Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Spieß
< ahd. / mhd. spiz›Bratspieß, Splitter‹, westgermanisch (engl. spit), verwandt mit ↑ "spitz", und < ahd. spioz, mhd. spiez ›Wurf-/ Stoß-/ Jagdwaffe‹, neuhochdeutsch semantisch zusammengefallen, beeinflußt durch mundartlich lautliche Identität (noch bei L169 Matthias Kramer die Unterscheidung Spieß ›Waffe‹, Spiß ›Bratspieß‹);1 ›Stoß- und Wurfwaffe‹: Daß nunmehr ruhen sollen / Die Spieß und Schwerter und ihr Morden? (P.Gerhardt, Gottlob, nun ist erschollen) »jetzt fuhret das Fuß-Volk selten Spiese« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch), daher seit frühem 18. Jahrhundert historisch; erhalten
⊚⊚ den Spieß umkehren (L169 Matthias Kramer 1700) ›vom Angegriffenen zum Angreifenden werden‹, zunächst in anderer Bedeutung den Spieß wieder sich kehren (L305 Christoph Ernst Steinbach), schreien wie am Spieß »sehr schreien und zwar ohne Noth« (L033 Joachim Heinrich Campe); mittelhochdeutsch übertragen für den Träger der Waffe, um 1900 (W.L244 Wolfgang Pfeifer) soldatensprachlich »Feldwebel (wegen seines langen Säbels)« (L344 Wessely-Schmidt 61925): An der Spitze der Kolonne trabt der dicke Feldwebel… Der Spieß schnauft (A212 Erich Maria Remarque, Westen 91f.);
2 ›Metallstab, insbesondere zum Aufstecken von Fleisch‹: ein spieß voll gebratener lerchen (Gryphius; L059 DWb), an Spiß stecken (L169 Matthias Kramer); übertragen für das Aufgesteckte: ze Kriechen wart ein spiz versniten (Walther v. d.Vogelweide; L059 DWb);
3 fachsprachlich übertragen, ⇓ "S100" jägersprachlich »ein junger Hirsch der noch keine Gabel an den Hornern hat« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch), ⇓ "S054" druckersprachlich »wann ein gegossener Buchstab im Schrifftsetzen umgekehrt gesetzt wird« (ebenda);
Spießbürger 1640 ⇓ "S211" studentensprachlich übertragen ⇓ "S191" Schimpfwort ›Philister‹ (L360 ZDW1,51), seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts allgemeiner »von einem jeden geringen Bürger« (L003 Johann Christoph Adelung 1780), daher ›im Denken und Handeln in konventionellen Bahnen sich bewegender Mensch‹, bei A114 Georg Wilhelm Friedrich Hegel politisch gedeutet: Spieß- und Reichsbürger, einer so sehr formaler Spießbürger als der Andre (Vorlesungen; Lasson 20,2,249);
Spießgeselle (1556; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), ursprünglich ohne Wertung ›Waffengefährte‹, seit dem 17. Jahrhundert auch, seit L003 Johann Christoph Adelung 1780 nur noch »von dem Theilnehmer, Gehülfen, Mitwisser in einer bösen Sache«;
Spießrute (1590; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) zu Spieß(2) ›(Weiden-)Zweig‹, als Reitgerte, zum Züchtigen gebraucht, daher
⊚ Spießruten laufen bis ins 19. Jahrhundert militärische Strafe, seit dem 19. Jahrhundert übertragen ›im Vorübergehen kritischen Blicken ausgesetzt sein‹;
spießen zu Spieß(1) 14. Jahrhundert spizen (mitteldeutsch), zu Spieß(2) mhd. spizzen;
1 auf die Verletzung mit der Waffe bezogen: vnd[Saul] gedacht / Jch wil Dauid an die wand spiessen (A180 Martin Luther, 1.Samuel 18,11), bis ins 18. Jahrhundert als Strafe: einen Verrather spissen (L169 Matthias Kramer);
2 zu Spieß(2): hier bratend das fleisch, dort anderes spieszend (Voß; L059 DWb), etwas auf die Gabel spießen (L033 Joachim Heinrich Campe), gebräuchlicher aufspießen; allgemeiner briefe und visitenkarten… an die fenstervorhänge gespieszet (Jean Paul; L059 DWb);
Spießer mhd. spiezer; anfangs ›mit einem Spieß Bewaffneter‹; seit dem 18. Jahrhundert speziell ⇓ "S100" jägersprachlich »ein junger Hirsch, dem das erstemahl Hörner gewachsen« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch); seit etwa 1860 (ursprünglich ⇓ "S211" studentensprachlich, L115 Helmut Henne/ L115 Georg Objartel 3,510,613) verkürzt ›Spießbürger‹;
spießig (16. Jahrhundert) anfangs ›splitterig, brüchig‹; seit etwa 1900 (W.L244 Wolfgang Pfeifer) auf den engstirnigen Kleinbürger bezogen: maßvolle kleine Bürger… , die… Kindern und Enkeln ein spießiges Wohlleben verschaffen (H.A182 Heinrich Mann, Reichstag; 12,8).
⊚⊚ den Spieß umkehren (L169 Matthias Kramer 1700) ›vom Angegriffenen zum Angreifenden werden‹, zunächst in anderer Bedeutung den Spieß wieder sich kehren (L305 Christoph Ernst Steinbach), schreien wie am Spieß »sehr schreien und zwar ohne Noth« (L033 Joachim Heinrich Campe); mittelhochdeutsch übertragen für den Träger der Waffe, um 1900 (W.L244 Wolfgang Pfeifer) soldatensprachlich »Feldwebel (wegen seines langen Säbels)« (L344 Wessely-Schmidt 61925): An der Spitze der Kolonne trabt der dicke Feldwebel… Der Spieß schnauft (A212 Erich Maria Remarque, Westen 91f.);
2 ›Metallstab, insbesondere zum Aufstecken von Fleisch‹: ein spieß voll gebratener lerchen (Gryphius; L059 DWb), an Spiß stecken (L169 Matthias Kramer); übertragen für das Aufgesteckte: ze Kriechen wart ein spiz versniten (Walther v. d.Vogelweide; L059 DWb);
3 fachsprachlich übertragen, ⇓ "S100" jägersprachlich »ein junger Hirsch der noch keine Gabel an den Hornern hat« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch), ⇓ "S054" druckersprachlich »wann ein gegossener Buchstab im Schrifftsetzen umgekehrt gesetzt wird« (ebenda);
Spießbürger 1640 ⇓ "S211" studentensprachlich übertragen ⇓ "S191" Schimpfwort ›Philister‹ (L360 ZDW1,51), seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts allgemeiner »von einem jeden geringen Bürger« (L003 Johann Christoph Adelung 1780), daher ›im Denken und Handeln in konventionellen Bahnen sich bewegender Mensch‹, bei A114 Georg Wilhelm Friedrich Hegel politisch gedeutet: Spieß- und Reichsbürger, einer so sehr formaler Spießbürger als der Andre (Vorlesungen; Lasson 20,2,249);
Spießgeselle (1556; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt), ursprünglich ohne Wertung ›Waffengefährte‹, seit dem 17. Jahrhundert auch, seit L003 Johann Christoph Adelung 1780 nur noch »von dem Theilnehmer, Gehülfen, Mitwisser in einer bösen Sache«;
Spießrute (1590; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) zu Spieß(2) ›(Weiden-)Zweig‹, als Reitgerte, zum Züchtigen gebraucht, daher
⊚ Spießruten laufen bis ins 19. Jahrhundert militärische Strafe, seit dem 19. Jahrhundert übertragen ›im Vorübergehen kritischen Blicken ausgesetzt sein‹;
spießen zu Spieß(1) 14. Jahrhundert spizen (mitteldeutsch), zu Spieß(2) mhd. spizzen;
1 auf die Verletzung mit der Waffe bezogen: vnd[Saul] gedacht / Jch wil Dauid an die wand spiessen (A180 Martin Luther, 1.Samuel 18,11), bis ins 18. Jahrhundert als Strafe: einen Verrather spissen (L169 Matthias Kramer);
2 zu Spieß(2): hier bratend das fleisch, dort anderes spieszend (Voß; L059 DWb), etwas auf die Gabel spießen (L033 Joachim Heinrich Campe), gebräuchlicher aufspießen; allgemeiner briefe und visitenkarten… an die fenstervorhänge gespieszet (Jean Paul; L059 DWb);
Spießer mhd. spiezer; anfangs ›mit einem Spieß Bewaffneter‹; seit dem 18. Jahrhundert speziell ⇓ "S100" jägersprachlich »ein junger Hirsch, dem das erstemahl Hörner gewachsen« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch); seit etwa 1860 (ursprünglich ⇓ "S211" studentensprachlich, L115 Helmut Henne/ L115 Georg Objartel 3,510,613) verkürzt ›Spießbürger‹;
spießig (16. Jahrhundert) anfangs ›splitterig, brüchig‹; seit etwa 1900 (W.L244 Wolfgang Pfeifer) auf den engstirnigen Kleinbürger bezogen: maßvolle kleine Bürger… , die… Kindern und Enkeln ein spießiges Wohlleben verschaffen (H.A182 Heinrich Mann, Reichstag; 12,8).