Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
sterben
ahd. sterban, mhd. sterben, westgermanisch (engl. starve ›vor Hunger oder Kälte umkommen‹), wurzelverwandt "starren". Die indogermanische Ausgangsbedeutung ist vermutlich ›starr, steif werden‹ (L175 Friedrich Kluge/ L175 Elmar Seebold, W.L244 Wolfgang Pfeifer). Prät. starb, Konjunktiv stürbe, wofür zuweilen stärbe (Wieland, Schiller); die althochdeutsche und mittelhochdeutsche Ablautform des Plural Prät. sturben noch bis 17. Jahrhundert üblich und bis Ende des 18. Jahrhunderts nachweisbar, starben dafür seit dem 16. Jahrhundert nach Analogie des Singulars starb, häufiger im 18. Jahrhundert, im 19. Jahrhundert durchgesetzt. Seit dem Althochdeutschen ›übergehen aus dem Leben in den Tod, aus dem Leben scheiden‹ von Menschen und Tieren (L059 DWb). Wenn man von der ursprünglichen Bedeutung ›starr, steif werden‹ (s. oben) ausgeht, liegt beim Gebrauch für Pflanzen (mhd. Konrad von Megenberg; L059 DWb) wohl eine Übertragung vor; sterben wird allgemein als neutrale Mitte des Wortfeldes mit dem Oberbegriff ›aufhören zu leben‹ betrachtet (Dornseiff, Wehrle-Eggers, L.Weisgerber, Sprachliche Gestaltung der Welt 31962,183ff.). Für Pflanzen wird heute "eingehen", für Tiere "verenden" vorgezogen. Die Synonyme bezeichnen einerseits den Verlauf des Sterbens, wie etwa "umkommen" für einen gewaltsamen Tod, meist durch Unfall oder Katastrophe, "fallen" für den Tod im Krieg oder mit noch genauerer Bestimmung der Todesart: "ersticken", "verbrennen", "verbluten" usw.; "erliegen" bezeichnet das Sterben in Folge einer Krankheit oder Verwundung, zugrunde gehen (↑ "zugrunde") eine besonders elende und langandauernde Todesart. Andererseits: »Noch viel reicher als diese objektive Seite ist die subjektive ausgeprägt: die gefühlsmäßige Einstellung zum Sterben, ein Tod im Urteil der Mitmenschen« (Weisgerber, a. a. O.184f.). Den nüchtern sachlichen "versterben", "verscheiden" stehen die behutsam verhüllenden "entschlafen", einschlummern gegenüber. Eher dem religiösen Sprachgebrauch gehört "heimgehen" an. Das Bedürfnis nach Distanzierung vom unerklärlichen Rätsel des Todes drückt sich in einer Vielzahl drastischer oder witzelnder Umschreibungen aus: ins Gras beißen, "verrecken", "krepieren", den Löffel abgeben, den Arsch zukneifen, "abkratzen", "abfahren" usw. Sterben kann ohne Ergänzung stehen: Ich sterbe/ du stirbest/ er stirbt usw. (L308 Kaspar Stieler). Daneben kann eine Akkusativ-Ergänzung als nähere Bestimmung stehen: mein Roller starb einen schönen Tod (A222 Friedrich Schiller, Räuber 3,2). Üblicher ist der Genitiv, biblisch auch ohne nähere Bestimmung: Denn welches tages du da von issest / wirstu des Todes sterben (A180 Martin Luther, 1.Mose 2,17). Im Genitiv kann die Todesursache stehen: daz wir niht hungers sterben (Hartmann von Aue, Iwein 6394), in der älteren Rechtssprache des Schwertes sterben (L059 DWb), heute eines natürlichen Todes sterben (L169 Matthias Kramer), er ist eines gewaltsamen Todes gestorben (ebenda). Seltener ist ein instrumentaler Dativ Warumb hastu vns lassen aus Egypten ziehen / das du vns / vnser Kinder / vnd vieh / durst sterben liessest? (A180 Martin Luther, 2.Mose 17,3). Sonst wird die Todesursache angeknüpft durch Präpositionen an, vor, durch, für, früher auch um, über, von etwas sterben fürs Vatterland sterben (L169 Matthias Kramer), vor das Vaterland sterben (L308 Kaspar Stieler), an der Pest sterben (ebenda), Gott ist todt; an seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben (A200 Friedrich Nietzsche, Zarathustra 294), die… durch eure Dolche sturben (A222 Friedrich Schiller, Räuber 4,5). Häufig übertragen gebraucht: dieser ermattende hauch, der halbe seufzer, der auf der vom schmerz verzogenen lippe so rührend stirbt (Herder), was horchest du… dem fernen sterbenden widerhalle des bardengesangs? (Klopstock), ohne dich stirbt alle freud (Stieler), Hektors liebe stirbt im Lethe nicht(Schiller; alle L059 DWb). was für ein künstler stirbt an mir! (A.Kästner; L059 DWb);⊚⊚ Der/ das ist für mich gestorbenrestlos erledigt‹ (L097 GWb); daran stirbt man nichtdas ist halb so schlimm‹ (L337 WdG). Häufig formelhaft mit "verderben": muste also der bösz mensch in sünden sterben und verderben (Historia von Doktor Fausten; L059 DWb) und vor allem mit "leben", wenn der Gegensatz betont werden soll: Ich will lieber sterben / dann leben (L308 Kaspar Stieler), Wir sterben, um zu leben (A131 Friedrich Hölderlin, Hyperion 148),
Das ist zum Sterben zuviel, zum Leben zuwenigdas reicht notdürftig‹ (L337 WdG), am Ende eines Märchens (Zugabe des Erzählers): Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Ausgehend von Wendungen wie es war zum Sterben langweilig und von sterbensschwach, sterbenselendso schwach, elend, daß man davon sterben könnte‹ wird sterben zum oft bloß ⇓ "S228" verstärkenden Präfix in sterbenslustig (Musäus; L059 DWb, heute veraltet), sterbenslangweilig: Öde und sterbenslangweilig… ist alles Sein, das in der Zeit steht, statt die Zeit in sich selber zu tragen und seine eigene Zeit auszumachen (Th.A183 Thomas Mann, Lotte 329); substantiviert bis ins 18. Jahrhundert ›Pest, Seuche‹, es kam ein Sterben unter das Vieh(L169 Matthias Kramer). Mittelhochdeutsch und bis ins 18. Jahrhundert dazu als Bewirkungswort ein schwaches Verb sterbentöten‹: des herrn pfarrers gänse hat sie alle in einer nacht gesterbet (Musäus; L059 DWb), er stärbte die Läuse mit Quecksilber (L305 Christoph Ernst Steinbach). ⇓ "S237" Zum Wortfeld sterben: dahinscheiden (↑ "dahin"), totgehen (↑ "tot"), ↑ zugrunde gehen (↑ "zugrunde"); ⇑ "abberufen", "abfahren", "abgehen", "abkratzen", "ableben", "abnibbeln", "absterben", "aussterben", "draufgehen", "eingehen", "enden", "entschlafen", "erkalten", "erliegen", "ersterben", "ersticken", "ertrinken", "fallen", "heimgehen", "hopsgehen", "krepieren", "scheiden", "umkommen", "verbleichen", "verbluten", "verbrennen", "verderben", "verrecken", "verröcheln", "versterben"; und Phraseologismen: den Arsch zukneifen (↑ "Arsch"), dran sein (↑ "dran"), den Weg allen Fleisches gehen (↑ "Fleisch"), den Geist aufgeben (↑ "Geist"), ins Gras beißen (↑ "Gras"), in die Grube fahren (↑ "Grube"), über den Jordan gehen (↑ "Jordan"), über die Klinge springen (↑ "Klinge"), den Löffel abgeben (↑ "Löffel"), den letzten Seufzer tun (↑ "Seufzer"), das Zeitliche segnen (↑ "zeitlich").
Sterbehilfe ›(gesetzwidrige) Herbeiführung des Todes bei Sterbenskranken‹, es war vergeudung der sprachenergie, das entsetzliche »sterbehilfe« dafür [für Euthanasie] zu erfinden (Mauthner; L059 DWb), umstritten seit der "Euthanasie" genannten Vernichtung von für »lebensunwert« gehaltenem Leben durch die Nationalsozialisten.
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