Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
trauern
ahd. / mhd. truren, bis ins 18. Jahrhundert noch trauren, trauret, wie auch jetzt traure; ursprünglich nur ⇓ "S163" oberdeutsch (L077 Theodor Frings 15ff.) und wohl wurzelverwandt mit got. driusan ›fallen‹, so daß in Verbindung mit Otfrids trurendie Augen senken‹ wohl von einer Bedeutung ›(den Kopf) senken‹ ausgegangen werden kann (Pretzel, Veröffentlichungen des Instituts für Deutsche Sprache und Literatur [Akademie der Wissenschaften Berlin] 1954,112f.); allgemein1 von der niedergedrückten Stimmung, Gegensatz sich ↑ "freuen": Ist es nicht Sünde zu trauern im Frühling? (A131 Friedrich Hölderlin, Hyperion 109); bei Alexander und Margarete A307 Alexander und Margarete Mitscherlich als kompensatorisches Verhalten einer Großgruppe gedeutet Die Unfähigkeit zu trauern (Titel 1967); zunehmend
2 auf den Tod von Nahestehenden bezogen Vber einen Todten pfleget man zu trawren (A180 Martin Luther, Sirach 22,10), literarisch auch transitiv soll mein geist… trauern den Tod meiner Freunde (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Werther 19,168,27), mit Genitiv: wie sehr er trauerte des Freundes (Voß), häufig im Partizip Präsens trauernde Witwe/ Hinterbliebene; daher seit dem 18. Jahrhundert auch »wegen eines Verstorbenen Traur-Kleidung anlegen« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch); abgeblaßt
3 auf ein bestimmtes Ereignis bezogen ›betrübt sein‹: Um/ über oder wegen etwas trauren (L169 Matthias Kramer); dazu nachtrauern. Daraus ⇓ "S183" rückgebildet
Trauer mhd. trure, triure, seit dem 17. Jahrhundert geläufig; ⇓ "S075" trauern folgend allgemein ›Kummer, Betrübnis‹, in typischen Verbindungen: er… trägt den schmerz in stiller, tiefer trauer (Herder; L059 DWb), psychoanalytisch abgegrenzt Gegensatz ↑ "Melancholie": daß es uns niemals einfällt, die Trauer als einen krankhaften Zustand zu betrachten (S.A063 Sigmund Freud III,197); speziell beim Schmerz um eine(n) Verstorbene(n), kulturgeschichtlich institutionalisiert, daher auch temporal die eitelkeit… in der trauer (Ch.Weise; L059 DWb), bzw. auf die entsprechende Kleidung bezogen Trauer anlegen (L308 Kaspar Stieler), tiefe Trauer (L003 Johann Christoph Adelung 1780) Kann keine Trauer sein (Gedichttitel A010 Gottfried Benn 6.1.1956).
Trauerarbeit (⇓ "S180" psychologisch) ›Vorgang zur Bewältigung seelischen Schmerzes‹: wird… das Ich nach Vollendung der Trauerarbeit wieder frei und ungehemmt (S.A063 Sigmund Freud III,199);
Trauerkloß"S034" berlinisch Anfang des 20. Jahrhunderts umgangssprachlich von einem schwermütigen, trägen Menschen;
Trauerspiel"S127"Tragödie‹, zuerst im Kompositum Trauerspielschreiber (Opitz 1630), Traurspiel (1638 Comenius; L059 DWb), seit A177 Gotthold Ephraim Lessing fest in der Verbindung bürgerliches Trauerspiel: Ich habe eine Menge unordentlicher Gedanken über das bürgerliche Trauerspiel aufgesetzt (Brief an Nicolai 20.7.56;17,59), übertragen wie ↑ "Tragödie" ›Unglückdies leben… ein traurspiel (Rist; L059 DWb);
traurig ahd. trurag, mhd. trurec, truric;
1"S075" auf den Menschen bezogen ›bekümmert, niedergeschlagen‹: einen traurig machen, warum seyd ihr so traurig? (L169 Matthias Kramer);
2 mit Bezug auf das Ereignis traurige Zeiten (L308 Kaspar Stieler), ein trauriges Ende nehmen (L003 Johann Christoph Adelung 1780), traurig, aber wahr (Herder; L059 DWb);
3 seit dem 18. Jahrhundert »auch wol für armselig« ein trauriger Mensch! (L033 Joachim Heinrich Campe), einen traurigen ducaten (Lessing; L059 DWb); nach Cervantes Don Quichote: Ritter von der traurigen Gestalt(1648; L059 DWb);
4 wie ↑ "fragwürdig": trauriger Sieg »victoria cruenta [›blutiger Sieg‹]« (L308 Kaspar Stieler), als moralisches Urteil traurige berühmtheit;
5 weiterhin abgeblaßt ›unerfreulichtrauriges wetter, eine traurige figur [machen] (Wieland; L059 DWb), auch von welken Pflanzen und Blumen;
Traurigkeit ahd. / mhd. trurecheit; zu traurig(1.1), der könig fiel in tiefe traurigkeit (Novalis; L059 DWb); zu traurig(2), die traurigkeit des winters (1678; L059 DWb).
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