Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Schwanz
mhd. swanz, erst aus schwanzen (vgl. schwänzen [s. unten]) ⇓ "S183" rückgebildet; mittelhochdeutsche Bezeichnung einer wiegenden Bewegung, namentlich beim Tanz: In mangem hohem doze [des] habent si den ersten tanz… vil üppiklichen swanz (Neidhart von Reuenthal, A188 Minnesinger 3,267a); ferner ›Schleppe, Schleppkleid‹ (Hugo von Trimberg, Renner 3381). Die heutige Bedeutung1.1beweglicher Fortsatz der Wirbelsäule bei Wirbeltieren‹ ist erst daraus abgeleitet, sie erscheint spätmittelhochdeutsch bei Konrad von Megenberg, der meist verdeutlichend oder zagel hinzusetzt (L059 DWb). ↑ "Zagel" wird dann allmählich durch Schwanz oder ↑ "Schweif" verdrängt; häufig auf Hunde bezogen, mit dem Schwantz wädlen (L200 Josua Maaler);
⊚⊚ jmdm. auf den Schwanz tretenbeleidigen‹ (L004 Johann Christoph Adelung); den Schwanz hängen lassen (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch) ›bedrückt sein‹, frühneuhochdeutsch dafür einfaches den Schwanz hängen; den Schwanz einziehen/ einklemmennachgeben‹ (L333 Karl Friedrich Wilhelm Wander), schon bei L169 Matthias Kramer 1702 mit dem Schwanz zwischen den beinen, id est beschämt oder beschimpft davongehen; das Pferd beym Schwanz zeumeneine Sache völlig verkehrt anfangen‹ (L308 Kaspar Stieler); mundartlich etwas auf den Schwanz schlagen (1688; L059 DWb), wohl vom Viehhandel hergenommen, eigentlich ›zu dem richtigen Preis noch etwas für den an sich wertlosen Schwanz hinzufügen‹, daher ›von dem Geld, das zu einem Kauf anvertraut ist, durch zu hohe Berechnung etwas für sich beiseite bringen‹; kein Schwanz [›niemand‹] ist zu sehen ursprünglich ostmitteldeutsche Jägersprache (2. Hälfte des 19. Jahrhunderts; L059 DWb);
1.2 vielfach übertragen, Gegensatz ↑ "Kopf" und ↑ "Haupt": Vnd der Herr wird dich zum Heubt machen / vnd nicht zum Schwantz (A180 Martin Luther, 5.Mose 28,13), ›Gefolgeder kammerherr und der ganze schwanz von pagen (Klinger; L059 DWb), auch ›Ende, Schluß‹: den Schwanz einer Warteschlange bilden, bei Goethe ›Umweg‹: der Schwanz durch die italienischen Provinzen; ob darin eine Nachwirkung der mittelhochdeutschen Verwendung als Tätigkeitsbezeichnung zu sehen ist, bleibt sehr zweifelhaft;
1.3 seit dem 16. Jahrhundert (1517; L040 Lorenz Diefenbach 422e) ⇓ "S064" verhüllend ›Penis‹, heute nur in ⇓ "S047" derber Umgangssprache oder literarisch: Es ist als könnte sein Schwanz keine Ruhe mehr finden, da vielleicht ein anderer in ihrer Fotze sich eingegraben… hat (A140 Elfriede Jelinek, Lust 139), ↑ "schlapp".
schwänzen mhd. swenzen, mittelhochdeutsch und frühneuhochdeutsch auch schwanzen, swanzen sind ⇓ "S099" Iterativbildungen zu "schwanken", ↑ "Schwank", (L175 Friedrich Kluge/ L175 Elmar Seebold) und bedeuten zunächst
1sich wiegend bewegen (z. B. beim Tanz), einherstolzieren‹: die töchter Zion gehen mit aufgerichtem Halse / mit geschminckten Angesichten / tretten einher und schwentzen(A180 Martin Luther, Jesaja 3,16). Dann hat es rotwelsch den Sinn
2gehen, schlendern, schleichen‹; 1488 das Partizip geschwentz, hingeslichen bei Gerold Edlibach und 1510 im Liber vagatorum swenzen, geen (L115 Helmut Henne/ L115 Georg Objartel 5,18).
3 Transitiv zuerst als ›betrügen, etwas schuldig bleiben, heimlich fortgehen‹ 1729 ⇓ "S211" studentensprachlich (L115 Helmut Henne/ L115 Georg Objartel), dann eine Vorlesung schwänzenversäumen‹ (1749; ebenda), dann auch für andere Verpflichtungen: Was, das Fräulein ist nicht in der Kirche, schwänzt den Gottesdienst? (B.A025 Bertolt Brecht, Kreidekreis; 5,2011); auch ⇓ "S193" schülersprachlich;
schwänzeln mhd. swenzelneinherstolzieren, herumschlendern‹, wird auch an Schwanz in der jüngeren Bedeutung ⇓ "S022" angelehnt ›mit dem Schwanz wedeln‹.
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