Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Stunde
ahd. stunta, mhd. stunde, gemeingermanisch, stammverwandt mit ↑ "stehen"; west- und nordgermanisch; zunächst1Zeitpunkt, kürzerer Zeitraum von unbestimmter Dauer‹, in typischen festen Verbindungen, im Sinn einer Präzision: verflucht sey die stunde meiner geburt (1587; L059 DWb), komb zu rechter stund (1551; L059 DWb), letzte Stunde, so auch im Diminutiv das (letzte) Stündlein (1. Hälfte des 16. Jahrhunderts; L059 DWb), Todesstunde (1550; L059 DWb), mit Possessivpronomen meine stund ist noch nit kummen (Sachs; L059 DWb), auf Frauen bezogen ihre (schwere) StundeZeitpunkt der Niederkunft‹ (1466; L059 DWb), in trüben Stunden, Stunde des Abschieds (A121 Johann Gottfried Herder, 26,40), sie haben in schwachen Stunden mich gesehen (A222 Friedrich Schiller, Karlos 4,9), zu der Stunde des Gastmals (A131 Friedrich Hölderlin, Patmos), ich hatte keine ruhige stunde mehr(1809; L059 DWb); ein Mann/ eine Frau der ersten Stunde, ohne Bestimmung bei A200 Friedrich Nietzsche und das Volk rühmt sich seiner grossen Männer! das sind ihm die Herrn der Stunde (Zarathustra 66); mit dem Begriff des Dauernden, von Stund an ursprünglich ›bald‹, frühneuhochdeutsch weiterentwickelt zur heutigen Bedeutung ›seither‹, zu keiner stundenie‹ (1577; L059 DWb), zu jeder stundeimmer‹ (1642; L059 DWb); dagegen mit dem Begriff des Punktuellen zur selben Stundejetzt‹ (A180 Martin Luther, Matthäus 8,13), gleichbedeutend um diese, zur Stunde (L169 Matthias Kramer); ›plötzlichVon einer Stund zu der anderen (L200 Josua Maaler); ⇓ "S155" seit dem Frühneuhochdeutschen
224. Teil des Tages‹: die drit stund des tags (1512; L059 DWb), tag und nacht 24 stunden in sich halten (1565; L059 DWb); auf den Zeitraum von sechzig Minuten bezogen: die Stunde war so schön (A131 Friedrich Hölderlin, Die Meinige), zur Bezeichnung von Vergänglichkeit: dasz die stunden, so verrinnen, / schritte sind dem grabe zu (1721; L059 DWb), unsere stunden sind gezählt (Fontane; L059 DWb), Stunden schlagen (L169 Matthias Kramer), daher zur Bezeichnung eines langen Zeitraums eine geschlagene Stunde (L169 Matthias Kramer), eines kurzen Zeitraums: nicht eine Stunde Fried haben (L169 Matthias Kramer), einmal eine Stunde… Ruhe haben (L169 Matthias Kramer), zum Ausdruck von Ungeduld: dasz ich die stunden zähle, bis er kommt (Fontane; L059 DWb); danach zur Bezeichnung einer räumlichen Entfernung: eine stunde weges (1684; L059 DWb), drei meilen oder sechs stunden (1783; L059 DWb); seit dem 18. Jahrhundert speziell ›Unterricht‹: die kinder mit stunden überhäuft (Heinse; L059 DWb), dem junker stunden geben (Eschenburg; L059 DWb); als Ausdruck zunehmender Präzisierung Stundengeschwindigkeit, Stundenkilometer (beide 1909; L059 DWb).
Stundenbuch
1 wie "Tagebuch" gebildet, insofern es Notate wichtiger Stunden enthält das stundenbuch der Leipziger schlacht (Goethe; L059 DWb), ähnlich Herder, veraltet; im 20. Jahrhundert
2verkürztes Brevier‹ (S.L261 Simon Rot 1571: Breuir »ein Bettbuch der Priester«) und gebildet nach franz. livre d'heuresmittelalterliches Gebets- und Andachtsbuch für Laien‹, Das Stunden-Buch (Titel) von A215 Rainer Maria Rilke (1905);
Stundenhotel »hotel minderen rufs, das man nur stundenweise in bestimmter absicht aufsucht« (L059 DWb);
stundenlang 1681 stunden lang; häufig unbestimmt zur Bezeichnung eines großen Zeitraums, ⇓ "S089" hyperbolisierend: da läuft sie im ganzen hause herum, dasz man sie stundenlang suchen musz (Gottsched; L059 DWb);
stunden vereinzelt mittelhochdeutsch ›in Stunden einteilen‹, seit früherem 17. Jahrhundert in heutiger Bedeutung ›Aufschub gewähren‹: gutwillig umb verzinsung gestundet (1630; L059 DWb), das Partizip Prät. bei A004 Ingeborg Bachmann Titel von Gedichtsammlung und Gedicht: die auf Widerruf gestundete Zeit / wird sichtbar am Horizont (Die gestundete Zeit); dazu Stundung.
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