Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Stamm
ahd. / mhd. stam(engl. stem, altengl. stemn, stæfn, ursprünglich identisch mit ↑ "Steven"), wurzelverwandt mit ↑ "stehen";1 auf den Baum bezogen, Gegensatz "Wurzel", "Ast", dazu sprichwörtlich der Apfel fällt nicht weit vom Stamm (späteres 17. Jahrhundert; L059 DWb) zur Bezeichnung von Familienähnlichkeit (besonders auf den Charakter bezogen); seit dem Mittelhochdeutschen übertragen
1.1Familie, Geschlecht‹: Das sind die zwelff stemme jsrael alle (A180 Martin Luther, 1.Mose 49,28), im ⇓ "S145" Nationalsozialismus wiederbelebt als Organisationseinheit der Hitlerjugend (L362 Christian Zentner/ L362 Friedemann Bedürftig); heute allgemein veraltet bzw. fachsprachlich anthropologisch
1.2 (auf Naturvölker bezogen) ›Zusammenschluß mehrerer Familien‹, ↑ "abstammen"; seit dem 17. Jahrhundert
1.3"S208" sprachwissenschaftlich, in barocker Metaphorik ›Basismorphem‹: Musten… alle in jhrem Stamme… gesetzet werden / die… Teutschen Stamworter(1663 L284 Justus Georg Schottelius, HaubtSprache 159), bei L308 Kaspar Stieler (1691) als Bestimmungswort im Titel: Der Teutschen Sprache Stammbaum, dazu Stammform (L033 Joachim Heinrich Campe); im 19. Jahrhundert allgemeiner wie Sprachstamm (J.Grimm, L059 DWb, Vorr.XIV); fachsprachlich heute auch
1.4"S038" biologisch Stamm der Wirbeltiere, in der Mikrobiologie auch ›kleinere Einheit‹; im 18. Jahrhundert verallgemeinert
2Bestand‹,
2.1Kapital‹ (L003 Johann Christoph Adelung 1780), im Gesellschaftsspiel wie 2"Bank" (1903; L059 DWb) bzw. auf die nichtverteilten Karten bezogen (L003 Johann Christoph Adelung 1780); seit dem 19. Jahrhundert
2.2feste Personengruppe‹, beim Militär, bei einer Fabrik, einem Geschäft oder Gasthaus, dazu Stammkunde, Stammgast, Stammtisch;
2.3einfache, aus dem Lebensmittelbestand zubereitete Mahlzeit‹, eines Gasthauses, eines größeren Verpflegungsbetriebs, dazu
Stammgericht (1940; L021 Karl-Heinz Brackmann/ L021 Renate Birkenhauer).
Stammbaum 1646 nach lat. arbor generationis, wichtig in völkischer und ⇓ "S145" nationalsozialistischer Zeit zum Nachweis der sogenannten arischen Abstammung (L015 Cornelia Berning); sprachwissenschaftlich Stammbaumtheorie zwecks historisch-genetischer Erklärung des Sprachwandels (1861 A .Schleicher; L029 Hadumod Bußmann)
Stammbuch (1562; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt); anfangs ›Geschlechtsregister‹; danach seit dem 17. Jahrhundert (heute veraltend) eine Form eines Erinnerungsbuches (im 19. Jahrhundert dafür Poesiealbum): Ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,2045), in diesem Sinn auch in den Zusammensetzungen Stammbuchbilder, StammbuchblümchenGlanz-/ Lackbilder‹ (vgl. L066 Jürgen Eichhoff, Karte 3–31), vgl. Albumbilder (↑ "Album");
das kannst du dir ins Stammbuch schreibenmerken‹;
Stammhalter (L308 Kaspar Stieler 1691); heute scherzhaft ›erster männlicher Nachkomme‹ (veraltend);
Stammutter die Stammutter einer Familie von Metaphern (1783 Jean Paul), Eva, die Stammutter des weiblichen Geschlechts (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Lehrjahre 21,156,3);
Stammvater J. L.L078 Johann Leonhard Frisch 1741;
Stammwort zu Stamm(1.3);
stammen (mhd. ) zu Stamm(1.1); präpositional mit von, aus; auch lokal auf Geburtsort, Geburtsland bezogen bzw. temporal: Und dünkt mir's oft, sie stamm' aus andern Zeiten(A222 Friedrich Schiller, Jungfrau Prolog 2), dazu "abstammen", entstammen, herstammen, nur im Partizip Perfekt
angestammt (16. Jahrhundert; W.L244 Wolfgang Pfeifer), sich an ihren angestammten [›ererbten‹] gütern zu begnügen (Wieland; L059 DWb), abgeblaßt ›gewohnheitsmäßig‹: angestammter Platz;
stämmig (L308 Kaspar Stieler), unterholz und stämmiges [Holz] (Gotthelf; L059 DWb), dazu dickstämmig, dünnstämmig, kurzstämmig, hochstämmig; übertragen ›kräftig, gedrungen‹: ein stämmiger Mensch (L004 Johann Christoph Adelung).
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