Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Stil
Mask. < lat. stilusu. a. ›Griffel‹, dann auch ›Schreibart, Ausdrucksweise‹, Anfang des 15. Jahrhunderts entlehnt, bis ins 18. Jahrhundert vielfach mit lateinischer Flexion und gräzisierender y-Schreibung; zunächst1.1Form des schriftlichen Ausdrucksso wil ich an ein anders gen / da uns her Lucas schreiben will / mit einem gar vil süessen stil (1425; Wiener Sitzungs-Berichte 88,840); Die Beschaffenheit des Ausdrucks… heist der Stil (1767; L081 FWb); Goethe unterscheidet 1788 Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil; als Fachwort seit dem 17. Jahrhundert auf die ⇓ "S141" Musik, seit Mitte des 18. Jahrhunderts auf die bildende Kunst bezogen: seit einiger zeit habe ich das münzstudium angefangen, doch nur in so fern es… zum stil der zeiten gehöret (1758 Winckelmann; L059 DWb), fest in der Verbindung im Stil von und in Zusammensetzungen wie Individualstil, Nationalstil, Epochenstil, Barockstil, "Jugendstil", Terminus der ⇓ "S127" Literaturwissenschaft seit Mitte des 19. Jahrhunderts: G.Semper, Der Stil (1860), geblümter Stil (↑ "geblümt"); in der Sprachwissenschaft »durch spezifische Auswahl der lexikalischen und grammatischen Mittel gekennzeichnete Verwendungsweise der Sprache« (L029 Hadumod Bußmann), Stilforschung, Stiluntersuchung, Stiltheorie, Stilanalyse; seit Ende des 15. Jahrhunderts
1.2konventionelle Form von behördlichen Schriftstücken, Prozeßaktenaber meine frag erstreckt sich… auf den durchgehends angenommenen und öffentlichen styl (1700; L059 DWb), heute veraltet, lebendig noch in übertragener Bedeutung Mit den Beamten alten Stils kann man keine Republik begründen (A266 Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke 2,94); dazu übertragen die Wendungen (1511; L081 FWb) alter Stil, neuer StilZeitrechnung nach dem julianischen bzw. gregorianischen Kalender‹, bis ins 19. Jahrhundert: am 8. juli neuen styls (Chamisso; L059 DWb); seit dem 17. Jahrhundert
1.3 bezogen auf Lebensführung, Handlungsweise u.ä., häufig seit dem 19. Jahrhundert sehet den stile, den mancher vatter brauchet (1721; L059 DWb); Er verstand es, in grossem Stil [›mit großem Aufwand, in großem Ausmaß‹] zu verfügen (1895 W. v.Polenz, Büttnerbauer 331), die Wendung großer Stil zuvor »erhabene künstlerische Leistung« (L320 Trübner),
Stil habenFormat haben‹; Lebensstil, Führungsstil, im ⇓ "S205" Sport Laufstil, Schwimmstil, Reitstil;
2Schreibgriffel‹, auch ›Zeichenstift‹ seit 1473 (L081 FWb), im 18. Jahrhundert nur noch gelegentlich.
Stilblütekomisch wirkender Sprachverstoß, besonders infolge Künstelei oder Bildbruch‹ (1890; L059 DWb);
Stilgefühl (1890; L059 DWb) »empfinden für wesensgemäszen ausdruck« (ebenda);
stilisieren vielleicht unter Einfluß von ital. stilizzare
1.1abfassen, formulieren‹ (1616; L081 FWb) die meisten (briefe) sind schlecht stilisirt (J.Grimm; L059 DWb), gelegentlich auch mit negativem Beiklang ›verkünsteln‹; daher seit dem 19. Jahrhundert
1.2durch charakteristische Züge hervorhebenindem wir unsere Statuen griechisch stilisieren (Riehl; L081 FWb), häufig das Partizip Perfekt in adjektivischer Funktion einen einfachen stilisierten rahmen für dramen zu schaffen (W.Grohmann; ebenda);
Stilist 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts
1.1Prosaschriftsteller‹, Man sagt, es sey jemand ein guter, ein schlechter Stylist (L004 Johann Christoph Adelung); dann
1.2jmd. , der die sprachlichen Ausdrucksmittel beherrschtstilisten nennt man… diejenigen, welche aus dem groben ins feine arbeiten(Hauff; L059 DWb), zumeist mit positiven Adjektiven verbunden, auch übertragen auf andere Kunstbereiche;
Stilistik (Novalis vor 1802; L081 FWb) ⇓ "S208"sprachliche Ausdruckslehre, Stilkunde, Stilkunst‹, Aufgabe der Poetik ist es… , Stilistik zu sein (Hettner; L081 FWb);
stilistisch (1843; L081 FWb), häufig wertend: stilistische sicherheit (Mommsen; L059 DWb), sprachwissenschaftlich gedeutet stilistisch von Bedeutung sind… die vom Sprecher wählbaren… Ausdrucksmittel (G.Michel, Einführung in die Methodik der Stiluntersuchung, 21972,34);
stillos 19. Jahrhundert;
1 zunächst auf die Künste bezogen der anblick stilloser roheit (1843; L059 DWb); dann auch auf Alltägliches übertragen
2geschmacklos‹;
stilvoll »seit dem zweiten drittel des 19.jhs.« (L059 DWb), Gegensatz zu stillos in beiden Bedeutungen, die Künste betreffend ⇓ "S139" Ende des 19. Jahrhunderts »Modewort« (L059 DWb).
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