Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
setzen
ahd. sezzen, gemeingermanisches schwaches Verb (got. satjan, engl. set), ⇓ "S107" Kausativum zu ↑ "sitzen";1 im eigentlichen Sinn
1.1 überwiegend reflexiv, z. B. in der Aufforderung, Platz zu nehmen: setzet euch!… setzet euch zu mir (L169 Matthias Kramer), Setzen Sie sich (L003 Johann Christoph Adelung 1780), hinsetzen; das Reflexivum ist mehr und mehr an die Stelle von sitzengetreten, übertragen, wie ↑ "versetzen", sich an jmds. Stelle setzen, sich über etwas "hinwegsetzen" (beide L003 Johann Christoph Adelung 1780), auch sich zur Ruhe setzen (L169 Matthias Kramer) und sich zur Wehr setzen, mhd. sazten sich ze wer (Hartmann von Aue; L059 DWb), sich wider, gegen jmdn. setzen (häufig bei Luther, aber auch später), sich widersetzen, damit sie sich auf keine Art wider setzen könnten (Lessing); veraltet ›sich niederlassen, seinen Wohnsitz nehmen‹: sie haben sich wieder gesetzt in diesem Gebirge und wohnen wiederum zu Jerusalem (Luther), um sich als geschickter Apotheker in Rom zu setzen (Jean Paul);
1.2 transitiv, bezogen z. B. auf einen ganz Erschöpften, Kranken, ein Kind; ferner ›plazieren‹: ich kann in diesem Zimmer zwanzig Personen setzen, ähnlich jmdn. ins Gefängnis (gefangen) setzen (L169 Matthias Kramer), dafür bis ins 18. Jahrhundert auch einfach setzen(siehe sitzen), umgekehrt auf freien Fuß setzen; dafür freisetzen (Wieland); übertragen jmdn. auf den Thron setzen; in ein Amt setzen (gewöhnlich "einsetzen"), biblisch auch von einem Amte setzen (dazu "absetzen"), früher auch setzen für sich: sie machen Könige, sie setzen Fürsten (Luther), als der Schultheiß nicht mehr vom Kaiser gesetzt wurde (Goethe), zum König, Herren, Hauptmann setzen; jmdn. über etwas setzen; veraltet ›jmdm. einen Wohnsitz anweisen‹: ich will euch in euer Land setzen(Luther); eine Fahne, Segel setzenhissen‹; zweifelhaft ist, ob noch die Vorstellung des Setzens im eigentlichen Sinn zugrunde liegt in Fällen wie vor die Tür/ an die Luft setzen, ferner in jmdn. über den Fluß setzen, ↑ "übersetzen", veraltet zur Rede setzen (neben stellen);
2 in der Bedeutung ›an einen bestimmten Platz bringen‹,
2.1 mit Richtungs-, Ortsbezeichnungen, konkret, jmdm. einen Käfer auf den Rock, Fische in einen Teich setzen; namentlich alle Fälle, in denen das Objekt ein Körperteil oder lebloser Gegenstand ist: den Fuß auf den Boden setzen, im Sinne von ›betreten‹: wenn er den Fuß / in Feindes Land gesezt! (A222 Friedrich Schiller, Phönizierinnen 2,1), den Hut auf den Kopf, den Stuhl vor die Tür, einen Topf ans Feuer, einen Becher an die Lippen, jmdm. das Messer an die Kehle, Tressen auf ein Kleid, ein Stück Tuch an das andere, einen Punkt hinter ein Wort, seinen Namen unter ein Schriftstück setzen, dazu auch ⇑ "ansetzen", "zusammensetzen"; auch eine Wiese unter Wasser setzen, wobei keine Bewegung des Objekts stattfindet; reflexiv Läuse setzen sich in einen Pelz, Staub setzt sich auf ein Kleid; dabei Berührung mit "stellen", das gleichfalls den genauen Sinn verloren hat: ein Glas, eine Lampe, eine Schüssel, Speisen auf den Tisch setzen; ferner wird setzen besonders angewendet, wenn es sich um Niederlassen von etwas in die Höhe Gehobenem handelt, in der Regel mit Ortsbestimmung, übertragen
jmdm. einen Floh ins Ohr setzen (L169 Matthias Kramer) ›einreden‹, hierher die Zusammensetzungen ⇑ "aufsetzen", "besetzen", "beisetzen", "fortsetzen", "nachsetzen", "vorsetzen"; auch
Kinder in die Welt setzen (L033 Joachim Heinrich Campe), von Tieren ›werfen, gebären‹ (jägersprachlich), wird hierher zu ziehen sein. In abstrakter Verwendung
⊚⊚ etwas an etwas setzen beim Wetten: daran wellen sie setzen all ir leib und gut (1500; L059 DWb), so setz' ich mein Kreuz und mein Käppchen daran (G.A.A032 Gottfried August Bürger, Der Kaiser und der Abt), gewöhnlich sein Leben/ seine ganze Kraft/ alles daran setzen, einen Preis auf den Kopf jmds. setzen, eine Strafe auf etwas setzen, jmdm. (sich) etwas in den Kopf setzen(L003 Johann Christoph Adelung 1780), etwas beiseite setzen, ⇓ "S073" im kausativen Funktionsverbgefüge abgeblaßt mit Zustandsbezeichnungen, z. T. wie "versetzen": instand, in die Lage, in Bewegung, Schwung, Beziehung, Tätigkeit, Besitz, Vorteil (Schiller), Gefahr, Freiheit, Angst, Schrecken, Furcht, Erstaunen, Kenntnis, ins Werk, ins (rechte) Licht, in Gunst, Ansehn setzen, weniger gewöhnlich in Erwartung, Eifer, Wut, Wallung, Feuer, Flammen, Brand setzen (alles bei Schiller); außerstand, Kraft, Gebrauch, Kurs setzen, außer aller Furcht setzen (Schiller), außer Zweifel setzen, auch außer sich setzen; zurechtsetzen; mit Zustandsbezeichnungen als Objekt:
⊚⊚ seine (große) Hoffnung auf, in etwas setzen: Wol dem / der seine hoffnung setzt auff den Herrn (A180 Martin Luther, Psalm 40,5), sein Vertrauen auf etwas setzen; Mißtrauen/ Zweifel in etwas setzen; seinen Ruhm/ seine Ehre/ seinen Stolz/ Ehrgeiz in etwas setzen; Wert in oder auf etwas setzen (18. Jahrhundert, jetzt legen);
2.2 ohne räumliche Vorstellung und ohne Ortsbestimmung in fachsprachlichem, speziell transitivem Gebrauch: Pflanzen, Steine, einen Ofen (dazu Steinsetzer, Ofensetzer), Blutegel, Schröpfköpfe setzen, namentlich Lettern setzen, im Handwerkslied des 16. Jahrhunderts: im drucken und im setzen (O.Schade, Deutsche Handwerkslieder, 1865,25), dann auch ein Manuskript setzen (für den Druck); Töne setzen ("Tonsetzer"), etwas in die Noten (Musik) setzen (L169 Matthias Kramer), ein Lied, eine Symphonie setzenusw.; von der Hefe sie setzt sich (L169 Matthias Kramer) ›sinkt zu Boden‹, dann auch von einer Flüssigkeit ›klärt sich‹; auch allgemeiner, vor allem in festeren Wendungen, z. B.
jmdm. ein Denkmal setzen (L033 Joachim Heinrich Campe); hierher zu ziehen wohl übertragen ›sich beruhigen‹: das alles wird sich in kurzer zeit setzen (Wieland; L059 DWb), (gesetzt:) ein gesetzter Mensch, ein gesetztes Gemuth »das nicht unbestandig, oder noch garet« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch); zum Pfand setzen; setzen beim Spiel, immer übertragen
aufs Spiel setzen; Worte setzen: Ihr setzt Eure Worte sehr gut (Lessing), auch wohlgesetzte Rede; hierher auch Akzente setzen; in der älteren Sprache ›bestimmen, vorschreiben‹, jetzt festsetzen: ist es doch eitel Lügen, was die Schriftgelehrten setzen (Luther), zweimal ist dir zu sterben gesetzt(Klopstock); dazu ⇑ "Satzung", "Gesetz". Zunächst noch konkret jmdm. Grenzen, Schranken, ein Ziel, sich etwas zum Ziel setzen, überwiegend übertragen; ähnlich einen Termin, eine Frist setzen, gesetzte Zeit (Lessing), Stunde (Wieland, Goethe, Schiller); philosophisch nach lat. ponerebehaupten, annehmen‹: einen erklecklichen Satz will ich und der auch was setzt (Schiller); lassen Sie uns das schlimmste setzen (Lessing); setzen wir also, daß moralische Erscheinungen nötig waren (Schiller), allgemein üblich ich setze den Fallnehme ihn als wirklich an‹; danach absoluter Gebrauch des Partizips Perfekt gesetzt (den Fall), er kommt (käme) nicht: Gesetzt, es sey also (L308 Kaspar Stieler); entsprechend voraussetzen, vorausgesetzt, Setzung;
3 unpersönlich im 18. Jahrhundert allgemeiner ›es gibt‹: was setzet es heut guts in eurer Küche? (L169 Matthias Kramer), heute vor allem
es setzt Schläge;
4 intransitiv wohl zunächst vom Reiten gebraucht, indem das Pferd als Objekt ausgelassen ist (vgl. "sprengen", "rennen"), mit lokalen Zusätzen noch allgemein über etwas setzen, zunächst von sprunghafter Bewegung: über einen Graben setzen (L003 Johann Christoph Adelung 1780), dann auch der transitiven Verwendung entsprechend jmdn. über einen Fluß setzenhinüberfahren‹, hierher auch "nachsetzen"; ungewöhnlich wie eine Hinde vom Lager setzt(Droste-Hülshoff); in veralteten Wendungen, frühneuhochdeutsch an jmdn. setzenfeindlich auf ihn eindringen‹, übertragen ›bedrängenich wollte auch mit Worten an euch setzen (Luther), der zudringlichen Griffe, mit welchen sie an mich setzen (Lessing); in jmdn. setzen: daß wegen des Hofrats nicht weiter in mich gesetzt werden soll (Miller). ⇑ "aussetzen", "durchsetzen", "entsetzen", "ersetzen", "umsetzen", "zusetzen", "Satz", "Gesetz".
Setzer (L200 Josua Maaler 1561) kurz für Schriftsetzer (ahd. sezzariOrdner‹) (vgl. L160 Heinrich Klenz), dazu
Setzerei (L059 DWb1905);
Setzling
1junge Pflanze, die zum Einsetzen in die Erde bestimmt ist‹, mhd. sezelinc;
2junger Fisch, namentlich Karpfen (Setzkarpfen), der zum Wachsen und zur Fortpflanzung in einen Teich gesetzt wird‹ (Anfang des 16. Jahrhunderts);
Setzschiffer"S159" norddeutsch ›jmd. , der ein Schiff für einen anderen führt‹; entsprechend
Setzwirtjmd. , der einen Ackerhof für einen anderen bewirtschaftet‹ (Storm);
Setzzeit"S100" jägersprachlich ›Zeit, wo das Wild Junge bekommt‹.
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