Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Seite
ahd. sit(t)a, mhd. site, altgermanisch (altnord. siða, engl. side). Formelhaft noch schwache Flexion im Singular: auf, von Seiten (↑ "Erde"); zunächst1 ›die rechte oder linke Partie des menschlichen und tierischen Körpers‹: an jmds. Seite, jmdm. zur Seite sitzen, nach (von) der Seite im Gegensatz zu nach (von) "vorn", "hinten", seitwärts zu "vorwärts" und "rückwärts"; übertragen die grüne Seite ›Herzseite‹: hierher. an meine grüne seyten (16. Jahrhundert; L059 DWb), jmdn. von der Seite ansehen [›mißbilligend, verwundert, schüchtern‹], bei L169 Matthias Kramer einen auf der Seite anschauen, dazu "Seitenblick" (s. unten); sich jmdm. an die Seite stellen ›gleichsetzen‹: Wer… / Darf deinem Bruder sich zur Seite stellen? (A222 Friedrich Schiller, Braut 379), von Helfern, vertrauten Personen jmdm. zur Seite stehen ›behilflich sein‹, einen Mann, eine Frau an der Seite haben ›verheiratet sein‹ (vgl. L169 Matthias Kramer); speziell die weichen Teile über den Hüften: die Arme in die Seiten stemmen, bei L308 Kaspar Stieler setzen »aus Stolzheit, Zorn« (L169 Matthias Kramer), sich die Seiten halten (bei starkem Lachen), der Kriegsknechte einer öffnete seine Seite mit einem Speer (A180 Martin Luther, Johannes 19,34); dazu Seitengewehr, Seitenstiche; Speckseite; übertragen schwache, starke Seite (L004 Johann Christoph Adelung) vom (Un)Wissen bzw. als charakterliche Eigenschaft; nach Analogie des menschlichen Körpers, wieder im Gegensatz zu vorn und hinten: Seite eines Flusses, an einer Seiten des Berges (A180 Martin Luther, 1.Samuel 23,26), eines Weges, Gebäudes, ahd. an dien siton dines huses(Notker; L059 DWb), eines Schiffes, Wagens, Raumes, auf die Theaterbühne bezogen: alle nehmen die Hüte ab und weichen zu beiden Seiten aus (A222 Friedrich Schiller, Karlos 3,9), beide ab zu einer Seite. Hieran wohl anzuschließen sind Wendungen wie auf die Seite gehen, etwas auf die Seite bringen, umgangssprachlich verhüllend einen auf die Seite bringen (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch) ›töten‹; seitwärts, daneben in gleichem Sinn seitab, ↑ "abseits"; auf entsprechender Anschauung beruhen Seitenweg, Seitenpfad, "Seitensprung" (s. unten), Seitenlinie (einer Eisenbahn, einer Familie), Seitenzweig, "Seitenstück" (s. unten) (vgl. "abseits"); hierzu auch "beseitigen"; weiter entfernt von der Grundanschauung
2 ›zwei gegenüberliegende Flächen flacher Gegenstände‹: zwo Tafeln… / die waren geschrieben auff beiden / seiten (A180 Martin Luther, 2.Mose 32,15), die Seyten eines blatts (L200 Josua Maaler), die Blattmetapher zur Erklärung des sprachlichen Zeichens: Das sprachliche Zeichen ist… etwas im Geist… Vorhandenes, das zwei Seiten hat (L274 Ferdinand de Saussure, Grundfragen 78), Seite einer tierischen Haut, eines Kleidungsstückes, eines Tuches, einer Münze, zwei Seiten einer Medaille usw.; dann auch Vorderseite und "Rückseite" oder Außenseite und Innenseite, "Kehrseite". Gegenüberstellung von zwei Richtungen auch bei "Sonnenseite", Lichtseite, "Schattenseite", die beiden letzteren häufig übertragen; auch für jede Richtung: Nordseite, Südseite, Ostseite, Westseite; auf, nach, von allen Seiten (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch); mathematisch seit dem 15. Jahrhundert ›begrenzende Linien einer Fläche‹: eine Figur ist drei-, vier-, fünf-, sechsseitig(s. unten), bzw. bei der Gleichung: die beiden seiten einer gleichung (L059 DWb); bei Übertragung werden meistens zwei Seiten einander gegenübergestellt: auf der einen Seite schädlich… , auf der andern Seite ein Reichthum medicinischer Kräfte(Gellert; L004 Johann Christoph Adelung), die Sache hat zwei Seiten, er nimmt alles von der guten (schlimmen) Seite, man muß die Sache von allen Seiten betrachten. Statt von einer Seite ansehen u.dgl. bei Lessing oft auf einer Seite: ihn auf derjenigen Seite bekannt zu machen, auf der ihn wenige kennen; auch von Parteien, die miteinander in Verhandlung oder einander feindselig gegenüberstehen: Die richter auff sein Seyten bringen(L200 Josua Maaler), jmdn. auf seine Seite ziehen, mittelhochdeutsch von Soldaten ze beiden siten (Nibelungenlied; L059 DWb), Es sind auf der einen Seite so viele Zeugen, als auf der andern(L004 Johann Christoph Adelung), er steht auf der Seite/ auf Seiten der Regierung, jmdn. auf seiner Seite haben, von meiner, ihrer Seite, von Seiten des Königs (vgl. unten meinerseits usw., seitens). Von Seite geht eine Anzahl adverbialer Bildungen aus, die meistens zur Annahme eines sekundären s neigen. Akkusativ: diesseit, jenseit gewöhnlich bei Luther, in der neueren Sprache nur "diesseits", "jenseits", für sich stehend oder mit Genitiv: diesseits des Flusses, des Meeres, der Alpen; statt dessen zuweilen der Dativ: diesseit dem Jordan (neuere Ausgaben des Jordans; Luther), diesseits den Alpen (Lessing), von jenseit dem Rheine (Lessing), substantivisch das Diesseits ›Erdenleben‹, Jenseits ›Leben nach dem Tod‹; bei A075 Johann Wolfgang von Goethe auch ›auf jener Seite‹ mit Rücksicht auf zwei sich gegenüberstehende Parteien: ohne daß jenseits widersprochen worden wäre(Brief vom 30.6.81), entsprechend jenseitig bei Gutzkow: zur jenseitigen Partei. Genitivisch väterlicherseits, mütterlicherseits aus auf (von) vatterlicher Seite (L169 Matthias Kramer), auch ein landesherrlicher- und ständischerseits genehmigter Vorschlag (Goethe), einerseits, "andererseits", beiderseits, "allerseits" (daneben bei A075 Johann Wolfgang von Goethe allseits, z. B. Faust II,9141); meinerseits, deinerseits, unsererseits, nicht zusammengesetzt (meiner Seits) bin ich zufrieden (L169 Matthias Kramer) usw., siehe auch "abseits". Mit Präpositionen: "beiseite",verkürzt beiseit, auch beiseits (Wieland, Pestalozzi u. a.); übertragen beiseite setzen, wofür im 18. Jahrhundert auch auf die Seite setzen; im früheren Kanzleistil auch abseiten ›von Seiten‹, verkürzt und mit sekundärem s seitens. Viele Ableitungen mit -ig nicht aus Seite, aber aus Verbindungen mit Seitegebildet: mathematisch dreiseitig, vierseitig usw., gleichseitig; anders einseitig, "vielseitig", allseitig, zweiseitig, doppelseitig; "gegenseitig", wechselseitig; an Adverbialbildungen angelehnt: diesseitig, jenseitig, beiderseitig, allerseitig (öfters im 18. Jahrhundert).
Seitenblick (1739 Brockes): und kann nur Seitenblicke auf diese interessante Gegenstände werfen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 17.2.83); häufig bedeutungsvoll: einen schiefen Seitenblick auf etwas… werfen (L003 Johann Christoph Adelung 1780), mit einem verächtlichen seitenblick (Heyse; L059 DWb);
Seitenhieb übertragen von kleineren sprachlichen Bosheiten man darf dem Komiker nicht verargen, wenn er, im Vorbeigehen, sich einen kleinen Seitenhieb erlaubt (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 24.1.03);
Seitensprung zunächst allgemein ›Abschweifung‹ (A222 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe 4,7); auf eheliche Untreue bezogen Wien um 1850;
Seitenstück ›Pendant‹ (L033 Joachim Heinrich Campe 1810).
2 ›zwei gegenüberliegende Flächen flacher Gegenstände‹: zwo Tafeln… / die waren geschrieben auff beiden / seiten (A180 Martin Luther, 2.Mose 32,15), die Seyten eines blatts (L200 Josua Maaler), die Blattmetapher zur Erklärung des sprachlichen Zeichens: Das sprachliche Zeichen ist… etwas im Geist… Vorhandenes, das zwei Seiten hat (L274 Ferdinand de Saussure, Grundfragen 78), Seite einer tierischen Haut, eines Kleidungsstückes, eines Tuches, einer Münze, zwei Seiten einer Medaille usw.; dann auch Vorderseite und "Rückseite" oder Außenseite und Innenseite, "Kehrseite". Gegenüberstellung von zwei Richtungen auch bei "Sonnenseite", Lichtseite, "Schattenseite", die beiden letzteren häufig übertragen; auch für jede Richtung: Nordseite, Südseite, Ostseite, Westseite; auf, nach, von allen Seiten (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch); mathematisch seit dem 15. Jahrhundert ›begrenzende Linien einer Fläche‹: eine Figur ist drei-, vier-, fünf-, sechsseitig(s. unten), bzw. bei der Gleichung: die beiden seiten einer gleichung (L059 DWb); bei Übertragung werden meistens zwei Seiten einander gegenübergestellt: auf der einen Seite schädlich… , auf der andern Seite ein Reichthum medicinischer Kräfte(Gellert; L004 Johann Christoph Adelung), die Sache hat zwei Seiten, er nimmt alles von der guten (schlimmen) Seite, man muß die Sache von allen Seiten betrachten. Statt von einer Seite ansehen u.dgl. bei Lessing oft auf einer Seite: ihn auf derjenigen Seite bekannt zu machen, auf der ihn wenige kennen; auch von Parteien, die miteinander in Verhandlung oder einander feindselig gegenüberstehen: Die richter auff sein Seyten bringen(L200 Josua Maaler), jmdn. auf seine Seite ziehen, mittelhochdeutsch von Soldaten ze beiden siten (Nibelungenlied; L059 DWb), Es sind auf der einen Seite so viele Zeugen, als auf der andern(L004 Johann Christoph Adelung), er steht auf der Seite/ auf Seiten der Regierung, jmdn. auf seiner Seite haben, von meiner, ihrer Seite, von Seiten des Königs (vgl. unten meinerseits usw., seitens). Von Seite geht eine Anzahl adverbialer Bildungen aus, die meistens zur Annahme eines sekundären s neigen. Akkusativ: diesseit, jenseit gewöhnlich bei Luther, in der neueren Sprache nur "diesseits", "jenseits", für sich stehend oder mit Genitiv: diesseits des Flusses, des Meeres, der Alpen; statt dessen zuweilen der Dativ: diesseit dem Jordan (neuere Ausgaben des Jordans; Luther), diesseits den Alpen (Lessing), von jenseit dem Rheine (Lessing), substantivisch das Diesseits ›Erdenleben‹, Jenseits ›Leben nach dem Tod‹; bei A075 Johann Wolfgang von Goethe auch ›auf jener Seite‹ mit Rücksicht auf zwei sich gegenüberstehende Parteien: ohne daß jenseits widersprochen worden wäre(Brief vom 30.6.81), entsprechend jenseitig bei Gutzkow: zur jenseitigen Partei. Genitivisch väterlicherseits, mütterlicherseits aus auf (von) vatterlicher Seite (L169 Matthias Kramer), auch ein landesherrlicher- und ständischerseits genehmigter Vorschlag (Goethe), einerseits, "andererseits", beiderseits, "allerseits" (daneben bei A075 Johann Wolfgang von Goethe allseits, z. B. Faust II,9141); meinerseits, deinerseits, unsererseits, nicht zusammengesetzt (meiner Seits) bin ich zufrieden (L169 Matthias Kramer) usw., siehe auch "abseits". Mit Präpositionen: "beiseite",verkürzt beiseit, auch beiseits (Wieland, Pestalozzi u. a.); übertragen beiseite setzen, wofür im 18. Jahrhundert auch auf die Seite setzen; im früheren Kanzleistil auch abseiten ›von Seiten‹, verkürzt und mit sekundärem s seitens. Viele Ableitungen mit -ig nicht aus Seite, aber aus Verbindungen mit Seitegebildet: mathematisch dreiseitig, vierseitig usw., gleichseitig; anders einseitig, "vielseitig", allseitig, zweiseitig, doppelseitig; "gegenseitig", wechselseitig; an Adverbialbildungen angelehnt: diesseitig, jenseitig, beiderseitig, allerseitig (öfters im 18. Jahrhundert).
Seitenblick (1739 Brockes): und kann nur Seitenblicke auf diese interessante Gegenstände werfen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 17.2.83); häufig bedeutungsvoll: einen schiefen Seitenblick auf etwas… werfen (L003 Johann Christoph Adelung 1780), mit einem verächtlichen seitenblick (Heyse; L059 DWb);
Seitenhieb übertragen von kleineren sprachlichen Bosheiten man darf dem Komiker nicht verargen, wenn er, im Vorbeigehen, sich einen kleinen Seitenhieb erlaubt (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Brief vom 24.1.03);
Seitensprung zunächst allgemein ›Abschweifung‹ (A222 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe 4,7); auf eheliche Untreue bezogen Wien um 1850;
Seitenstück ›Pendant‹ (L033 Joachim Heinrich Campe 1810).