Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Stich
(ahd. ) (got. stiks) zu ↑ "stechen", an dessen verschiedene Verwendungsweisen es sich anschließt; ursprünglich1 aus dem Bereich des Kampfes,
1.1 als Tätigkeitsbezeichnung, häufig in der Paarformel Hieb und Stich (↑ "Hieb"), Stich und Schlag; mittelhochdeutsch speziell ›Turnier‹, daher
jmdn. im Stich lassen (vereinzelt Ende des 15. Jahrhunderts; L059 DWb) eigentlich ›jmdn. auf dem Kampfplatz zurücklassen‹: einen Freund… Weib und Kind im Stich lassen (L169 Matthias Kramer); vielfach übertragen, wie Hieb auf das gesprochene Wort: einem im reden einen stich gäben (1556; L059 DWb); seit frühem 17. Jahrhundert im Kartenspiel, der Vorstellung kämpfender Karten folgend, ›gewonnene Karten‹: es gilt drey stich wer sie beid hab(1620; L059 DWb); nach der Kürze der Handlung des Stechens Mengenangabe »etwas weniger« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch): einen kleinen stich butter (1768; L059 DWb); seit dem 19. Jahrhundert auf den optischen Eindruck bezogen ›Nuance‹, auch allgemeiner zur Bezeichnung von Angedeutetem: einen Stich ins Moderne wird sie wohl behalten (A060 Theodor Fontane, Treibel; 4,304); seit dem 18. Jahrhundert mit Insektverbunden, übertragen kritischer insecten stich (1789; L059 DWb); auf das Resultat bezogen
1.2Wunde‹, auch ›Schmerzstich in der seyten (1556; L059 DWb), vom Sonnenstrahl (vereinzelt mhd. ), übertragen ›Hitzschlag‹: einen stich von der sonne bekämen(1765; L059 DWb), umgangssprachlich
einen Stich haben (2. Hälfte des 16. Jahrhunderts; L059 DWb) ›nicht ganz normal sein‹; auch nach dem stechenden Gefühl auf der Zunge auf verdorbene Lebensmittel bezogen, zunächst von Wein und Bier (L033 Joachim Heinrich Campe), heute zumeist von Milch; mit "Herz" verbunden seit dem 16. Jahrhundert übertragen: geht mir mit schmertz / ein stich… durch mein betrübt hertz (Sachs; L059 DWb); seit etwa 1500
2.1Einstich‹; seit dem 18. Jahrhundert
2.2 im Kunstgewerbe: mit diesen neuen stichen und abdrücken (L059 DWb), zuvor "Kupferstich" (Gryphius; L059 DWb), Stahlstich (früheres 19. Jahrhundert).
Stichblatt (17. Jahrhundert) ›Scheibe am Degengriff zum Schutz der Hand‹ (L059 DWb);
Stichentscheid (um 1870) ›Entscheidung durch den Vorsitzenden bei Stimmengleichheit‹, wie Stichwahl (s. unten) wohl zu älterem "stechen" ›um den Preis kämpfen‹;
stichfest (1775; L059 DWb) ›unverwundbar‹ für älteres stichfrei (Anfang des 17. Jahrhunderts); übertragen zumeist in der Formel
hieb- und stichfestunangreifbar‹;
Stichflamme (1841ff.; L059 DWb) ›plötzlich aufschießende Flamme‹;
stichhaltig (L033 Joachim Heinrich Campe 1810), zuerst unfest Stich halten (16. Jahrhundert) zu Stich(1.1) ›zuverlässig sein‹, ›widerstehen‹; übertragen ›überzeugend‹: Es könnte viel Stichhaltiges angeführt werden (Jean Paul; L033 Joachim Heinrich Campe), fest in den Verbindungen stichhaltige beweise, gründe (spätes 19. Jahrhundert; L059 DWb);
Stichprobe (1583; L059 DWb); ursprünglich fachsprachlich ⇓ "S220"Probe aus einem Schmelzofen‹, auch ›Probe aus einem Weinfaß, mit dem Stechheber entnommen‹ (spätmhd. stichwin); danach seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts übertragen ›Überprüfung an einer beliebigen Stelle eines Ganzen‹, zwecks Kontrolle u.ä., ursprünglich auf Geschriebenes bezogen: von dem köstlichen humor eine stichprobe (1887; L059 DWb);
Stichtag (mittelniederdt. stekedach) um 1750 ›festgesetzter Tag‹: (Es wird)… der Stichtag anberaumet (1750ff.; L320 Trübner);  
Stichwahl (L265 Daniel Sanders Erg.) ›entscheidende Wahl zwischen zwei Kandidaten, die bei einer früheren Wahl die meisten Stimmen erhalten haben‹, wie Stichentscheid (s. oben) wohl zu "stechen" ›um den Preis kämpfen‹;
Stichwort (2. Hälfte des 15. Jahrhunderts); zunächst bis ins 19. Jahrhundert ›verletzendes Wort‹; seit Ende des 18. Jahrhunderts ⇓ "S040" auf dem Theater
1letztes Wort eines Schauspielers, als Signal für den Einsatz des nächsten Schauspielers‹, danach verallgemeinert wie ›Losung‹; seit spätem 19. Jahrhundert
2Leitwort, Gedankenstütze‹, häufig im Plural; daneben seit Ende des 19. Jahrhunderts sprachwissenschaftlich
3Lemma‹;
Stichel Mask. , ahd. stihhil, altgermanisch; ›Werkzeug zum Stechen‹, besonders das vom Kupferstecher gebrauchte, dafür gewöhnlicher Grabstichel (mhd. grabestichel);
sticheln mhd. (alemann.) stichelon (L360 ZDW5,17), ⇓ "S099" Iterativbildung zu "stechen"; ›Stiche machen‹ (beim Nähen oder Sticken); üblicher übertragen (1466; L059 DWb) ›durch höhnische Bemerkungen auf etwas anspielen‹;
Stichelei (1613; L059 DWb), häufig im Plural spöttereyen und sticheleyen (1777; L059 DWb);
Stichling mhd. stichelinc (um 1350) ›kleiner, stachliger Fisch‹.
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