Hermann Paul - Deutsches Wörterbuch
sauer
ahd. / mhd. sur, altgermanisches Adjektiv (engl. sour) mit Verwandten im Slawischen und Litauischen (altslaw. syru ›feucht‹, litauisch súris ›Käse‹); es bezeichnete anfangs überhaupt einen unangenehmen Geschmack, mittelhochdeutsch häufig ›bitter‹; allgemeiner1"S012" Gegensatz zu "süß";
in einen sauren Apfel beißen müssen(↑ "Apfel"), auf die ⇓ "S041" chemische Zusammensetzung bezogen saure Feuchtigkeit aus dem Magen (L169 Matthias Kramer), Gegensatz basisch (↑ "basal"), heute auch als Phänomen der Umweltverschmutzung saurer Regen; speziell im Sinne von ›geronnenSaure Milch (L308 Kaspar Stieler), ›verdorbenSauer Bier (ebenda), saure Suppe (vgl. J. L.L078 Johann Leonhard Frisch); dazu Sauerampfer, Sauerbraten, Sauerfleisch, Sauerkirsche, Sauerklee, Sauerkraut (s. unten), Sauerteig; daneben
2mühsam‹: daz muoz der sele werden sur (Wolfram von Eschenbach, Parzival; L059 DWb), saur erwerben (Gryphius), Saure Wochen! frohe Feste! Sei dein künftig Zauberwort (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Der Schatzgräber); auf Menschen bezogen (mhd. )
3mürrisch, ärgerlich‹: ein saur gesichte (1696; L059 DWb), danach umgangssprachlich sauer sein(über etw. ) verärgert, wütend sein‹, und z. T. wohl auch nach ursprünglich ⇓ "S193" schülersprachlichem sauer reagieren auf etwas (vom chemischen Versuch mit Lackmuspapier);
4 norddeutsch substantivisch das Sauer, namentlich Schwarzsauer (vgl. "Sammelsurium" ↑ "sammeln").
Sauerkraut um 1400 sawer craut, vorher und noch heute landschaftlich Kumpost (↑ "Kompost", L171 Paul Kretschmer 570);
Sauerstoff (1791 Girtanner), ⇓ "S125" Lehnübertragung von franz. oxygène;
Sauertopf (1562 Mathesius; A075 Johann Wolfgang von Goethe, Faust II,8085) ›mürrischer Mensch‹, dazu sauertöpfisch (A075 Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit 28,135,13);
Sauregurkenzeit (Kindleben 1780; L164 Friedrich Kluge 211975) ›stille Geschäftszeit des Hochsommers, auch auf politische Ereignisse bezogen‹ (↑ "Sommerloch"), Herkunft umstritten: entweder nach rotw. saurejurkenzeit (S.A.L348 Siegmund A. Wolf, Rotwelsch) aus rotw. zoress ( < jidd. zoroNot, Sorgen‹) und joker( < jidd. jokerteuer, selten‹) im Sinne von ›Zeit der Sorgen und der Teuerung‹, eventuell durch volksetymologische Umdeutung von Jurken zu Gurken Bedeutungsverschiebung von ›Sorgenzeit‹ auf ›ereignislose Sommerwochen‹ (N.Nail, in: L299 Sprachdienst 27, 1983, 105); oder scherzhafter Ausdruck von ⇓ "S034" berlinischen Kaufleuten bezogen auf die (Ferien-)Zeit im Sommer, in der die Spreewälder Bauern ihre Gurken nach Berlin auf den Markt brachten (2L175 Friedrich Kluge/ L175 Elmar Seebold), vgl. den Berliner Musiker C.F.Zelter 19.7.1828 an Goethe: Hier zu Lande geht es eben etwas mager her; die Kaufleute nennen's: die Sauergurkenzeit (L181 Otto Ladendorf); seit 1850 (L264 Daniel Sanders 1876) »Fachwort der Tagespresse für die stoffarme Zeit der Hundstage« (↑ "Hundstage") (L164 Friedrich Kluge 211975); Beigeschmack der Saurengurkenzeit (Kladderadatsch 1856; L181 Otto Ladendorf); dann allgemein für ›ereignislose Zeit‹; dafür im Englischen season of the very smallest potatoesbzw. cucumbertime; neuniederländ. komkommertijd; im Französischen »die große Stachelbeerzeit« (L164 Friedrich Kluge 211975);
Säuerling landschaftlich ›Sauerampfer‹; ferner Bezeichnung einer Apfelart, einer Abart des Weinstocks, einer sauren, unbrauchbaren Traube; am gewöhnlichsten ›säuerliches Mineralwasser‹;
säuern ahd. suren, mhd. siuren; als Vorgangsbezeichnung intransitiv Die Milch sauert (L003 Johann Christoph Adelung 1777); als Handlungsbezeichnung, im Partizip Perfekt: Das man sieben tage kein gesewrt Brot finde (A180 Martin Luther, 2.Mose 12,19);
Säure ahd. suri, mhd. siure; speziell ⇓ "S041" chemisch Säure im Magen (L003 Johann Christoph Adelung 1777), Salzsäure, Vitriolsäure (ebenda, heute Schwefelsäure).
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