Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Tag
ahd. / mhd. tac, tages, gemeingermanisch mit Verwandtschaft in anderen indogermanischen Sprachen, aber keiner genauen Bedeutungsentsprechung; ursprünglich1die helle Zeit‹, Gegensatz ↑ "Nacht": Es wird ein schöner tag werden / denn der Himel ist rot (A180 Martin Luther, Matthäus 16,2), vor tage vischen uf den se (Hartmann von Aue, Gregorius 775; L059 DWb), Anbruch… deß Tags (L200 Josua Maaler), Der Tag neiget sich (L308 Kaspar Stieler), am hellichten Tag (L169 Matthias Kramer): zeuch am liechten tage dauon fur jren augen (A180 Martin Luther, Hesekiel 12,3), dazu im Sinne von ›sichtbar, offenbar‹: die vrsachen sind am Tag gelagen, an Tag bringen (L200 Josua Maaler), an den Tag kommen (L308 Kaspar Stieler), zu Tage treten/ legen (L059 DWb); daher mit Bezug auf »das Licht des Tages, im Gegensatz der Grube und der Tiefe in der Erde« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch) auch bergmannssprachlich ›Erdoberfläche‹: über/ unter Tage (L003 Johann Christoph Adelung 1780); hierher auch Tag(e)loch (16. Jahrhundert) ›Fenster‹ (noch bei A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 6.11.79); der gute Tag in der Grußformel: der al der werlt ein meister si / der geb der lieben guoten tac (A188 Minnesinger 3,448), guten Tag sagen… wunschen (L169 Matthias Kramer), Er sagt nicht einmahl: guten Tag!»er grußt nicht einmahl« (L033 Joachim Heinrich Campe); im Hinblick auf das Tätigsein Tages Arbeit, abends Gäste (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Der Schatzgräber); sprichwörtlich in der Mahnung zur Vorsicht Es ist noch nicht aller Tage Abend(Fischart; L059 DWb) und Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben (mhd. ; L059 DWb); zur Bezeichnung von Müßiggang Die Welt lebt in den Tag (Opitz; L003 Johann Christoph Adelung 1780), den lieben langen Tag mussig gehen (L169 Matthias Kramer); zur Bezeichnung von Wiederkehrendem von Tag zu Tag (ahd. ), alle Tage (ahd. ), Tag für Tag: Es fodert die Seele Tag für Tag der Gebrauch uns ab (A131 Friedrich Hölderlin, Der Abschied, 2,24); einen Tag um den andern (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch) ›alle zwei Tage‹; im Sinne von ›immer‹ ⇓ "S243" Tag und Nacht studiren/ arbeiten (L169 Matthias Kramer), dagegen zum Ausdruck von Gegensätzlichkeit das ist wie Tag und Nacht »so verschieden« (L033 Joachim Heinrich Campe); Rom ist nicht an einem Tag gebaut worden (L284 Justus Georg Schottelius) als Antwort, wenn jmd. ungeduldig zur Erreichung eines Ziels drängt; Nur Einen Tag mit Saitenspiel… zu feiren (A131 Friedrich Hölderlin, Am Tage der Freundschaftsfeier); für den Tagohne langen Bestand, wertlos‹, im Kompositum mit Genitivfuge zur Bezeichnung von rasch Vergessenem seit dem 19. Jahrhundert: Tageslaune, Tagesmeinung, Tagesmode, Tagespolitik (A118 Heinrich Heine, Lutezia LX, 1.6.1843), Tagespresse (ebenda XI, 3.6.1840), Tagesschriftsteller, Tagesstimmung, Tageszeitung (L059 DWb); dann auch
2Zeitraum von 24 Stunden, in dem sich die Erde einmal um die eigene Achse dreht‹ (nicht immer von [1] genau zu unterscheiden): also volendet Gott am siebenden tage seine Werck (A180 Martin Luther, 1.Mose 2,2), Tag des HerrnSonntag‹ (L169 Matthias Kramer), vom Weltende: urstendi [›Auferstehung‹] in demo iungisten tage (Notker; L059 DWb), Tag des Weltgerichts (A222 Friedrich Schiller, Karlos 1,2), es nahet der Rache Tag (A131 Friedrich Hölderlin, Die Weisheit des Traurers); bis ins 19. Jahrhundert und katholisch noch heute die Namenstage der Heiligen als Datumsangabe: von sant Peters tag pisz [›bis‹] auf sant Johannes tag (L059 DWb); der bestimmte Tag in der älteren Rechtssprache auch ›Verhandlung‹, seit L003 Johann Christoph Adelung 1780 nur noch in Zusammensetzungen Gerichtstag, Kreistag, "Landtag", "Reichstag", Bundestag, metonymisch auch auf den Ort und auf die beteiligten Personen bezogen; hierher auch "Sonntag", Pfingsttag, "Geburtstag" (↑ "Geburt"), Ehrentag, Festtag, "Feiertag", Glückstag, Ruhetag, "Werktag" (↑ "Werk"), Zahltag, "Alltag" (↑ "all"); bezogen auf einen bestimmten Tag auch Held des Tages, zur Feier des Tages, Tag X (↑ "X"), für den 8.Mai (1945) Tag der Befreiung (vom Hitlerfaschismus) (L337 WdG), Tag der offenen Tür (L337 WdG) bei Betrieben, Behörden, Institutionen etc., die sich der Öffentlichkeit vorstellen möchten, hierher auch Tagesgespräch (A118 Heinrich Heine, Französische Zustände 1.8.1832) zur Bezeichnung des für kurze Zeit viel Beachteten; zur Angabe eines bestimmten Zeitraums in vierzehn Tagenin zwei Wochen‹ (L169 Matthias Kramer), aber vor/ in acht Tagenvor/ in einer Woche‹ (L169 Matthias Kramer), jeden Tag im Sinne von ›täglichwol dem, der ieden tag zu seiner gruft bereit(Gryphius; L059 DWb), dagegen unbestimmt sie kann jeden Tag eintreffensehr bald‹, keinen Tagniemals‹, dieser Tage (L169 Matthias Kramer) ›neulich‹ bzw. ›demnächst‹; auf einen Zeitpunkt bezogen eines (schönen) Tages (mhd. ) ›einmal‹, bzw. auf einen Zeitraum Die schönen Tage von Aranjuez sind nun zu Ende (A222 Friedrich Schiller, Karlos 1,1), dazu tagelang (mhd. ); im Plural
3 von unbestimmten Zeiträumen, mit Possessivpronomen auf den Lebenslauf bezogen alla daga mine (ahd. ; L059 DWb), Mein Tag [›so lange ich lebe‹] wird mir kein Freund lieber seyn (L308 Kaspar Stieler) (heute umgangssprachlich), seine Tage beschließensterben‹ (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch) (↑ "sterben"), im Sinne von ›Alterwas ihn angetrieben hat auf seine alten Tage noch zu heurathen (L003 Johann Christoph Adelung 1780); im Sinne von ›heutebi unseren tagen (L059 DWb), ›Vergangenheitin jenen bessern Tagen / … / Für das Volk dein liebend Herz geschlagen (A131 Friedrich Hölderlin, Griechenland), hierher "Lebtag" (↑ "leben").
Tageblatt"S131" L033 Joachim Heinrich Campe, ⇓ "S071""S125" Lehnübertragung von franz. journal; veraltet für heutiges ›Tageszeitung‹, erhalten in Namen von Zeitungen;
Tagebuch Kepler 1613, ⇓ "S071""S125" Lehnübertragung von lat. diurnale; veraltet
1Journal‹: (↑ "Journal") gelehrte Anzeigen und Tagebücher(Lessing); allgemein
2Buch oder Heft zur Niederschrift von persönlich Erlebtem‹: halten sie sich… ein tagebuch über ihr eigen herz (Gellert; L059 DWb); wie "Briefwechsel" seit dem 18. Jahrhundert (halb-)literarische Textgattung, authentisch mit Blick auf Veröffentlichung, so z. B. die Tagebücher Goethes (III.Abteilung der Weimarer Ausgabe), bzw. fiktional als literarisches Gestaltelement: Aus Ottilies Tagebuch (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Wahlverwandtschaften 2,2), daneben im politisch-sozialen Bereich im Sinne einer Geschichtsquelle zur Rekonstruktion historisch-politischer Prozesse: Varnhagen von Ense Tagebücher, Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Das Tagebuch der Anne Frank; speziell kaufmannsprachlich
3Einnahmen- und Ausgabenbuch‹;
Tagedieb L308 Kaspar Stieler 1691: »einer, der dem lieben Gott die Zeit stiehlt«;
Tagegeldgewöhnlich im Plural Tagegelder Ende des 18. Jahrhunderts (Wieland), ⇓ "S125" Lehnübertragung von ↑ "Diäten", mittellat. dieta; ›Aufwandsentschädigung‹, auf Reisen, heute auch bei der Krankenversorgung ›Vergütung bei einem Krankenhaus- oder Kuraufenthalt‹;
Tagelied mhd. tageliet, in literaturhistorischen Werken Bezeichnung einer mittelalterlichen Liedgattung, die den Abschied zweier Liebenden am Morgen behandelt; eigentlich ›Lied, das der Wächter zum Tagesanbruch singt‹;
Tagelöhner (15. Jahrhundert), zu Tagelohn;
Tagesbefehl (⇓ "S136" militärisch) L033 Joachim Heinrich Campes ⇓ "S071" Lehnübersetzung von franz. ordre du jour;
Tageslicht (ahd. ); übertragen Und stellt des Nachsten Bloß' ins helle Tageslicht (Burde; L033 Joachim Heinrich Campe), seit dem 19. Jahrhundert in den festen Verbindungen ans Tageslicht kommen/ bringender Wahrnehmung zugänglich werden/ machen‹;
Tagesordnung (Ende des 18. Jahrhunderts) ⇓ "S124" Lehnübersetzung von franz. ordre du jour, engl. order of the day; ›Plan des Ablaufs von Sitzungen, Verhandlungen‹, in festeren Verbindungen: etwas auf die tagesordnung setzen (L059 DWb), zur Tagesordnung, weiter! (A222 Friedrich Schiller, Tell 2,2),
⊚⊚ über etwas zur Tagesordnung übergehen(franz. passer à l'ordre du jour) übertragen ›sich nicht weiter um etwas bekümmern‹, ebenso an der Tagesordnung seinübertragen ›häufig vorkommen‹; allgemeiner auch
2 »die vorgeschriebene Ordnung in den Geschaften und Verrichtungen an jedem Tage« (L033 Joachim Heinrich Campe): und mein Geist ist vester und schneller, seit ich in lebendiger Arbeit bin und sieh! ich habe nun auch eine Tagesordnung! (A131 Friedrich Hölderlin, Hyperion 111);
Tagewerk ahd. tagawerc, mhd. tagewerc; zunächst speziell ›Arbeit um einen Tagelohn‹: sein Tagwerck verrichtet oder vollbracht haben (L169 Matthias Kramer), dazu veraltet ⇓ "S213" südostdeutsches Flächenmaß (Größe eines Ackers, der an einem Tag bearbeitet werden kann); allgemeiner ›die im Verlauf eines Tages verrichtete Arbeit‹ zur Bezeichnung des beruflichen Alltags: bei gemeinem Tagewerk den Lenz des Lebens zu verlieren (A222 Friedrich Schiller, Tell 2,1);
Tagsatzung (1487; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt)
1.1ständische Versammlung‹, ›Gesamtheit der Mitglieder einer solchen‹; speziell in der Schweiz bis 1848
1.2oberste, aus den Abgeordneten der einzelnen Kantone zusammengesetzte Behörde‹; noch heute österreichisch
2von einer Behörde festgesetzter Termin‹;
tagen ahd. tagen;
1Tag werden‹, unpersönlich; literarisch auch mit einem bestimmten Subjekt verbunden, durch das ausgedrückt wird, was als Tag erscheint oder den Tag herbeiführt: so bald der erste Morgen tagt (Schiller), laßt die schönste Sonne tagen(Goethe), dem tagenden Licht (A222 Friedrich Schiller, Der Spaziergang 139); seit dem 14. Jahrhundert (südwestdeutsch)
2verhandeln, eine Tagung halten‹, durch A222 Friedrich Schiller gemeinsprachlich: so laßt uns tagen nach den alten Bräuchen (Tell 2,2);
-tägig ahd. tagig, mhd. -tegec, -tegic, nur in Zusammensetzungen eintägig, zweitägig, achttägigacht Tage während‹;
täglich ahd. tagalih; vom regelmäßig Wiederkehrenden vnser teglich Brot gib vns heute (A180 Martin Luther, Matthäus 6,11), adverbial dasz er nu tegeliche die schœnen Kriemhilde sach (Nibelungenlied; L059 DWb); abwertend zur Bezeichnung von Eintönigkeit Tagliche sorg vnd angst (L200 Josua Maaler), auch ›mittelmäßig‹: die unzahl mittlerer, täglicher talente (Goethe; L059 DWb), verstärkt
tagtäglich (L308 Kaspar Stieler), ↑ -{{link}}lich{{/link}};
Tagung (15. Jahrhundert); veraltet auch vom beginnenden Tag, daneben zu tagen(2) ›Verhandlung‹; heute nur noch speziell ›einem bestimmtem Thema gewidmete, zu Information, Diskussion, Gespräch dienende Veranstaltung (z. B. von Berufs- oder Wissenschaftsorganisationen)‹: Am Rande einer Tagung man trifft sich, man geht aneinander vorbei(B.A250 Botho Strauß, Kongreß 59).
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