Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Spiegel
ahd. spiagal < lat. speculum;1.1 mit Bezug auf die Wiedergabe der Erscheinung des Hineinschauenden: In den Spiegel sehen (L308 Kaspar Stieler), stürzte ich vor den Spiegel und sah… wie meine Hände arbeiteten (A215 Rainer Maria Rilke, Aufzeichnungen; 6,807), so zur Bezeichnung von Eitelkeit: den gantzen Tag vor dem Spiegel zubringen (L169 Matthias Kramer), im Märchen im Diminutiv: Spieglein, Spieglein an der Wand, / Wer ist die Schönste im ganzen Land?(Brüder A087 Jacob und Wilhelm Grimm, Sneewittchen), häufig in der festen Verbverbindung den spiegel fragen (Lessing; L059 DWb); übertragen als Vermittler der Innerlichkeit, häufig in der Wendung: Meine Welt ist deiner Seele Spiegel (A131 Friedrich Hölderlin, Hymne an die Göttin der Harmonie), speziell vom Auge: dein Auge, deiner Würde Spiegel (A131 Friedrich Hölderlin, An Lyda);
⊚⊚ etwas nicht hinter den Spiegel stecken (L059 DWb) von Geheimzuhaltendem, den Spiegel vorhaltenauf Fehler hinweisen‹: [die Schaubühne] ist es, die [den] Thoren den Spiegel vorhält, und… beschämt (A222 Friedrich Schiller, 20,94), der dichter soll der spiegel aller dinge sein (Fontane; L059 DWb); in eingeengter Bedeutung
1.2 übertragen »lebhafter Erkenntnißgrund« (L003 Johann Christoph Adelung 1780) als Titel spezieller Bücher: spigel der Saxen… Saxen recht ist hir an bekant, als an einem spigele (Eike von Repgow; L059 DWb), Sachsenspiegel, Schwabenspiegel, so heute auch im Sinne von ›Schema‹: Spiegel der Lebensunterhaltungskosten (L097 GWb); dazu seit dem Mittelhochdeutschen speziell auch ›Vorbild‹: Spiegel der Keuschheit (L308 Kaspar Stieler); im ⇓ "S001" Volksglauben die Vorstellung einer Zauberkraft (vgl. L140 HWDA), daher auf magische Erscheinungen bezogen
2Zauberspiegellaß mich nur schnell noch in den Spiegel schauen! / Das Frauenbild war gar zu schön! (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,2599f.); an die übertragene Bedeutung (1.2) und (2) schließt wohl der Titel des Magazins Der Spiegel an (gegründet 1947); übertragen
3 auf helle, glänzende Flächen: des meeres spiegel und das firmament (Schiller, L059 DWb), Wir sehen uns zu in den Spiegeln der Tiefsee (A035 Paul Celan, Die Jahre von dir zu mir), dazu Wasserspiegel (L308 Kaspar Stieler), heute eher wie Meeresspiegel (↑ "Meer") als Höhenangabe gebraucht; in G.Kellers Märchen als sprechender Name Spiegel, das Kätzchen auf glänzendes Fell bezogen; ⇓ "S100" jägersprachlich vom hellen Hinterteil bestimmter Tiere (Reh, Hase) (18. Jahrhundert; L004 Johann Christoph Adelung); ⇓ "S054" in der Druckerei der Raum auf dem Papier, den der gedruckte Text einnimmt, Satzspiegel (L320 Trübner); neuer auf Uniformabzeichen sowie die glänzenden Revers von Frack und Smoking bezogen (L344 Wessely-Schmidt 61925); heute auch fachsprachlich in der ⇓ "S132" Medizin
4 »Gehalt an bestimmten Stoffen in einer Flüssigkeit« (L097 GWb).
Spiegelbild (Luther; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt) »ein von einem Spiegel zurückgeworfenes Bild« (L033 Joachim Heinrich Campe), zumeist übertragen die poetische gestalt sei das spiegelbild eines menschen (Ludwig; L059 DWb);
Spiegelei (L003 Johann Christoph Adelung 1780 Spiegeleyer) »weil der Dotter einen spiegelnden Glanz bekommt« (ebenda);
Spiegelfechten (1502; L320 Trübner); ursprünglich ›öffentliches Schaugefecht (vor allem der Absolventen von Fechtschulen) mit spiegelnden Waffen‹, daher auch ›Scheingefecht‹; seit dem frühen 16. Jahrhundert übertragen ›Irreführung‹: mit lautern worten, mit eytel spiegelfechten (Luther; L059 DWb), seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlicher gleichbedeutend
Spiegelfechterei (1610; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt);
Spiegelschrift »mit Vertauschung von Rechts und Links [geschrieben]« (L264 Daniel Sanders);
spiegeln (mhd. );
1.1 zumeist reflexiv ›betrachten‹: warumb, jhr frawen… / spiegelt jhr euch… ?(Weckherlin; L059 DWb), zumeist präpositional: So glatt, daß man sich darin spiegeln könnte (L003 Johann Christoph Adelung 1780), übertragen ›sich zeigen, ausdrücken‹: Nu aber spiegelt sich in vns allen des Herrn klarheit (Luther); ursprünglich auch transitiv wie heute "widerspiegeln", ist das auge gesund… spiegelt es innen die welt (Schiller; L059 DWb), chausseen… die… ohne wohin und woher… das leben spiegeln (Jean Paul; L059 DWb); übertragen: diese Offenheit, die seine Seele auf dem Auge spiegelt;
1.2 intransitiv ›glänzen‹: es liutet schon und spiegelt vast (mhd. ; L320 Trübner), zum Ausdruck von Sauberkeit Es spiegelt alles in diesem Haus (L169 Matthias Kramer), häufig im Partizip Präsens spiegelnd silber grau wie schlacken (Wieland; L059 DWb); heute auch fachsprachlich
2 von einer bestimmten medizinischen Untersuchung zu Spiegel(4);
Spiegelung (mhd. ); allgemein spiegelung der krystallscheibe (G.Keller; L059 DWb), übertragen Spiegelung menschlicher Zufalle (L308 Kaspar Stieler); fachsprachlich, in der Optik: wunderdinge, die er [der Naturforscher] durch spiegelung hervorgebracht sieht(Goethe; L059 DWb) (W.Secker, »Wiederholte Spiegelung« 1985); heute auch zu Spiegel(4) ⇓ "S132" medizinisch von einer bestimmten Untersuchung.
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