Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Stand
"S153" Nomen actionis, deutlich in Handstand, Stillstand, ⇑ "Beistand", "Widerstand"; "Abstand", "Anstand", "Aufstand" zu ahd. stantan (↑ "stehen"); althochdeutsch in Zusammensetzungen, das einfache Wort seit dem 14. Jahrhundert; gewöhnlich1 mit Bezug auf die Art, wie etwas steht, zunächst
1.1Stellung im Raum‹: einen festen Stand haben (L169 Matthias Kramer), Stand der Sonne, des Wassers (Wasserstand), des Barometers; dann
1.2Lage, Verhältnis‹, wenn man fragt wie steht es damit?, Stand der Dinge, der Angelegenheiten, ein harter, schwerer Stand (L169 Matthias Kramer), im Stande der Unschuld, der Gnade, der Natur; in Zusammensetzungen Puppenstand, Raupenstand, Naturstand, Glücksstand, Besitzstand, Vermögensstand; Personenstand, woran sich die 1875 im Deutschen Reich eingeführten Bezeichnungen Standesregister, Standesamt, Standesbeamter anschließen. Es berührt sich mit "Zustand", doch kann dieses sich auf etwas Andauerndes beziehen, während Stand jetzt meistens gebraucht wird mit Rücksicht auf einen Moment innerhalb einer Entwicklung: Das regiment in einen besseren Stand… bringen (L200 Josua Maaler), Es ist in einem schlechten Stand (L308 Kaspar Stieler); verblaßt in den Formeln imstande sein zu etwas (L305 Christoph Ernst Steinbach), vielleicht Lehnübersetzung von franz. être en état, veraltet ich bin es (das bin ich) nicht im Stande (L003 Johann Christoph Adelung 1780); umgangssprachlich auch ›wagen‹ mit parataktischer Anknüpfung: er ist imstand und schlägt; hierher wohl auch nicht im Stand [›in Ordnung‹] sein, wieder in Stand setzen, indem dabei an den ursprünglichen Stand einer Sache gedacht ist, außerstande sein, in den Stand, außer Stand zu etwas setzen, diese Wendungen sind also von zustande kommen, zustande bringen (L305 Christoph Ernst Steinbach) zu trennen; dazu ⇑ "Ausstand", "Einstand", "Gegenstand", "Vorstand", "Notstand", "Zustand"; "Urstände"; speziell seit dem 14. Jahrhundert
1.3 gesellschaftlicher Begriff,
1.3.1 ursprünglich mit dem Merkmal gottgewollter Ordnung; speziell seit dem 15. Jahrhundert (L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) mit Blick auf die gesellschaftliche Funktion geistlicher, weltlicher Stand, Priesterstand, Kriegerstand, Zivilstand, Arbeiterstand, Bauernstand, Bürgerstand, Ritterstand, ohne Bestimmung ein Mann von StandeVornehmer, Adliger‹; dem Vorbild der mittelalterlichen Dreiständelehre folgend der dritte Stand, Gegensatz "Adel", Geistlichkeit, nach franz. tiers état: Der dritte Stand bildete sich fortschreitend aus, der Adel wollte nicht zurückbleiben und trat mit ihm in Verbindung (A075 Johann Wolfgang von Goethe, WA I,33,377), vierter Stand (Lassalle; L086 GG6,275); auf den Privatbereich bezogen "Ehestand", Brautstand, Junggesellenstand, Witwenstand, Ruhestand, der ledige Stand; seit dem 17., v. a. dem 18. Jahrhundert zunehmende Problematisierung des Begriffs und Neudeutung im staatspolitischen Sinn als ›Gesellschaftsschicht‹ (1764 Gottsched; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), gleichzeitig Ersetzung durch den Begriff der "Klasse"; im Verlauf des 19. Jahrhunderts zunehmende Unbestimmtheit: Die Stände gründen sich… auf die Teilung des menschlichen Berufs in mehrere Zweige, von denen jeder die ganze Lebenstätigkeit des Menschen, der ihm obliegt, erfüllt (1833; L086 GG6,249); zur Gegenwart hin einerseits Verwissenschaftlichung und Gegenbegriff zu Klasse, nach 1945 zunehmend anachronistisch; daneben
1.3.2korporative Vertretung eines Landes oder einer Provinz‹, weil in derselben die verschiedenen Stände ihre gesonderte Vertretung haben (Reichsordnung von 1495; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), bis ins 19. Jahrhundert, Landstand, Reichsstand, Provinzialstand; sekundär auch ›einzelnes Mitglied einer ständischen Korporation‹ (1604; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt): den die Wahl seiner Mitstände auf den Stuhl der Ottonen setzte (Schiller), dazu Standesherr; ›Staat‹: zu Häuptern eines Stands gehöret Hirn darein (Haller), die Gebäude die der Stand Bern selbst aufführt sind groß (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 9.10.79); daneben auch
2Ort, wo etwas steht‹: Stand des Wildes, Schießstand, Pferdestand, Droschkenstand, Budenstand (auf dem Markt), daher landschaftlich auch ›Marktbude‹, Standgeld.
Standbild Ende des 18. Jahrhunderts, ⇓ "S125" Lehnübertragung von lat. statua (↑ "Statue");
Standgericht um 1500 (J.Grimm, Weisthümer 6,649); ›schnell einberufenes (sozusagen im Stehen tagendes) Gericht, bei dem das Urteil unverzüglich vollstreckt wird‹, besonders im Krieg, dazu
Standrechtverschärftes Kriegsrecht, nach vereinfachten Verfahren Urteile zu fällen und zu vollstrecken‹ (um 1600);
standhaft um 1500 für lat. constans; ursprünglich auch allgemeiner ›dauerhaft, beständig‹, Reste noch im 18. Jahrhundert: ein standhafter Bau (L003 Johann Christoph Adelung 1775), standhafte Begriffe und Urteile(H.Jacobi); daneben wie heute nur noch auf den Menschen bezogen ›unnachgiebig, konsequent‹, häufig in der Verbindung standhaft bleiben (L200 Josua Maaler);
standhalten unverbunden 17. Jahrhundert; konkret Niemand hielt Stand. Das Fliehn war allgemein (A222 Friedrich Schiller, Jungfrau 2,1); übertragen ›widerstehendem durchbohrenden blick stand zu halten (Storm; L059 DWb), ohne einer frage stand zu halten (Pichler; L059 DWb); ›bestehen‹ heute häufig in festen Verbindungen einer Prüfung, der Kritik (nicht) standhalten (können);
Standort (1659 Butschky); allgemein in lokalem Sinn; ⇓ "S136" militärisch ›Garnison‹: Der Standort… heißt Arnstien (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Homburg 5,1); heute häufig in der Wirtschaft (seit früherem 20. Jahrhundert) Standort eines Betriebes, ⇓ "S192" Standort Deutschland Wort des Jahres 1993, auch Standort einer Universität, dazu neu Standortdiskussion; übertragen seit dem 18. Jahrhundert wie Standpunkt (s. unten) auf die geistige Einstellung bezogen: seinen Standort als Tadler (Mendelssohn), ihr politischer Standort;
Standpauke ursprünglich ⇓ "S211" studentensprachlich ›Strafrede‹ (↑ "Pauke") wie (heute selten) Standrede »eine kurze Rede, welche stehend gehalten und stehend angehört wird« (L003 Johann Christoph Adelung 1780);
Standpunkt L003 Johann Christoph Adelung 1780, wohl durch ⇓ "S119" Kontamination von Standort (s. oben) und "Gesichtspunkt" entstanden; wie Standort konkret in lokaler Bedeutung; übertragen A075 Johann Wolfgang von Goethe (Brief vom 10.12.94): so finden Sie mehr Standpunkte zum Urteil; überwundener Standpunkt (1838; vgl. L181 Otto Ladendorf), jmdm. seinen Standpunkt klarmachen (L059 DWb);
StändchenMusik, die jmdm. zu Ehren veranstaltet wird‹ (weil es im Stehen gebracht wird); zuerst Anfang des 17. Jahrhunderts ⇓ "S211" studentensprachlich;
Ständer ahd. stanter, mhd. stander, stender; ursprünglich landschaftlich für verschiedene Gegenstände, zunächst ›großes Standgefäß‹, häufiger ›aufrecht stehende Stütze‹ (16. Jahrhundert; L059 DWb), speziell ›senkrechter Balken im Fachwerk eines Gebäudes‹; dazu übertragen umgangssprachlich ›erigierter Penis‹ (16. Jahrhundert; L059 DWb); dann auch ›Haltegestell‹ für verschiedene Zwecke, heute z. B. zur Aufbewahrung bzw. Darbietung von Zeitungen, zum Auf-, bzw. Abstellen von Fahrrädern; unumgelautet
Stander zuerst ⇓ "S196" seemannssprachlich Ende des 18. Jahrhunderts ›kleine (dreieckige) Flagge, Wimpel‹ als Rangabzeichen, wohl auch unter Einfluß von "Standarte";
ständisch L003 Johann Christoph Adelung 1780, im Anschluß an Stand(1.3), ständische Vertretung, Verfassung (Mitte des 19. Jahrhunderts; L059 DWb).
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Stand