Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
schon
ahd. scono(Adverb zum Adjektiv sconischön‹), mhd. schone (noch bis ins 17. Jahrhundert bei Logau und Hofmannswaldau; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt);1 Adverb, mittelhochdeutsch zunächst ›schön, auf schöne Weise‹, so noch frühneuhochdeutsch (Luther; L059 DWb), jedoch »aus dem begriffe des abgeschlossenen, völligen, den schone, schon als noch deutlich gefühltes adv. zu schön haben kann.., indem dieser einer anderen erwartung gegenüber betont wird« (L059 DWb), in der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts bereits gelegentlich im Sinne von ›allbereits‹ (Augsburger Stadtbuch; L345 Friedrich Karl Ludwig Weigand/ L345 Herman Hirt); daher der Gebrauch als Temporaladverb
2.1früher oder schneller, als zu erwarten war (in bezug auf die Vollendung oder das Eintreten einer Handlung oder eines Zustandes)‹, synonym zu ↑ "bereits": Es ist schon die Axt den Bewmen an die wurtzel gelegt (A180 Martin Luther, Matthäus 3,10); Er ist schon da (L308 Kaspar Stieler); Frisch gewagt ist schon gewonnen, / Halb ist schon mein Werk vollbracht (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,61 LH); Nein, ich wußte es schon selber(Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 368); kontrastiert mit "noch", um das (zu) lange Andauern bzw. das (zu) frühe Einsetzen einer Handlung oder eines Zustandes zu markieren: Es ist Morgen / und Ihro königliche Majestät / noch angekleidet oder schon (A222 Friedrich Schiller, Dom Karlos 3,4); negative Antwort auf eine mit schongestellte Frage: noch nicht; in Verbindung mit genaueren Zeitbestimmungen: schon zwanzig jahr (Weiße; L059 DWb); Schonlangst (L308 Kaspar Stieler 1691); schon lange (L305 Christoph Ernst Steinbach); Blutpfropf? Na, es ist ja schon lange her (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 255); Aber das war schon wieder gefährlich, da fängt es schon wieder an, dunkel zu werden (A004 Ingeborg Bachmann, Wildermuth 250); gelegentlich dem Bezugsglied nachgestellt: Es flattert um die Quelle / Die wechselnde Libelle / Mich freut sie lange schon (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,69 LH); auch bei futurischem Prädikat: schon in, nach drei tagen werde ich fertig sein (L059 DWb); zur Bezeichnung eines wiederholten Vorgangs ohne temporales Moment: Ich bin schon so oft da gewesen (L004 Johann Christoph Adelung); Schon zum zweytenmale! (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,238 LH); häufig in Wunschsätzen: Wär doch schon mein Lieschen mein!(Weiße; L004 Johann Christoph Adelung); wie ⇑ "eben", "kaum", "noch" als Einleitung des Hauptsatzes in Verbindung mit nebensatzeinleitendem als oder hauptsatzeinleitendem da, um »ein neues verspätetes oder unerwartetes ereignis« (L059 DWb) in eine Erzählung einzuführen: schon schien die list dem juden als gelungen, / als der betrieger schnell sich selbst gefangen sah (Lessing; L059 DWb); schon war ich hinein [in den Garten]: da sah ich zum Glücke den Oheim(A074 Johann Wolfgang von Goethe, 1,284 LH), ähnlich: Doch, auch indem ich dieses niederschreibe, / Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,66 LH); auch bloßes schon?als ⇓ "S185" erstaunt-rückmeldender Ausruf des Hörers nach Erhalt einer Mitteilung über ein früher als erwartet eingetretenes Ereignis (vgl. L169 Matthias Kramer 1702): Luise… und mir wird sehr übel… Ferdinand. Schon? (A222 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe 5,7);
2.2 mit Zurücktreten des zeitlichen Moments ›nichts weiteres braucht hinzuzukommen, damit das betreffende Ereignis oder der betreffende Zustand eintritt‹: Ich bin schon zufrieden (L308 Kaspar Stieler); Nur ein solches Herz wieder zu finden, ist schon eine Freude (L004 Johann Christoph Adelung); Schon die Politik könnte sie zwingen Wort zu halten (A222 Friedrich Schiller, Räuber 2,3); Das Wort erstirbt schon in der Feder(A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,87 LH); zwischen dem temporalen Gebrauch und der Bedeutung ›im Gegensatz zur bisherigen Erwartung‹ steht
2.3bereits jetzt, ohnehin‹: Sihe / des Volcks ist schon viel im Lande (A180 Martin Luther, 2.Mose 5,5); Alcest… Hier, nimm die Schlussel nur. Sophie. Der meine offnet schon (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 7,58 LH); dazu das wie eine Sprechhandlungspartikel gebrauchte, eine Gegenposition akzeptierende schon gut: Nur nicht so stolz! Es ist schon gut!(A074 Johann Wolfgang von Goethe, 12,51 LH), das auch allein auftreten kann: Alba. Zwei Worte, gnäd'ger Prinz. Karlos. Ganz rechtschon gut ein andermal (A222 Friedrich Schiller, Karlos 2,5); Ja, ja. Schon gut (B.A249 Botho Strauß, Kalldewey 58); ähnlich schon recht; hierher auch die noch bis ins 19. Jahrhundert anzutreffende Verbindung ob… schon, später zusammengesetzt zu ↑ "obschon": Das sie es nicht sehen / Ob sie es schon sehen / vnd nicht verstehen / ob sie es schon hören (A180 Martin Luther, Lukas 8,10); VNd ob ich schon wandert im finstern Tal / fürchte ich kein Vnglück (A180 Martin Luther, Psalm 23.4), dafür heute wenn… schon: Es sind überaus unmanierliche Leute, und wenn ich schon drei Wochen lang neben ihnen wohnen soll… , so will ich sie doch nicht kennen (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 62); Aber der große Schlendrian, wenn du ihn schon beim Namen nennst, der hat sich doch nur breitmachen können, weil wir eben unentwegt glücklich waren (B.A247 Botho Strauß, Sieben Türen 193); dazu auch (na,) wenn schon!der genannte Gegengrund ist ohne Bedeutung‹: Und Guste: »Wennschon!« wobei sie sich auf die Lippen biß (H.A182 Heinrich Mann, Untertan 253). Was bereits, d. h. früher als erwartet, der Fall ist, mag später, zunächst in Sätzen futurischen Gehalts, als im Gegensatz zur bisherigen Erwartung stehend verstanden worden sein, daher (schon 17. Jahrhundert, vielleicht älter) der Gebrauch als ⇓ "S002" Abtönungspartikel, »wo sich neben dem Begriffe der geschehenen Sache allerley Nebenbegriffe mit einschleichen, welche den ersten oft ganz verdrängen« (L004 Johann Christoph Adelung), dabei wird die Spannung zwischen dem zeitlichen Aspekt und der Abtönung gelegentlich noch sichtbar,
3.1 in Aussagesätzen (häufig zum Zweck der Beruhigung) ›Sprecher zeigt an, daß das Gesagte im Gegensatz zu dem steht, was der Hörer vielleicht denken oder befürchten könnte‹: Ich will den Capiten Horribilicribrifax auf ein paar Worte zu mir bitten lassen. Der wird mir schon zu diesem Stuck beforderlich seyn (1663 A095 Andreas Gryphius, Horribilicribrifax 7,105); es wird schon gehen (L033 Joachim Heinrich Campe); Laß nur, sagte Laertes, die Zeit wird schon zu Hulfe kommen (A074 Johann Wolfgang von Goethe, 19,4 LH); Na, Ihr Herr Vetter wird uns schon besser zu würdigen wissen, wird sich schon amüsieren (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 68); in deiner nächsten Stellung wirst Du es schon verstehen den Portier zu grüßen und wenn es auch nur vielleicht in einer elenden Spelunke sein wird (A149 Franz Kafka, Verschollene 228); Die Natur wird sich schon zu helfen wissen (A083 Günter Grass, Totes Holz [1990] 106); umgangssprachlich ironisch
es wird schon schiefgehenes müßte eigentlich gelingen‹; mit Starkton in Sätzen ohne futurischen Gehalt, vor Adversativsätzen: Schwach war sie schon, es war nur die Angst, die ihr soviel Kräfte gab (Th.A183 Thomas Mann, Zauberberg 79); eine Unart, das muß ich leider schon sagen, habt ihr alle (M.A064 Max Frisch, Andorra 507); auch verkürzt für das ist schon wahr, stimmt schon: Man hat zwar die Vorstellung von einer Wüste, das schon, doch ist die Bezeichnung Wüste hier… falsch (R.A289 Ror Wolf, Männer 115); hierher auch ein frageausweichend beantwortendes schon möglich;
3.2 in Aufforderungen ›Sprecher zeigt an, daß der Aufforderungsinhalt im Gegensatz zu dem steht, was der Hörer den Anschein erweckt zu tun bzw. zu unterlassen‹: Fangen Sie schon an! (A130 Hugo von Hofmannsthal, Schwierige 1,1); »Hör schon auf«, sagte sie (A018 Heinrich Böll, Und sagte kein einziges Wort 180); Mischa wartet noch, bis er Ordnung in sein Gesicht gebracht hat… , er sagt: »Bring sie schon her.« (J.A006 Jurek Becker, Lügner 253);
3.3 in rhetorischen Fragen (weil diese als das Gegenteil des Frageinhalts ausdrückende Aussagen zu verstehen sind) ›Sprecher zeigt an, daß im Gegensatz zu dem, was man vielleicht erwarten könnte, das Gegenteil des ausgedrückten Gehalts wahr ist‹: Was würde es ihnen schon nützen, beliebig viel freie Zeit zur Forschung zu haben, wenn jeder beliebige ungebildete Mönch Ihre Gedanken… verbieten könnte? (B.A025 Bertolt Brecht, Galilei; 3,1242); Ach, was heißt schon ›zu Kreuz kriechen‹! Nur keine großen Worte mehr! (A004 Ingeborg Bachmann, Das dreißigste Jahr 132); in Antworten, an (3.1) anschließend, der Gebrauch als
4"S209" Sprechhandlungspartikel dabei alleinstehend, ›Sprecher stimmt mit Einschränkung zu‹: Wirt Kein Volk ist so beliebt wie wir. Tischler Schon (M.A064 Max Frisch, Andorra 511); nicht selten ergänzt durch einen Adversativsatz.
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