mangel trieb ihn dazu, wie der Gutsinspektor des Schneiders junge Frau verführte und in den Tod trieb (A257 Erwin Strittmatter, Bienkopp 163), "antreiben";
1.3 frühzeitig auch leblose Gegenstände als Objekt, auf die eine direkte mechanische Einwirkung zur Erzeugung einer Bewegung ausgeübt wird: einen Ball, einen Reifen, einen Kreisel, ein Rad treiben; einen Nagel in die Wand treiben, einen Keil in etwas treiben übertragen, wenn jemand Zwiespalt sät, einen Reifen an ein Faß treiben; einen Stollen in die Erde, einen Tunnel in einen Berg treiben, wobei als Objekt das durch die Tätigkeit Hergestellte steht; Gold/ Silber treiben zur Herstellung von Bildwerken, mit anderer Art von Objekt Figuren treiben (Goethe), getriebene Arbeit. Mit nichtpersönlichem Subjekt der Wind treibt den Staub, die Strömung treibt den Baumstamm; technisch der Wind, der Bach, der Dampf treibt die Mühle, ein Rad treibt das andere, die Feder treibt die Uhr, dazu treibende Kraft wenn jmd. Vorgänge, Geschehen prägt; harntreibende, schweißtreibende Mittel; die Pflanze treibt Keime, Schößlinge, Blätter, Blüten usw., wobei wieder ein erst bewirktes Resultat als Objekt steht, übertragen zu jenem Ideale, das verschwenderische Blüten treibt (Schiller);
1.4 übertragen im Anschluß an (1.1) bzw. (1.3) die Preise in die Höhe treiben; etwas auf die Spitze, aufs Äußerste, zu weit treiben; doch muß das Mißtrauen nicht über sein Ziel getrieben werden (Lessing); die Wasserfarbenmalerei, die man sehr hoch getrieben (Goethe); treibe Traurigkeit fern von dir (Luther); das Mitleid trieb ihm das Wasser in die Augen, die Angst trieb ihm den Schweiß aus; diese Worte trieben ihr das Blut, die Schamröte ins Gesicht;
1.5 verblaßt ›sich mit etwas abgeben, beschäftigen‹: Ackerbau, Handel, ein Gewerbe, ein Handwerk, eine Kunst, fremde Sprachen, Philosophie, Geschichte, Mathematik, Sport(usw.) treiben; Politik, Aufwand, Luxus, Konversation treiben; unnützes Zeug, Wucher, Unzucht, Zauberei, sein (Un)Wesen (usw.) treiben; (seinen) Scherz, (seinen) Spott, seinen Mutwillen, sein Spiel, ein falsches Spiel mit jmdm. treiben. Nicht mehr geläufig biblisch Hoffart, Bosheit, Gewalt, das Werk des Herrn, das Evangelium des Friedens, solche Worte, solche Rede treiben u. a. Als Objekt steht auch ein es ohne bestimmte Beziehung (↑ "er"): tadelnd es arg/ bunt/ toll treiben, wie man's treibt, so geht's (Sprichwort), sehe jeder, wie er's treibe(Goethe); ich treib ein unruhiges Leben (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom April 1774); er wird es nicht mehr lange treibenseine jetzige Lebensweise wird nicht mehr lange dauern‹, auch ›er wird bald sterben‹; verhüllend es mit jmdm. treibenGeschlechtsverkehr mit jmdm. haben‹; substantivierter Infinitiv: sein Tun und Treiben, ein wildes, verworrenes, unruhiges Treiben;
2 reflexiv am gewöhnlichsten mit der Funktion eines Intransitivums in sich "herumtreiben"/ umhertreiben.Selten sonst: ist es besser ruhig bleiben, klammernd fest sich anzuhangen? ist es besser sich zu treiben? (Goethe), jeder treibt sich an dem andern rasch und fremd vorüber (Schiller), die Pferde treiben sich [›beeilen sich‹], die Ställe zu erreichen(Hagedorn);
3 intransitiv (L059 DWb) von Dingen, die sich in einer Strömung fortbewegen: ein Baumstamm, Eis treibt in dem Fluß, dazu Treibholz, "Treibeis"; übertragen unstet treiben die Gedanken auf dem Meer der Leidenschaft (Schiller); auch vom Strom selbst: weg treibt über alle Pflanzungen der Menschen der wilde Strom in grausamer Zerstörung (Schiller). Andere Verwendungen: Sand, Schnee treibt (Schneetreiben), ein stöbernder Wirbel treibt um den hohen Giebel (Goethe); die Welt kann tausendmal um ihre Pole treiben (Schiller), er läßt den abgegriffnen Hut im Kreis um seinen Daumen treiben (Wieland); Saft treibt in Pflanzen, das Bier treibtgärt‹. Zuweilen auch von lebenden Wesen: sein Saumtier treibt auf allen Straßen (Lessing); ich treibe [›gehe umher‹] von Straße zu Straße(J.J.Engel), da trieb im lauten Wirbel ohne Rast ein Menschenschwarm herum (Lenau), ein Lebemann, der unruhig umhertreibt(Freytag). Dazu durchtreiben, quertreiben,  ⇑ "abtreiben", "antreiben", "auftreiben", "austreiben", "betreiben", "eintreiben", "hintertreiben", "übertreiben", "Trieb", "Getriebe", "Trift". Den Bedeutungen des Verbs entsprechend
Treiber
1 zu treiben(1.1) ⇓ "S154" z. B. Eseltreiber, in der ⇓ "S100" Jägersprache »jagdhelfer« (1681; L059 DWb); in neuerer Zeit als ⇓ "S024" Lehnbedeutung von engl. driver in der ⇓ "S043" EDV auch zu (1.3)
2Programm zur Steuerung von Ein- und Ausgabegeräten‹ (P.L219 Peter Müller 101988), Druckertreiber, Maustreiber;
Treibhaus, zunächst Treibehaus (L003 Johann Christoph Adelung 1780) »ein Gebäude.., die Gewächse durch künstliche Wärme zum schnellern und vollständigern Wachsthume zu bringen« (ebenda), häufig übertragen heiß wie in einem Treibhause (A075 Johann Wolfgang von Goethe, IV,8,64), im Titel des Romans von A167 Wolfgang Koeppen Das Treibhaus (1953); dazu ⇓ "S149" neu
Treibhauseffekt (nach engl. greenhouse effect, L010 AWb) »Einfluß der Erdatmosphäre auf den Wärmehaushalt der Erde, der der Wirkung eines Treibhausdaches ähnelt« (L097 GWb);
Treibjagd (1810 L033 Joachim Heinrich Campe, 1763 Treibjagen; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt); häufig übertragen zur Bezeichnung von Grausamkeit: die empörer zusammengeschossen… wie hasen auf der treibjagd (Viebig; L059 DWb), machten treibjagd auf die flüchtlinge (Holtei; L059 DWb).
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