Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
schließen
ahd. sliozan, mhd. sliezen, westgermanisches starkes Verb, urverwandt lat. claudo; ältere, bis zum 19. Jahrhundert literarische Formen du, sie schleußt, Imperativ schleuß;1mit Schloß und Schlüssel‹, auch ›mit einem Riegel, einer Klinke oder ähnlichen Vorrichtung ab-/ zusperren‹; als Objekt steht gewöhnlich ein bewegter Gegenstand, durch den ein Verschluß (bzw. eine Öffnung) bewirkt werden kann: das Tor, die Tür, ein Fenster, die Läden, die Klappe schließen; auch einen Schrank, einen Koffer, ein Haus schließen, üblicher zuschließen, ⇑ "verschließen", "abschließen", hierher auch redensartlich: der kes.. den magen nun soll schlissen (Logau; L059 DWb); wenn ausgedrückt werden soll, daß ein Raum nicht in Funktion ist: der Laden, das Geschäft, das Museum, das Theater, die Kasse ist geschlossen; Schiller sagt auch eine Straße schließenabsperren‹, einen Fluß schließen.Ungewöhnlich: sie hat die Ketten von meinem Halse geschlossen (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Stella 5,2), ↑ "aufschließen".Auch ein Gegenstand, der indirekt vom Schließen betroffen wird, kann als Objekt stehen, wenn derjenige, an dem der Verschluß direkt vollzogen wird, mit Hilfe einer die Richtung bezeichnenden Präposition angeknüpft wird: Geld in den Kasten, einen Vogel in den Käfig, jmdn. in Ketten, einen Hund an die Kette schließen, mitunter auch bloß schließenin Ketten schließen‹; ferner der sich in die schwarze Küche schloß (Goethe), wo wir "einschließen" vorziehen würden. Das Werkzeug kann zum Subjekt gemacht werden: der Schlüssel schließt (gut, nicht) wenn die Fähigkeit zum Schließen ausgedrückt werden soll; auch eine Thüre schließet nicht»wenn sie nicht genau auf dem Thürfutter anlieget« (L004 Johann Christoph Adelung); ungewöhnlich der Himmel schließtschließt sich‹ (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I,349f.); umgekehrt bei Goethe auch reflexiv Ew. Wohlgeboren… Schreiben… schließt sich mit den Worten (Brief vom 11.3.19);
2 verallgemeinert Gegensatz zu "öffnen": Die Rose ist noch geschlossen (L308 Kaspar Stieler), die Hand, die Lippen, den Mund schließen, Es ist des Himmels wunderbare Fügung, / Die mir den Mund in dieser Sache schließt (H.v.A160 Heinrich von Kleist, Zerbrochener Krug 9); in der ⇓ "S043" EDV ›ein Programm beenden‹, dann auch ›eine (Text-)Datei, Datenbank o. dgl. aus dem Arbeitsspeicher entfernen‹ (L306 Josef Steiner 1985, 21); die Augen schließenübertragen ›sterben‹, präpositional
die Augen vor etwas schließennicht wahrhaben wollen‹, übertragen auch die Ohren, das Herz schließen; reflexiv die Hand, das Auge, das Herz usw., eine Wunde, Blüte schließt sich. Mit anderer Art des Objekts und Richtungsbezeichnung (s. oben): jmdn. in die Arme, an die Brust, an sein Herz schließen; übertragen ›einbegreifenin sich schließen: ein Fehler, der viele andere in sich schließt; diese Wendung bezeichnet einen dauernden Zustand (eigentlich das Resultat des Schließens). Ferner (sich) an etwas/ jmdn. schließen: das älteste Verhältnis, welches zwei Menschen aneinander schließt (Freytag), die Säule muß an ihre Schwestern nachbarlich sich schließen (Schiller), mich fröhlich an die Fröhlichen zu schließen (Schiller), ↑ "anschließen";
3 als Objekt kann ein Gegenstand stehen, der erst durch den Verschluß hergestellt wird, seine Vollendung erlangt: einen Bogen, ein Gewölbe, einen Kreis (vgl. L305 Christoph Ernst Steinbach) schließen, übertragen einen Bund, Vertrag schließen, er schloß mit den benachbarten Volckern Friede (L305 Christoph Ernst Steinbach), eine Ehe, einen Kauf, eine Wette (Goethe) schließen, Gaudy und Krug von Nidda… nähern sich ihm, mit dem letzteren schließt er sogar Duzbrüderschaft (A.A225 Arno Schmidt, Fouqué 362);
4 von den oben angeführten Wendungen wie den Laden schließen hat schließen den Sinn ›ein Ende mit etwas machen‹ angenommen, Gegensatz "eröffnen": Eine Rede schließen (L308 Kaspar Stieler), die Schule, die Vorlesungen, eine Sitzung, eine Erzählung, einen Brief schließen, formelhaft am Briefschluß: Ich will/ muß jetzt schließen, Hiermit möchte ich schließen, in der Syllepse und metrisch gebunden Itzt will ich meinen Brief doch nicht die Hoffnung schlissen (Hofmannswaldau; L305 Christoph Ernst Steinbach), auch mit etwas schließen, der Brief schloß mit einem Gruß an dich, ähnlich ein Bericht, eine Rede usw. schließt mit etwas, die Rechnung schließt mit einem Defizit (vgl. L059 DWb);
5 wenn das Objekt von der Art ist wie bei (3), kann das Subjekt ein Glied desselben sein, welches es erst zu einem Ganzen macht: die Versammelten schlossen einen Kreis um ihn. Mit besonderer Hervorhebung, daß das betreffende Glied den Abschluß bildet, daher das letzte ist: die Feuerwehr schloß den Zug;
6 zuerst in ⇓ "S168" philosophischer Fachsprache (⇓ "S024" Lehnbedeutung nach lat. concludere, vgl. G.Objartel, in: Das Wörterbuch: Artikel und Verweisstrukturen, hrsg.v. G.Harras 1988, 317) ›folgern‹, am gewöhnlichsten ich schließe daraus, daß… , nach deinen Reden zu schließen »umgangssprachlich geworden« (L320 Trübner); ferner etwas, viel, wenig usw. schließen, Eins aus dem andern schließen (L308 Kaspar Stieler), was läßt sich daraus schließen?; seltener steht ein Substantiv als Objekt: läßt sich aus diesem Bilde wohl der Charakter der Person schließen?(Lessing), dafür lieber auf etwas schließen, ↑ "erschließen"; häufig ohne Objekt: er schließt richtig, so darf man nicht schließen, danach zu schließen, von sich auf andere schließen, häufig negiert im Postulat man darf nicht von sich auf andere schließen (L320 Trübner), veraltet das schließtdas beweist‹: das schließt für mich(Lessing);
7 das Partizip geschlossen adjektivisch in zwei Hauptverwendungen,
7.1nach außen abgeschlossen, daher nicht allgemein zugänglich‹: geschlossene Gesellschaft; L003 Johann Christoph Adelung gibt 1780 an geschlossene Wieseauf welcher nicht gehütet werden darf‹, geschlossene Jagdwo nur der Eigentümer jagen darf‹, geschlossenes Handwerkvon welchem an einem Orte nur eine gewisse Anzahl Meister sein dürfen‹, geschlossene Zeitin welcher eine Handlung verboten ist‹ (Fasten-, Adventszeit);
7.2in sich zusammenhängend‹: geschlossener Grundbesitz, geschlossene Dörfer (als Gegensatz zu Einzelhöfen), geschlossene Schar, geschlossen anrücken; das geschlossenste Meisterwerk der Bildhauerarbeit (Goethe), ein bestimmtes und geschlossenes Wissen (I.Kant), eine geschlossene Persönlichkeit; als literaturwissenschaftlicher Terminus: die Agnes Bernauer… , ein… solid gearbeitetes stück, geschlossen und vom besten zusammenhang (Ludwig; L059 DWb), kunstgeschichtlicher Begriff nach H.Wölfflin: »eine Darstellung, die mit mehr oder weniger tektonischen Mitteln das Bild zu einer in sich selbst begrenzten Erscheinung macht, die überall auf sich selbst zurückdeutet« (Kunstgeschichtliche Grundbegriffe 1915; 111956, 145), danach literaturwissenschaftlich V.Klotz, Geschlossene und offene Form im Drama 1969; Ableitungen ⇑ "Schloß", "Schluß", "Schlüssel".
SchließeSchließhaken, Schnalle‹, L003 Johann Christoph Adelung 1780, hier auch noch im Sinne von ›2Splint‹, »kommt in neuerer Zeit wieder auf« (L320 Trübner);
Schließer (L308 Kaspar Stieler), ursprünglich im Gefängnis; ferner veraltet ›Haushälter‹ (der Speisen und Getränke unter seinem Verschluß hat), häufiger ⇓ "S140" Schließerin, Beschließerin (↑ "beschließen").
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