Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
schön
ahd. sconi, mhd. schœne (schöne noch mundartlich niederdeutsch und mitteldeutsch), altgermanisches Adjektiv, verwandt mit ↑ "schauen", daher zunächst1 nur vom optisch wohlgefälligen Eindruck: unde wart ein schœne man (Hartmann von Aue; L059 DWb), ein schönes weib das schönste unter allen werken der natur (Wieland; L059 DWb), beim Himmel, dieses Kind ist schön (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,2609), fest in der veralteten Anrede mein schönes Fräulein, darf ich wagen (ebenda 2605); das schöne Geschlechtdas weibliche‹ »weil die Schönheit demselben vorzüglich eigen ist« (L003 Johann Christoph Adelung 1780); so auch substantivisch auf Personen bezogen nur das Femininum die Schöne, meine Schöne! (L308 Kaspar Stieler), ungewöhnlich im Plural ohne Artikel: für Schönen, die den Zwang der ernsten Liebe scheuen (Wieland), flexionslos im Singular wie ein wirkliches Substantiv: einer jungen Schöne (Rabener), mit seiner Schöne(G.A.Bürger); prädikativ gebraucht sich schön machen: Daß wir uns gern schön machen und schmücken (Luther; L264 Daniel Sanders);
er tut es nicht um deiner schönen Augen willen (vgl. L059 DWb) ›nicht nur dir zu Gefallen‹.
2 Frühzeitig ⇓ "S025" verallgemeinert,
2.1 auf den Gehörsinn bezogen schone sanc diu nahtegal (Walther v. d.Vogelweide; L059 DWb),
2.2 als Ausdruck der Geschmacksempfindung norddt. das schmeckt schön,
2.3 allgemein von einer angenehmen Empfindung Die schönen Tage in Aranjuez sind nun zu Ende (A222 Friedrich Schiller, Karlos 1,1); Gar schöne Spiele spiel ich mit dir (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Erlkönig); ein schönes [›angenehmes‹] Leben haben, es schön haben, heute zum Ausdruck großer Freude
das ist zu schön um wahr zu sein (L337 WdG); so sterb' / Einst im Ernste des Lebens / Unsre Freude, doch schönen Tod (A131 Friedrich Hölderlin, Dichtermuth; 2,65), (es ist) schön, daß du kommst, präpositional mit von: Herr Doktor, das ist schön von Euch, daß Ihr uns heute nicht verschmäht (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,980f.); auch auf ein geistiges Produkt bezogen: eine schöne Abhandlung, Arbeit; geflissentliches Bestreben, sich wohlgefällig zu machen und dadurch Gunst zu gewinnen in schöne Worte machen, veraltet schön mit einem tuhn (L308 Kaspar Stieler) ›flirten‹; umgangssprachlich (veraltend) eine schöne Leiche (L059 DWb) von einem stattlichen Begräbnis; schönes [›gutes‹] Wetter: in demo sconen wetere (Williram; L059 DWb), ebenso es ist/ wird schön, mittelhochdeutsch do was es… schœn (L059 DWb), auf das Wetter bezogen auch ein schöner Tag, Morgen; im Gruß Schonen guten Morgen (L308 Kaspar Stieler); umgangssprachlich verblaßt eines schönen Tages, Morgens nach mhd. bi schönem tage(Schwabenspiegel; L059 DWb) im Gegensatz zu Nacht; zu einem Hund, der seine Kunst zeigen soll, auf den Hinterfüßen zu sitzen oder stehen mach schön! (L059 DWb); frühzeitig ›so, wie es sich gehört‹: schönen Dank, Gruß, dankeschön (↑ "Dank"), bitteschön (↑ "bitten"), mhd. ein ander, den sie grüezen schone(Walther v. d.Vogelweide; L059 DWb), frömdiu wip diu dankent mir vil schone(Walther v. d.Vogelweide; L059 DWb); auffordernd zu Kindern gib eine schöne Hand, eine rechte Patschhand (A075 Johann Wolfgang von Goethe, I 9,126); weiterhin, zunächst adverbial, dann auch attributiv ›vollständig‹ (↑ "schon") und zu allgemeiner ⇓ "S229" Verstärkung (↑ "hübsch"): eine schöne Menge, Summe, Höhe, ein schöner Haufen, ein schönes Alter,
immer schön der Reihe nach; da geht ein Schönes drauf(Schiller), im Superlativ kissen und decken in schönster ruh(Goethe; L059 DWb), heute umgangssprachlich formelhaft mitten beim schönsten Feiern, in der schönsten Unterhaltung (L337 WdG).
3 Von den Ästhetikern des 18. Jahrhunderts wurde eine Objektivierung des Begriffs versucht,
3.1 auf den optischen Eindruck bezogen: schön ist, was ohne Begriff als Gegenstand eines nothwendigen Wohlgefallens erkannt wird (I.A153 Immanuel Kant, AA 5,240), substantivisch Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen(ebenda 2,205); Aber wir haben in uns ein Urbild alles Schönen, dem kein Einzelner gleicht (Hölderlin, F.D.A.Manskopf),
3.2"S168" als ethischer Begriff: Eine Handlung nach dem Gesetze der Vernunft ist dann schön, wenn sie aussieht, als geschähe sie aus Neigung und ohne allen Zwang (A222 Friedrich Schiller, 21,83), dazu schöne Seele (franz. belle âme) im Anschluß an Platonische und Plotinische Ideen, besonders unter dem Einfluß Shaftesburys im 18. Jahrhundert üblich geworden für einen zu sittlicher Harmonie gelangten Menschen (vgl. L096 GRM7,236): Welches Lob ist größer, blühende Wangen, oder eine schöne Seele (Dusch; L003 Johann Christoph Adelung 1780), bei A222 Friedrich Schiller: Eine schöne Seele… , wenn… das sittliche Gefühl aller Empfindungen des Menschen… dem Affekt die Leitung des Willens… überlassen darf (Anmuth und Würde; 20,287), so und im Anschluß an die religiöse Deutung der Mystiker und Pietisten (L184 August Langen 1968,358) bei A075 Johann Wolfgang von Goethe Bekenntnisse einer schönen Seele (Lehrjahre, 6.Buch), bei A131 Friedrich Hölderlin in der Anrede: Ich bin voll Freude, schöne Seele (Emilie vor ihrem Brauttag); eine schöne Tat (L003 Johann Christoph Adelung 1780); ein schöner Charakterzug; im 18. Jahrhundert sehr üblich die schönen Künste (nach franz. les beaux-arts; im Gegensatz zu Handwerk, Technik) und die schönen Wissenschaften, »deren nächste Absicht ist, zu gefallen und zu vergnügen« (L003 Johann Christoph Adelung 1780), schöne Literatur (franz. belles lettres), derjenige, welcher sich mit dieser beschäftigt schöner Geist, »bey welchem sinnliche Empfindung, Einbildungskraft und Geschmack vorzüglich wirksam sind« (L003 Johann Christoph Adelung 1780).
4 Anschließend an Wendungen wie er wird sich schön wundern, umsehen, er hat ihn schön geprellt, ausgelacht, schön dumm (niederdeutsch; L059 DWb) usw. häufig ironisch: Du bist ein schoner Kerl (L308 Kaspar Stieler); Da würde ich schön ankommen (L003 Johann Christoph Adelung 1780); Das wird ihm schön bekommen seyn(ebenda); Dafur wurde ich mich schon bedanken (L033 Joachim Heinrich Campe); das wäre noch schöner (L059 DWb); das ist eine schöne Geschichte; schöne Bescherung (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 241); das sind ja schöne Aussichten, Neuigkeiten; er hat mich schön auflaufen lassen, schön betrogen (A222 Friedrich Schiller, Wallensteins Lager 5.Auftritt); ist er doch schön blöd, die Wahrheit zu sagen (A208 Ulrich Plenzdorf, Leiden 58); häufig einschränkend Alles recht schön!… aber man kann Das nicht übers Knie brechen(Gutzkow; L264 Daniel Sanders); in der gesprochenen Sprache der Gebrauch als
5"S209" Sprechhandlungspartikel ›Sprecher akzeptiert oder stimmt mit einer gewissen Zurückhaltung zu‹: Schon! Das lasse ich mir gefallen (L033 Joachim Heinrich Campe); Wir sagen: die Zeit läuft ab. Schön, soll sie also mal ablaufen (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 95); »Schön«, sagte Hans Castorp. »Wie du meinst… « (ebenda 245); hierzu na, schön: »Na schön«, wiederholte Wulkow und zwinkerte (H.A182 Heinrich Mann, Untertan 320); sogar ›sprechende‹ Namen, dieser Tod aller Poesie!, sind nicht vermieden; heißt doch der Held ›Hartright‹ = Biederherz; und SIE Laura Fairlie, das ist ›Schönchen‹; na schön(A.A226 Arno Schmidt, Trommler 290); ähnlich also schön. Was zunächst als angenehmer äußerer Nebenaspekt einer Handlung angesehen wurde, mag später in Sätzen auffordernden Gehalts als wünschbar bzw. ratsam empfunden worden sein; daher heute in Aufforderungen, nur gelegentlich in Aussagesätzen, auch
6"S002" Abtönungspartikel (⇑ "fein", "hübsch") ›Sprecher zeigt an, daß er die geforderte bzw. beschriebene Handlung für ratsam bzw. geboten hält‹: immer schön ruhig bleiben! (L320 Trübner); Das laß mal schön sein!; morgen bleiben Sie schön im Bette (L164 Friedrich Kluge; L320 Trübner); spiel mal schön (1991 U.A314 Uwe Timm, Kopfjäger 157); Nachdem er sie zurechtgewiesen hatte, sind sie schön (brav) nach Hause gegangen. A.Kress, Wortgeschichtliches zu Inhalt und Umfeld von schön,1971; S.J.Schmidt (Hg.),›schön‹. Zur Diskussion eines umstrittenen Begriffs, 1976.
schönfärben (L308 Kaspar Stieler) nach Schönfärber eigentlich ›Stoffe hell färben‹, heute nur noch übertragen abwertend »günstiger darstellen« (L320 Trübner);
Schöngeist (L033 Joachim Heinrich Campe) ⇓ "S124" Lehnübersetzung von franz. bel esprit, Ende des 18. Jahrhunderts (L360 ZDW 6,333), dazu
schöngeistig (L033 Joachim Heinrich Campe) »belletristisch«: schöngeistige Schriften (ebenda);
Schönheit mhd. schœnheit; im Anschluß an die Bedeutungsentwicklung von schön; seinen Nahmen? den Nahmen deß, das Eins ist und Alles? Sein Nahme ist Schönheit (1797/ 99 A131 Friedrich Hölderlin, Hyperion 52f.); metonymisch als Lehnbedeutung auch für eine schöne Frau (wohl nach franz. beauté): in eine Schönheit verliebt seyn(L169 Matthias Kramer); in der Litotes er/ sie ist nicht gerade eine Schönheit;
Schönheitsfehler »als Fehler doch verschönernd wirken« (L269 Daniel Sanders/ L269 J. Ernst Wülfing), heute ›kleiner Makel eines ansonsten vollkommenen Gesamtbildes‹; um 1750
Schönheitspflästerchen ursprünglich zur Verdeckung von Hautunreinheit, dann auch um die Haut durch den schwarzen Taft des Pflästerchens weißer erscheinen zu lassen;
Schönredner »der in der Rede.. schone Gedanken schon vorzutragen verstehet« (L033 Joachim Heinrich Campe), zumeist abwertend philosophische Schönredner einer untauglichen Idealmenschheit (Herder; L033 Joachim Heinrich Campe); die Adverbialbildung
schönstens wie "bestens" nicht superlativisch, sondern verstärkend, veraltet ich lasse schönstens grüßen;
Schöne Fem. , ahd. sconi, mhd. schœne; bis ins Frühneuhochdeutsche: so wird der König Lust an deiner Schöne haben (Luther), im 17. / frühen 18. Jahrhundert wenig gebraucht, von Klopstock als Synonym von Schönheit wiederbelebt und seither literarisch; im Sinn eines optischen Eindrucks: an deine stille Schöne, / Seelig holdes Angesicht! (A131 Friedrich Hölderlin, Diotima; 1,222), abstrakt von verinnerlichter Vollkommenheit Wenn Schöne des Herzens voran / Vor der Schönheit des Gesangs fleugt! (Klopstock), in der literarischen Moderne: Wenn ihr auf langen fahrten nach der schöne / Beladen seid mit reichen lebens bunter beute (S.A067 Stefan George, An Karl und Hanna), begabt mit eigner unentweihter Schöne / und keines Andern Nachhall, Widerschein (A130 Hugo von Hofmannsthal, Welt);
schönen ahd. sconen, mhd. schœnen; ›schön machen‹, allgemein seit dem 17. Jahrhundert veraltet; übertragen auf den sprachlichen Ausdruck wie "beschönigen" ›etwas positiver darstellen, als es ist‹: seine boszheit schönen (1650; L059 DWb), so heute häufig im Partizip Prät. eine geschönte Darstellung, das ist sehr geschönt; seit dem 19. Jahrhundert technisch im Sinne eines qualitätssteigernden Begriffs, Wein schönenklären‹ (L033 Joachim Heinrich Campe), auf Stoffe bezogen ›Farben lebhaften Glanz verleihen‹ (vgl. L059 DWb); dazu verschönen, verschönern (beide L308 Kaspar Stieler).
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