Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
sonder
ahd. suntar, mhd. sunder (vgl. engl. asunder); wurzelverwandt griech. áter, lat. sine;1 ursprünglich (gemeingermanisches) Adverb ›auseinander, besonders‹, so noch frühneuhochdeutsch; länger erhalten als Präposition mit Akkusativ ›ohne‹, in neuerer Zeit, abgesehen von sondergleichen, literarisch und meist nur mit Vorgangs- und Zustandsbezeichnungen: z. B. sonder ⇑ "Falsch", "Mühe", "Zahl", "Zweifel"; vereinzelt auch wie bei "ohne" der Dativ: sonder einer solchen Flasche(Lessing); mit sekundärem -s sonders (mhd. sunders), ↑ "samt"; seit dem 18. Jahrhundert veraltet ›in hohem Grade‹;
2 Adjektiv, nur frühneuhochdeutsch und literarisch ›besonder‹ (↑ "besonder"), wie dieses nur attributiv: in einem sondern (neuere Ausgaben besondern) Hause (Luther), Herbstsonne gibt gar sondern Schein(G.Keller); allgemein erhalten in Verschmelzung mit einem folgenden Substantiv zu einer Zusammensetzung: Sonderabdruck (»neue bildung«; L059 DWb), Sonderbund, Sonderzug (Verdeutschung von Extrazug).
sonderbar spätahd. sundirbare; bis ins 19. Jahrhundert (vgl. L033 Joachim Heinrich Campe) auch ›ungewöhnlich, ausgezeichnet‹: la Fontaine? dieses sonderbare Genie (Lessing), wir rechnen es uns zu sonderbarer Ehre (Tieck); bis ins 18. Jahrhundert (vgl. L003 Johann Christoph Adelung 1780) auch ›einzeln‹: sonderbare Bestimmungen in der Lage der Fixsterne (I.Kant); seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts v. a. ›absonderlich, seltsam, befremdlich‹: »Dieses Wort.. lässet es zwar unentschieden, ob das Ungewöhnliche vortrefflich oder seltsam ist, neiget sich aber doch mehr dem letztern« (L003 Johann Christoph Adelung 1780), sonderbarer Schwärmer (A222 Friedrich Schiller, Karlos 3,10);
Sonderbarkeit (L308 Kaspar Stieler 1691), noch früher und stärker auf ›Seltsamkeit‹ beschränkt als sonderbar: drei Töchter, die sich durch Sonderbarkeiten auszeichneten (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 11.6.84);
Sonderheit (mhd. sunderheit); ›Eigenschaft, Wesen‹ im Sinne von ›Besonderheit‹: ein… mann… dessen sonderheiten… man gern duldet (G.A.Bürger; L059 DWb), mit der Präposition in bis ins 17. Jahrhundert auch zur Bezeichnung von Abgesondertem: Vnd er wandte sich zu seinen Jüngern / vnd sprach in sonderheit / Selig sind die augen (A180 Martin Luther, Lukas 10,23), so nach dem 16. Jahrhundert im festen Kompositum
insonderheit adverbial ›vor allem‹: der könig insonderheit wollte sich vor lachen beinahe ausschütten (Tieck; L059 DWb), heute gehoben;
sonderlich ahd. suntarlih; seit dem 18. Jahrhundert veraltet
1abgesondert, für sich‹ (frühnhd.): so will ich jeglichen sonderlich verhören (Luther); ebenso
2ungewöhnlich, vorzüglich, besonders‹: wir schieden mit sonderlichem Wohlbehagen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit 26,297,18), seit dem 18. Jahrhundert auch und heute nur noch negiert: Das wird keine sonderlichen Folgen haben. Er ist nicht sonderlich groß, reich (L003 Johann Christoph Adelung 1780); daneben und heute vor allem süddeutsch
3vor allem‹: die Liebe… / welche ich habe / sonderlich zu euch (A180 Martin Luther, 2.Korinther 2,4), häufig bei der vergleichenden Reihung: künfftigs zu wissen, und sonderlich die ankunfft des herrn (Simplizissimus; L059 DWb);
Sonderling Anfang des 16. Jahrhunderts zu sonderwie "Jüngling" zu "jung"; zunächst allgemeiner ›der sich Absondernde‹: wider alle Rottengeister und Sonderlinge (Luther), dann abwertend ›Einzelgänger, wunderlicher Kauz‹: vor einen… phantastischen sonderling gehalten (Grimmelshausen; L059 DWb); H.Meyer, Der Sonderling in der deutschen Dichtung 31984;
sondern1 Verb, ahd. suntaron, mhd. sundern, schweiz. söndern; ›trennen, entfernen‹, seit dem 18. Jahrhundert dafür eher ↑ "absondern" (L003 Johann Christoph Adelung 1780): Vnd sonderte… die sprenckliche vnd bundte böcke (A180 Martin Luther, 1.Mose 30,35), reflexiv wo korn sich sondern wird von spreu(Uhland; L059 DWb); abstrakt ›unterscheiden‹: Hier ist… die Rache von der Schuld nicht mehr zu sondern (A222 Friedrich Schiller, Braut 1,4); das Partizip Prät. gesondert adjektivisch, dazu
Sonderung ahd. suntrunga;
sondern2 Konjunktion, seit dem 15. Jahrhundert zuerst ostmitteldeutsch anstelle mhd. sunder, das mit der Präposition nhd. sonder- ursprünglich identisch ist (L012 Otto Behaghel, Syntax 3,293). Es drückt den Gegensatz nach einem negativen Satz aus: Jch werde nicht sterben / sondern leben (A180 Martin Luther, Psalm 118,17); in der Formel zur Bezeichnung einer Klimax: Nicht nur du, sondern auch er (L308 Kaspar Stieler); zuweilen nach einem Satz, der einen verneinenden Sinn enthält: eine Gemäldesammlung, die nur sehr wenige historische Stücke und Landschaften enthält, sondern meistenteils aus Porträten besteht (Tieck), man sah mich seltener auf öffentlichen Promenaden, sondern ich lag in irgendeinem Dickicht (Seume);
Sonderbehandlung"S145" nationalsozialistischer Euphemismus für ›Exekution‹, zuerst (1939) auf Deutsche bezogen, seit den frühen 1940er Jahren dann SS-Ausdruck zur Bezeichnung der Massentötungen insbesondere von Juden in den Konzentrationslagern (in den Tagebüchern der Lagerleitung unter der Rubrik »Todesursache« abgekürzt S. B.); mit Bekanntwerden der Bedeutung von Sonderbehandlung wurde die Verwendung von Ersatzausdrücken, z. B. durchgeschleust, angeordnet (vgl. L021 Karl-Heinz Brackmann/ L021 Renate Birkenhauer; L281 Cornelia Schmitz-Berning);
Sondersprache (mhd. sundersprachegeheime Beratung‹) seit frühem 20. Jahrhundert ⇓ "S208" fachsprachliche Bezeichnung ›Sprachvarietät‹: Sondersprachen… Denn wir haben es nicht nur mit Standes- und Berufssprachen zu tun, sondern auch mit den verschiedenen Sprachen der Geschlechter und der Altersklassen (H.Hirt, Etymologie der neuhochdeutschen Sprache 1909, §175), daher eingeschränkt im Gegensatz zu ↑ "Fachsprache" und im Sinne von ›Gruppensprache‹ (↑ "Gruppensprache"); D.Möhn, Sondersprache, in: L191 2LGL384ff.
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