Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
Schrift
ahd. scrift, mhd. schrift zu ↑ "schreiben" wie "Gift" zu "geben" und unter Einfluß von lat. scriptum;1.1Gesamtheit der graphischen Zeichen einer Sprache‹, auf das Geschriebene bezogen: Vnd Gott hatte… selber die schrifft drein gegraben (A180 Martin Luther, 2.Mose 32,16), dazu Grabschrift, "Aufschrift", "Inschrift"; speziell
1.1.1 auf die Beschaffenheit bezogen: Knaben… / Die da geschickt weren… zu lernen Chaldeische schrifft vnd sprache (A180 Martin Luther, Daniel 1,4); eygen schrifft (L037 Petrus Dasypodius), Eine leserliche… Schrift (L033 Joachim Heinrich Campe), dazu "Handschrift", "Unterschrift", Reinschrift, Schönschrift, Schreibschrift; geheime Schrift (L169 Matthias Kramer), dazu Geheimschrift; speziell im Buchdruck
1.1.2 Allerley Art von Schrifften… / Auff Latein man sie typos nennt (1634; L160 Heinrich Klenz, Druckersprache);
1.2 mit dem Begriff des Textes (ahd. ),
1.2.1Bibel‹ (ahd. ): Welchs er… verheissen hat… in der heiligen Schrifft (A180 Martin Luther, Römer 1,2);
1.2.2behördensprachlich juristisch eine Schrift aufsetzen (L169 Matthias Kramer), dazu Klageschrift;
1.2.3 auf literarische und wissenschaftliche Werke bezogen, häufig im Plural, geistliche, geistreiche Schriften (L308 Kaspar Stieler), seine Schriften drucken… lassen (L169 Matthias Kramer), Schillers kleine Schriften (L033 Joachim Heinrich Campe), auf eine Sammlung bezogen im Buchtitel: Jacob Grimm, Kleinere Schriften (1864ff.); dazu Grundschrift, Flugschrift, Bekenntnisschrift, Preisschrift, Festschrift, "Urschrift"; von Periodika, dazu Wochenschrift, "Zeitschrift".
Schriftgelehrter (mhd. ) ursprünglich allgemeiner zu Schrift(1.2) bzw. speziell zu Schrift(1.2.2); seit Luther zu Schrift(1.2.1);
Schriftleiter (⇓ "S164" österreichisch um 1890); ›Redakteur‹, speziell ⇓ "S145" nationalsozialistisch (1920), 1933 von Goebbels offiziell im Schriftleitergesetz eingeführt (vgl. L015 Cornelia Berning); entsprechend
Schriftleitung, heute wieder üblich: die Schriftleitung von Germanistik. Internationales Referatenorgan;
Schriftsprache"S208" von ⇓ "S032" Adelung 1782 (»Was ist Hochdeutsch?«, Magazin für die Deutsche Sprache 1,25f.) eingeführter Begriff: Jede Schriftsprache… ist allemal die Mundart der blühendsten und ausgebildetsten Provinz oder Stadt, wo der gute Geschmack am meisten und allgemeinsten verbreitet ist(vgl.auch L006 Johann Christoph Adelung, Lehrgebäude 1, LVIIff), wird von Wieland in einer Entgegnung (»Über die Frage: Was ist Hochdeutsch?«, Der Teutsche Merkur IV,1782, 147) aufgenommen: Schriftsprache, das ist, die Sprache, worin alle diejenigen schreiben müssen, welche gut Teutsch schreiben wollen. Zeitlich später, aber hinsichtlich der Strenge des Begriffs vor Adelungs Terminologisierung liegend
1schriftliche Kommunikationsform eines Volkes, einer Sprachgemeinschaft insgesamt‹, mit anderen Worten »Sprache, deren sich ein Volk in Schriften bedienet« (L004 Johann Christoph Adelung): begründung einer gotischen schriftsprache in den stürmen der wanderzeit(Freytag; L059 DWb).
2.1Die »ausgebildetste« (L004 Johann Christoph Adelung) Existenzform, welche in Wörterbüchern und Grammatiken kodifiziert ist und schriftlicher Kommunikation und Erkenntnis dient‹, »reiner und edler.. als die Umgangssprache« (L033 Joachim Heinrich Campe), »die sprache der litteratur im gegensatze zur umgangssprache und den mundarten bezeichnend« (L059 DWb).
2.2 Im 20. Jahrhundert auch »über den Mundarten und der Umgangssprache stehende, bewußt gestaltete und auf Auswahl beruhende Sprachform« (L337 WdG); die Einschränkung ›schriftlich‹ ist hier aufgehoben, so auch H.Paul 21908: »gewöhnlich = Gemeinsprache«.
2.3 In der deutschsprachigen Schweiz ›dasauch gesprocheneHochdeutsch, das als überregionale Sprachform der Mundart (»Schwyzertütsch«) gegenübersteht(wobei regionale Umgangssprachen fehlen)‹, Nach einem Gespräch in der Schriftsprache erinnere ich mich genauer, wie ich formuliert habe; im allgemeinen sprechen wir Mundart unbewußter, fühlen uns sicherer und unverkrampft (M.Frisch, Tagebücher 1966–1971; 6,291ff.); Schriftsprache(2.1) und ↑ "Hochsprache" (als gesprochene Version "Gemeinsprache") werden seit 1970 unter dem Begriff (geschriebene, gesprochene) ↑ "Standardsprache" zusammengefaßt;
Schriftsteller (16. Jahrhundert; W.L244 Wolfgang Pfeifer);
1 ursprünglich und bis ins 18. Jahrhundert zu stellen(5) ⇓ "S181" juristisch »der eine Schrifft fur andre aufsetzt« (J. L.L078 Johann Leonhard Frisch); in heutiger Bedeutung
2Autor, Dichter‹, zuerst 1723: So aber fällt es unsern meisten Schrift-Stellern fast unmöglich / anderer von ihnen abweichende Sätze ohne Bitterkeit und höhnische Durchhechelung anzugreifen(C.F.Weichmann, Poesie der Niedersachsen 2, Vorrede), mit A080 Johann Christoph Gottsched (Critische Dichtkunst 1730) etabliert, ein Schriftsteller seyn (L004 Johann Christoph Adelung 1780), heute häufig auch in Opposition zu "Dichter", "Literat"; dazu Schriftstellerei (Herder; L320 Trübner), schriftstellerisch (Bode; L320 Trübner), schriftstellern (L033 Joachim Heinrich Campe);
Schrifttum (1833 Jahn, zuvor 1827 bei Heine Schriftentum) ›Literatur‹, seit dem Purismus des späteren 19. Jahrhunderts (L396 ZADS 1,181) und besonders zur Zeit des ⇓ "S145" Nationalsozialismus (vgl. L281 Cornelia Schmitz-Berning) bis etwa 1945 weit verbreitet;
schriftlich (mhd. ); Gegensatz "mündlich": schrifftlich malde (L200 Josua Maaler), schriftliche Antwort, Wahl (L308 Kaspar Stieler), ich wills euch schriftlich geben (L169 Matthias Kramer) umgangssprachlich zur Bezeichnung von Nachdruck; substantivisch das Schriftliche »die erste Hälfte des Examens« (L320 Trübner).
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